Auflagen für ESM erwartet
12. September 2012Darf Bundespräsident Joachim Gauck die Gesetze zu ESM und Fiskalpakt unterzeichnen und in Kraft treten lassen? Oder verstoßen beide möglicherweise gegen die deutsche Verfassung? Diese Auffassung vertritt unter anderem Christoph Degenhart. Der Staatsrechtler aus Nürnberg hat zusammen mit der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) Verfassungsbeschwerde gegen beide Instrumente zur Euro-Rettung eingelegt. Hauptkritikpunkt: Das Demokratieprinzip auf europäischer Ebene und in der Bundesrepublik Deutschland werde ausgehöhlt, so Degenhart.
Insgesamt haben 37.000 Bürger Verfassungsbeschwerde gegen ESM-Vertrag und Fiskalpakt eingelegt. Allein 25.000 Bürger schlossen sich dem Verfahren an, das der Staatsrechtler Degenhart und die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin gegen beide Verträge angestoßen haben. Ihren Verein haben sie nach ihrer Forderung benannt: "Mehr Demokratie".
Demokratiedefizit und Aushöhlung des Budgetrechts?
Weitere Kritikpunkte: Im ESM-Vertrag gäbe es keine Kündigungsklausel und keine Haftungsbeschränkung. Der Gouverneursrat, bestehend aus den Finanzministern der Euro-Länder, dürfe theoretisch das Stammkapital nach Bedarf erhöhen - und damit die Einlagen der Staaten. So verlöre das deutsche Parlament aber seine Budget-Hoheit. Zudem würde die so genannte No-Bail-Out-Klausel durch den ESM unterlaufen. Darin wird die Haftung eines Staates für die Schulden anderer Länder untersagt.
Ingolf Pernice ist Europa- und Verfassungsrechtler und Gründer des Walter-Hallstein-Instituts für Europäisches Verfassungsrecht in Berlin. Bei ESM und Fiskalpakt könne er kein Demokratiedefizit erkennen, betont Pernice. Man könne darüber nachdenken, Gremien des Europäischen Parlaments oder der nationalen Parlamente in diesen Entscheidungsprozess einzubinden.
"Regierungshandeln in Notsituationen"
"Aber es geht hier nicht um Gesetzgebung und Haushaltsplanung, sondern um Regierungshandeln. Es geht um Notmaßnahmen, um den Bestand und die Stabilität der Währung zu gewährleisten", so Pernice. Der Europarechtsexperte sieht auch das Budgetrecht des Parlaments nicht verletzt, denn in jedem Fall müsse die Bundesrepublik Deutschland der Ausweitung des Volumens des ESM zustimmen. "Das heißt, sie kann auch ein Veto einlegen."
Auch der Europarechtler Franz Mayer sieht keine Budgetrechtsverletzung. Er hat den Deutschen Bundestag im Verfahren zum vorläufigen Rettungsschirm EFSF vertreten, in dem es auch um die Beteiligungsrechte des Parlaments ging. Sowohl in ESM als auch im Fiskalpakt sei die Dimension der nationalen Parlamente berücksichtigt, so Mayer. Im völkerrechtlichen Zusammenhang sei es eigentlich nicht die Regel, die nationalen Parlamente zu berücksichtigen, betont der Jurist: "Unter Demokratiegesichtspunkten haben wir innerstaatlich alles, was möglich und nötig war, sichergestellt." Auch einen Verstoß gegen das No-Bail-Out-Verbot kann Mayer nicht erkennen: "Freiwillige Hilfen“ seien schließlich erlaubt: "Man muss nicht helfen, aber man darf helfen."
Er beklagt, dass viel Unsinn über das Verfahren verbreitet werde. "Jeder kann sich in Artikel 8 Absatz 5 überzeugen, dass die Haftung der Bundesrepublik unter allen Umständen begrenzt ist auf das, was derzeit vereinbart ist", so Mayer. "Was soll man sonst noch sagen als 'unter allen Umständen'?"
Dass das Bundesverfassungsgericht Nachjustierungen verlangen wird, kann er sich aber vorstellen: Bei bestimmten Fortentwicklungen des ESM könnte eine Beteiligung des Bundesrates, also der Länderkammer, gefordert werden, so Mayer.
"An diesem Punkt ist Schluss"
Beschwerdeführer Christoph Degenhart wünscht sich naturgemäß eine andere Entscheidung: "Wenn das Bundesverfassungsgericht konsequent seine bisherige Linie durchzieht, müsste es sagen: 'Hier an diesem Punkt ist Schluss'." Allerdings sei er skeptisch, weil das Bundesverfassungsgericht bisher vor der letzten Konsequenz immer zurückgeschreckt sei. "Wenn das Gericht den ESM und die Verträge vollständig kippen würde, wäre das ein sehr mutiger Schritt", gibt Christoph Degenhart zu. Das Gericht werde aber auf jeden Fall sagen, was gehe und was nicht gehe.
Europarechtler Pernice hält es ebenfalls für unwahrscheinlich, dass die Richter in Karlsruhe ESM und Fiskalpakt kippen. Nicht nur wegen der Folgen, die auch das Bundesverfassungsgericht in Betracht ziehen werde, sondern vor allem, weil es dafür keine Grundlage gibt, so Pernice: "Ich halte das für komplett verfassungsgemäß."
Eben diese - auch von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vielbeschworenen - Folgen kann Christoph Degenhart gar nicht erkennen. "Nehmen wir einmal den Fall an, dass der ESM gekippt wird. Dann wird das passieren, was seit der mündlichen Verhandlung auch passiert - nämlich nichts", ist sich Christoph Degenhart sicher. Weder die Märkte seien zusammengebrochen, noch sei Europa im Chaos versunken, noch seien gravierende Nachteile für die Wirtschaft erkennbar, so Degenhart. "Erkennbar ist höchstens, dass der ein oder andere nachdenklich geworden ist."