Aung San Suu Kyis Feuerprobe
8. Dezember 201620.000 Muslime sind vor einer seit Wochen andauernden Militäroperation bisher aus Myanmar geflohen. Die oftmals traumatisierten Flüchtlinge harren seit Tagen und Wochen in Bangladesch aus, wo sie nicht willkommen sind. Inmitten dieser Ereignisse bewunderte Aung San Suu Kyi in Singapur eine Orchidee. Um Staatsrat Suu Kyi (so ihre offizielle Bezeichnung) anlässlich ihres Besuches (29.11 bis 2.12.) zu ehren, benannte der Stadtstaat eine prächtige Züchtung der Pflanzenfamilie nach ihr.
Momente wie diese sind rar geworden für die Friedensnobelpreisträgerin, die seit April 2016 Myanmars Regierungsgeschäfte führt. Ihr internationales Ansehen, das sie im jahrzehntelangen Kampf gegen die Militärregierung unter großen persönlichen Opfern erworben hatte, ist schwer beschädigt. Es gelingt ihr und ihrer Partei, der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), nicht, die ehemalige Militärdiktatur in einen demokratischen Staat zu verwandeln, in dem Menschenrechte etwas zählen.
Krise im Rakhine-Staat
Zu trauriger Realität wurde ihr Versagen jüngst im nordwestliche Teilstaat Rakhine. Seit Jahrzehnten prägen Spannungen zwischen Buddhisten und Muslimen die Region, insbesondere an der Grenze zum Nachbarland Bangladesch. Muslime mit Verbindungen zu internationalen Terrorgruppen, so zumindest die Überzeugung der myanmarischen Regierung, hatten bei einem Angriff auf drei Grenzschutzposten Anfang Oktober neun Polizisten getötet. Seither riegelt das Militär die Gegend ab. Journalisten und Hilfsorganisationen haben keinen Zugang.
Es ist deshalb nicht möglich zu prüfen, in welchem Umfang die Sicherheitsoperationen in Mord und Vergewaltigung ausarten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch behalf sich mit Satellitenbildern, die beweisen, dass mindestens 1200 Häuser in überwiegend von Muslimen bewohnten Gebieten zerstört worden sind. Die UN warnt vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit und einer "ethnischen Säuberung".
Aung San Suu Kyis unrühmliche Rolle
Aung San Suu Kyi ficht die Kritik aus dem Westen nicht an. Wie ein Mantra wiederholt sie stattdessen, Versöhnung mit dem nach wie vor mächtigen Militär anzustreben, das eine Demokratisierung nur nach den eigenen Spielregeln zulässt. Nicht die Soldaten, sondern die Muslime selbst, sagt ein Sprecher ihrer Partei, würden ihre Häuser anzünden, um so die internationale Gemeinschaft auf ihre Seite zu ziehen.
"Ich würde es so sehr schätzen, wenn die internationale Gemeinschaft uns dabei helfen würde, Frieden und Stabilität zu bewahren und ein besseres Verhältnis zwischen den beiden Religionsgemeinschaften herzustellen, anstatt ständig mehr Anlass für Groll heraufzubeschwören", sagte sie an einer anderen Stelle in einem exklusiven TV-Interview mit dem in Singapur ansässigen Sender Channel News Asia.
In Diplomatenkreisen gilt die Generalstochter als nicht kritikfähig. Sie fühlt sich unfair behandelt. Während die UN davor warnt, dass das Leben tausender Kinder akut gefährdet sein könnte, weil das Militär Hilfslieferungen nicht gestattet, zeigt Suu Kyi Unverständnis für das Ausmaß der Kritik und beteuert, die Regierung hätte die Situation im Griff.
Regierung dem Problem nicht gewachsen
Den Eindruck haben weder die UN noch die Nachbarländer. "Der anfängliche Enthusiasmus der Welt, Myanmar alleine den Reformweg beschreiten zu lassen, ist in Gefahr", sagte jüngst die US-Botschafter bei der UN, Samantha Power. Das Vertrauen in Aung San Suu Kyis Fähigkeiten, den demokratischen Übergang zu steuern, ist nicht nur verblasst, sondern dem Zweifel an ihrem aufrichtigen Engagement für die Menschenrechte gewichen. In Malaysia wirft ihr Premierminister Najib Razak Genozid vor, in Indonesien verbrennen Demonstranten Poster mit ihrem Konterfei.
In Myanmar ist es derweil auffallend still. Die Mehrheit der Burmesen lehnt die Rohingya, denen die Staatsbürgerschaft verweigert wird, als illegale Einwanderer aus Bangladesch ab. Sie sehen in der Gruppe, die nicht einmal zwei Prozent der mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung ausmacht, vor allem als lästige Auslöser für Kritik aus dem Ausland. Es sei die Schuld der Muslime, dass die junge Demokratie nach Jahrzehnten der Militärdiktatur erneut in einem schlechten Licht erscheine.
Kritik von den UN führt in Myanmar regelmäßig zu Demonstrationen. Seit September leitet der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan eine von Aung San Suu Kyi ins Leben gerufene Kommission für Entwicklung und Frieden in Rakhine. Als er vergangene Woche in das Krisengebiet reiste, wurde er am Flughafen von wütenden Nationalisten empfangen.
Keine Hoffnung mehr
Keinen anderen Empfang würde der Rohingya-Aktivist Kyaw Hla Aung der Friedensnobelpreisträgerin bereiten. "Aung San Suu Kyi?", er zieht die Augenbrauen hinter seiner Brille hoch und lacht laut. "Vergiss Aung San Suu Kyi!" Das Warten auf eine bessere Zukunft hat den 77-Jährigen sarkastisch gemacht. Seit vier Jahren sitzt der einstige Anwalt in einer umzäunten Siedlung in Sittwe fest. Weil er Muslim ist, darf er die stacheldrahtbewehrten Checkpoints nur mit Genehmigung passieren. Wer, wenn nicht Suu Kyi, die in Myanmar verehrt wird wie eine Heilige, hätte etwas für die Rohingya bewegen können, fragt er.
In seinem Dorf in Sittwe erreichen Kyaw Hla Aung täglich Anrufe aus der Konfliktzone in Nord-Rakhine. Am Telefon sind Frauen, deren Männer verhaftet wurden, oder Männer, deren Frauen von Soldaten vergewaltigt wurden. Aung San Suu Kyi kann oder will nichts dagegen unternehmen. Bevor er ein weiteres Telefonat annimmt, sagt er noch: "Aung San Suu Kyi weiß doch gar nicht, was hier eigentlich vor sich geht."