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Aus dem Schatten des Adlers

Florian Blaschke17. Juli 2006

Lange Zeit galten die USA als Beschützer des pazifistischen Japan. Doch seit einigen Jahren rüstet der Inselstaat auf, der Ton den Nachbarn gegenüber wird härter. Eine neues Selbstbewusstsein scheint eingekehrt zu sein.

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Die USA haben lange Jahre für die Sicherheit Japans gebürgt, auch China gegenüber

"Ein kluger Falke verbirgt seine Krallen", lautet ein japanisches Sprichtwort. Mit ihm lassen sich treffend die letzten 60 Jahre japanischer Außen- und Militärpolitik beschreiben, die geprägt waren von Artikel 9 seiner Verfassung, dem Verzicht auf Krieg und sogar auf das Recht und die Fähigkeit zur Kriegsführung - ein einzigartiger Artikel, der dazu führte, dass Japan lange Zeit keine Armee, sondern nur so genannte Selbstverteidigungs-Streitkräfte besaß.

Bis weit in den Kalten Krieg hinein stand Japan nicht nur unter der Kontrolle und dem Schutz der USA, sondern wurde von diesen auch als Vorposten gegen den Kommunismus in ihr westliches Bündnissystem integriert. "Die Hauptabsicht japanischer Außenpolitik ist gewesen, den Friedensanspruch, der auch in der Verfassung festgelegt ist, durch konkrete Maßnahmen zu untermauern", sagt Markus Tidten, Japan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Konkrete Maßnahmen, das hieß lange Zeit Scheckbuchdiplomatie in Form von gezielter Entwicklungspolitik.

Nordkorea Rakten
Nordkoreanische Scud-Raketen, seit einigen Jahren eine stetige Provokation für JapanBild: AP

Doch seit einiger Zeit fährt der Falke seine Krallen immer öfter aus, Japan fühlt sich bedroht - fast traditionell schon von China, dessen Einmarsch man jederzeit befürchtet, seit einigen Jahren auch von Nordkorea durch seine Raketentests und die Ankündigung, Atomwaffen zu besitzen. Somit wurde das Bündnis mit den USA enger, der Militärhaushalt aufgestockt, inzwischen gibt Japan mit über 40 Milliarden Dollar jährlich ein Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für das Militär aus und nimmt in diesem Punkt Rang sechs in der Welt ein. Man will an der Seite der USA ein Gegengewicht schaffen, vor allem zur aufstrebenden Militärmacht China, und auch im Anti-Terrorkampf halten Japan und die USA fest zusammen.

Kein guter Schutz für dieses Land

Im Juni dieses Jahres schließlich erreichte der Sicherheitspakt mit den USA einen neuen Höhepunkt, als das japanische Kriegsschiff "Kirishima" gemeinsam mit dem amerikanischen Zerstörer "Shiloh" über dem Pazifik eine Testrakete abschoss. Der amerikanische Raketenschutzschild wurde im Rahmen der gemeinsamen Militärpolitik auch über Japan ausgedehnt, in zwei Jahren bereits sollen alle japanischen Aegis-Zerstörer mit dem SM-3-Abwehrsystem der US-amerikanischen Flotte ausgestattet sein. "Im Moment haben wir die Situation, dass sowohl in den politischen Entscheidungskreisen, als auch - und das ist das Dramatische - in einem Großteil der Bevölkerung das Bewusstsein herrscht, dass Japans rein pazifistische Außenpolitik kein guter Schutz für dieses Land ist", sagt Tidten.

Japanischer Soldat in Irak
Die japanischen Truppen im Irak waren hauptsächlich für die Wasserversorgung verantwortlichBild: AP

Also hat man ein gemeinsames Abwehrsystem aufgebaut, das Ergebnis langjähriger Zusammenarbeit zweier ehemaliger Kriegsgegner, die für US-Außenministerin Condoleezza Rice die Funktion einer "globalen Allianz" übernimmt. Scheinbar meldet Japan nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch einen neuen Machtanspruch an, der durch verschiedene Sondergesetze der letzten Jahre wie von langer Hand vorbereitet scheint. Vor fünf Jahren ermöglichte die Regierung der japanischen Marine durch ein solches Gesetz die Versorgung der US-Flotte mit Treibstoff während ihres Angriffs auf Afghanistan, seit 2004 sind japanische Truppen in der südirakischen Stadt Samawah stationiert, um den Wiederaufbau der Region zu unterstützen - inzwischen hat die Regierung den Abzug dieser Truppen beschlossen, da "die Ziele des Engagements nun erfüllt wurden".

Absolute Partnerschaft mit den USA

Tidten hält den Einsatz des Militärs im Irak für eine der geschicktesten diplomatischen Maßnahmen von Premierminister Junichiro Koizumis: "Er hat zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Das erste Ziel war, dem Allianzpartner USA volle Solidarität zu signalisieren und zu demonstrieren. Das zweite war, der Bevölkerung deutlich zu machen, dass das japanische Militär zwar ins Ausland gehen, aber nicht Teil der Kampfstrukturen sein würde." Ohne das Risiko, Artikel 9 zu misachten, konnte Japan also seine Stellung an der Seite der USA festigen, für Paul Kevenhörster, Japan-Experte an der Universität Münster sogar eine Fortsetzung der bisherigen Außenpolitik: "Ich störe mich in diesem Zusammenhang an dem Wort Veränderung. In einem ganz entscheidenden Kern ist die Außenpolitik Japans gleich geblieben: Absolute Partnerschaft im Schulterschluss mit den USA seit mehr als 50 Jahren."

Japan Premierminister Junichiro Koizumi am Yasukuni Schrein
Japanes Premierminister Junichiro Koizumi bei einem seiner umstrittenen Besuche am Yasukuni-Schrein, einem Platz der Heldenverehrung für gefallene SoldatenBild: AP

Auch, wenn nicht ganz klar ist, was Nordkorea mit seinen Raketentests erreichen möchte, für Japans Hardliner kommt die Krise zum richtigen Zeitpunkt. Es scheint ein neues Selbstverständnis in Japan eingezogen zu sein, nicht viel ist mehr zu spüren vom völligen Verzicht auf militärisches Potential. Seit längerem schon plant Premierminister Koizumi eine Verfassungsänderung, um die inzwischen längst einsatzbereite Armee auch wirklich nutzen zu können, nur dass er für dieses Vorhaben eine Zweidrittelmehrheit beider Parlamentshäuser bräuchte, die er bisher nicht hat. Zudem wäre ein Volksentscheid nötig, der schwer zu erreichen sein wird. "Neben vielen anderen Veränderungen soll auch an Artikel 9 gearbeitet werden, wobei, und das geht oft unter, die Kriegsverzichtsklausel als solche gar nicht berührt ist. Die Frage ist, wie weit man in einem zusätzlichen Absatz das existierende Militär dann auch Militär nennen kann und gleichzeitig darauf verweist, welche Aufgaben es hat", sagt Tidten.

Präventivschläge als Akt der Verteidigung

Regierungssprecher Shinzo Abe, der als möglicher Nachfolger von Premier Koizumi für den Parteivorsitz der Liberaldemokratischen Partei (LDP) bei den Wahlen im September gehandelt wird, scheint jedoch auch ohne eine solche Verfassungsänderung genügend Möglichkeiten zur Reaktion auf Nordkoreas Raketentests zu sehen. Japan solle darüber nachdenken, wurde Abe in dieser Woche zitiert, ob die pazifistische Verfassung Präventivschläge als Akt der Verteidigung erlaube. "Ich halte diese Aussage von Abe nicht nur für starken Tobak", sagt Kevenhörster. "Ich halte sie auch für eine Nebelkarte, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit noch mehr auf seine Stellung als möglichen Koizumi-Nachfolger zu lenken." Das außenpolitische Verhältnis zu China und Nordkorea, das unter Koizumi deutlich schlechter geworden ist, würde Beobachtern zufolge, unter Abe noch mehr leiden, auch er gilt als Verfechter einer wieder erstarkten Militärpolitik.

George W. Bush bei Junichiro Koizumi
Enge Verbündete: US-Präsident George Bush und Junichiro KoizumiBild: AP

Tidten sieht die dramatische Veränderung jedoch eher in der Akzeptanz der Aussage Abes: "Hätte er so etwas vor sechs oder acht Jahren gesagt, hätte es sofort ein Mistrauensvotum gegeben und die Regierung wäre weg gewesen". So wird vor allem ein erstarktes Selbstbewusstsein Japans deutlich und das Ziel der japanischen Außenpolitik, nach 50 Jahren endlich ein ebenbürtiger Partner für die USA zu werden und ein eigenes Profil zu entwickeln, um sich in Asien auch außenpolitisch zu positionieren. Einen tatsächlichen militärischen Konflikt wird man auch in Japan kaum in Kauf nehmen, meint Kevenhörster: "Dazu fehlt mir die Phantasie. Vor allem, wenn man bedenkt, wie hochgerüstet Nordkorea und China sind, über alle Verteidigungserfordernisse hinaus". Die letzten Jahre und die aktuellen Äußerungen der Regierung zeigen also vor allem eines: Der Falke Japan tritt aus dem Schatten des Adlers USA.