Aufgebrachte Menge stürmt Grüne Zone
20. Mai 2016Zum zweiten Mal binnen drei Wochen haben tausende Anhänger des Schiitenpredigers Muktada al-Sadr das Regierungsviertel in der irakischen Hauptstadt Bagdad gestürmt (Artikelbild). Einige Demonstranten überwältigten die Sicherheitskräfte und verschafften sich Zugang kurzzeitig zum Büro des Ministerpräsidenten, wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Daraufhin wurde eine Ausgangssperre über die irakische Hauptstadt verhängt.
Die Demonstranten versammelten sich zunächst auf dem Tahrir-Platz im Zentrum der Stadt und entfernten den Stacheldraht von einer der Hauptbrücken über den Trigris, um zur Grünen Zone zu gelangen. Eine große Zahl von Sicherheitskräften ging mit Tränengas, Blendgranaten und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor. Sie feuerten nach Berichten von Augenzeugen auch scharfe Munition in die Menge der aufgebrachten Menschen, konnten deren Vordringen aber nicht verhindern. Augenzeugen zufolge gab es Dutzende Verletzte.
"Wir sind gekommen, um friedlich zu protestieren, aber die Feiglinge haben angefangen auf uns zu schießen", sagte ein Demonstrant und zeigte eine Handvoll leerer Patronenhülsen. "Seid nicht mit dem Unterdrücker, seid mit der Nation", skandierten die Demonstranten, als sie am Eingang zum Regierungssitz den Sicherheitskräften gegenüberstanden. Einigen Demonstranten gelang es schließlich, sich Zugang zu verschaffen.
Einige Anhänger von al-Sadr veröffentlichten Bilder des Büros von Ministerpräsident Haider al-Abadi und des Sitzungsraums vom Kabinett in sozialen Netzwerken. Schließlich verließen die Demonstranten den Regierungssitz wieder und wurden von Sicherheitskräften wieder in die Nähe einer der Tigris-Brücken zurückgedrängt. Wo sich der Regierungschef zu dem Zeitpunkt aufhielt, war zunächst unklar. In der "Grünen Zone" befinden sich neben dem Regierungssitz auch mehrere Botschaften, unter anderem die der USA.
Schon Ende April hatten Anhänger von al-Sadr die "Grüne Zone" gestürmt und das Parlamentsgebäude besetzt. Sie forderten politische Reformen und drohten mit ihrer Rückkehr, wenn diese nicht umgesetzt würden. Ihr Unmut richtet sich gegen das Versagen der Regierung, wirksam gegen Korruption vorzugehen und Sicherheit in der Stadt zu garantieren. In der "Grüne Zone" befinden sich auch der Sitz der irakischen Regierung und mehrere Botschaften.
Der Irak ist seit Monaten politisch gelähmt. Angesichts von Massenprotesten und immer lauteren Reformforderungen versucht der schiitische Ministerpräsident Haider al-Abadi seit Wochen, sein Regierungsteam durch ein neues Kabinett aus Experten zu ersetzen, die nicht nach konfessionellen oder parteilichen Kriterien ausgewählt werden. Mehrere Parteien wollen das verhindern, weil sie dann die Kontrolle über wichtige Ministerien verlieren würden.
stu/uh (afp, rtr)