"Auf US-Stützpunkten gilt das deutsche Strafrecht"
9. Dezember 2005Die Staatsanwaltschaft Zweibrücken ermittelt seit Juli 2005 im Fall um die Entführung des Imams Abu Omar. Er soll in Mailand von CIA-Agenten verschleppt und über Deutschland nach Kairo geflogen worden sein. Auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz hat man ihn von einem Flugzeug in ein anderes gesetzt - und das ist für die deutschen Behörden der Punkt, wo sie ins Spiel kommen.
Sind die Personen Soldaten?
Sie ermitteln wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung, der Nötigung und gegebenenfalls auch der Geiselnahme. "Auf der US-Airbase in Ramstein gilt das deutsche Strafrecht, weil dies kein exterritoriales Gebiet ist. Das NATO-Truppenstatut sagt in diesem Zusammenhang nur etwas darüber aus, ob ich Personen, die unter das NATO-Truppenstatut fallen, verfolgen kann. Wenn es sich zum Beispiel um Soldaten handelt, ist dies nicht der Fall, weil insofern Deutschland auf dem primären Strafverfolgungsanspruch verzichtet hat", sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Eberhard Bayer.
"Sofern die in Frage kommenden Personen keine Soldaten sind und hier in der NATO-Einheit stationiert, fallen sie auch nicht unter das NATO-Truppenstatut. Wenn es sich um CIA-Agenten handelt, gehe ich davon aus, dass es eben keine Soldaten sind, insbesondere keine, die hier bei einer NATO-Einheit stationiert sind. Diese Personen sind dann zu behandeln, wie jeder andere Zivilist auch", so Bayer.
Folterverdacht
Die Affäre um mögliche illegale Aktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes in Europa schlägt immer höhere Wellen. Es gibt Hinweise, dass die CIA in europäischen Ländern geheime Gefängnisse unterhalten hat, wo auch Foltermethoden angewendet wurden, und die Gefangenen-Transporte auf europäischen Flughäfen zwischengelandet sind. Mittlerweile stehen auch Mitglieder der früheren und der jetzigen deutschen Regierung im Verdacht, von alledem gewusst zu haben, ohne eingriffen zu haben.
Andere deutsche Völkerrechtler stimmen Staatsanwalt Bayer zu: Die deutschen Behörden haben das Recht, Ermittlungen gegen CIA-Agenten einzuleiten, auch wenn die mutmaßlichen Straftaten auf US-Militärstützpunkten geschehen sind. Die deutsche Staatsanwaltschaft ist sogar per Gesetz verpflichtet zu ermitteln, wenn ihr ausreichende Anhaltspunkte vorliegen.
Sie hat sich auch bereits Akten aus Mailand kommen lassen.
Mangel an Informationen
Doch die Ermittlungen in diesem Fall bleiben schwierig, berichtet Bayer. Das Problem liege darin, dass der Staatsanwaltschaft die Namen der Personen, die nach Ramstein geflogen und dort ausgestiegen sind, derzeit nicht kennen würde. Aus den italienischen Ermittlungsunterlagen ergeben sich diese Namen nicht. Deshalb hat sich die Staatsanwaltschaft Zweibrücken mit der amerikanischen Verbindungsstelle auf dem Flugplatz Ramstein in Verbindung gesetzt und um weitere Informationen gebeten. "Diese Informationen haben wir bislang aber noch nicht erhalten. Ich weiß auch nicht, ob wir überhaupt diese Informationen erhalten, weil diese Stelle wiederum autorisiert werden muss, uns Auskunft zu erteilen. Und ob diese Genehmigung aus den Vereinigten Staaten kommt, halte ich für zweifelhaft", sagt Bayer.
Der Fall Khaled el-Masri
In einem zweiten Fall ermittelt die Münchener Staatsanwaltschaft und kämpft um Informationen: Es geht um die Entführung des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri von CIA-Agenten in ein Gefangenenlager nach Afghanistan, wo er gefoltert worden sein soll. Erst nach fünf Monaten kam er wieder frei - seine Entführung war eine Verwechslung gewesen. Dass die Entführer und weitere Täter in dem Lager wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung angeklagt und bestraft werden können, daran besteht - zumindest theoretisch - kein Zweifel. Aber dafür braucht man Beweise und Informationen.
In diesem Fall hätten die USA nach dem "Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen" die deutsche Regierung über die Festnahme el-Masris informieren müssen. Wenn dies nicht geschehen ist, könnte man diesen Verstoß vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag geltend machen - jedenfalls theoretisch, sagt der Kanadier Paul Rabbat, der sich am Max-Planck-Institut in Freiburg mit internationalem Strafrecht beschäftigt. Denn die USA haben ihre Zustimmung zum entsprechenden Zusatzprotokoll widerrufen.
Die Pflicht, Menschen vor Folter zu schützen
Dass ein Staat kein großes Interesse daran hat, seine Geheimdienstmitarbeiter zu enttarnen, sie womöglich einem ausländischen Gericht auszuliefern und sich damit auch selbst angreifbar zu machen, ist nicht erstaunlich. Doch auch die Staaten, die Indizien für Menschenrechtsverletzungen im eigenen Hoheitsgebiet haben, stehen nach der Genfer Konvention gegen Folter in der Verantwortung, erklärt Strafrechtsexperte Rabbat: "Es ist klar, dass nach dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche, erniedrigende Behandlung oder Strafe die verschiedenen Länder eine Pflicht haben, selbst nicht zu foltern, aber auch Menschen vor Folter zu schützen. Und wenn so etwas vorliegt, müssen sie einen Prozess gegen die Schuldigen anstrengen oder sie ausliefern in ein Land, in dem ihnen der Prozess gemacht wird."
Fehlender politischer Wille?
Sollte ein Staat Entführungen zum Zweck der Folter oder sogar die Einrichtung eines Gefangenen-Lagers, wie sie in verschiedenen osteuropäischen Staaten vermutet werden, nicht verhindert haben, kann man Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen. Aber auch dafür werden im Zweifel die Informationen fehlen, um die Menschenrechtsverletzungen hinreichend zu beweisen.
Und da stößt das Völkerrecht, das die Staaten letztendlich freiwillig beachten, an seine politischen Grenzen, meint Paul Rabbat: "Wenn es keinen politischen Willen gibt, dann gibt es keine Lösung durch Strafrecht für dieses Problem, glaube ich. Und im Moment ist es nicht so klar, dass es diesen Willen gibt."