Auspeitschung Badawis verschoben
22. Januar 2015Vor zwei Wochen hatten sie noch applaudiert. Da war, fanden sie, der Gerechtigkeit Genüge getan worden. Anfang Januar hatte der liberale saudische Blogger Raif Badawi 50 Peitschenschläge auf den Rücken erhalten - die ersten von insgesamt tausend, die ein saudisches Gericht über ihn verhängt hatte. Eine Viertelstunde habe die Auspeitschung gedauert, berichtete ein Augenzeuge der britischen Zeitung "The Guardian". Als sie vollzogen war, spendeten die Umstehenden Applaus. "Allahu Akbar" riefen sie, "Gott ist groß".
Jetzt aber müssen sie zum zweiten Mal in Folge auf das Schauspiel verzichten. Bereits in der vergangenen Woche hatten saudische Ärzte davon abgeraten, mit der Auspeitschung fortzufahren. Auch diese Woche halten sie Badawi für zu schwach, um ihn ein zweites Mal der Tortur auszusetzen.
Wie diese aussieht, ist auch im Internet zu sehen. Ein mutiger Zeuge hatte mit der Videokamera die Züchtigung Badawis festgehalten und auf der Videoplattform "Youtube" auszugsweise veröffentlicht. Rund eine Viertelstunde dauerte die Auspeitschung. Badawi stand aufrecht, die Hände auf dem Rücken.
Anklagepunkt: "Verbrechen gegen den Islam"
"Verbrechen gegen den Islam" lautete die Anklage. Außerdem beschuldigte das Gericht Badawi, er habe islamische Würdenträger lächerlich gemacht und "die Grenzen des Gehorsams" überschritten. Auf dieser Grundlage war Badawi zu den insgesamt 1000 Peitschenhieben verurteilt worden - neben einer zehnjährigen Haftstrafe und einer Geldbuße von knapp 200.000 Euro.
Christoph Strässer, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, kritisiert die Körperstrafe. Die Auspeitschung Badawis verstoße gegen die Menschenwürde. "Das ist eine ganz besondere Entwürdigung. Und ich bin sehr froh, dass es auch diese Menge an Protesten gibt." Dies umso mehr, als hier ein grundlegendes Freiheitsrecht zur Disposition stehe. "Nach unserem Verständnis ist das Bestandteil der Freiheit zur Meinungsäußerung, wie sie im Übrigen ja auch im Kern in der saudischen Verfassung steht."
Badawis Ehefrau appelliert an saudischen König
In der Sendung "Shabab Talk" im Fernsehprogramm der DW äußerte sich auch die in Kanada lebende Ehefrau Badawis, Ensaf Haidar, zu der über ihren Mann verhängten Strafe. Er habe niemanden angegriffen, sei weder ein Mörder noch ein Vergewaltiger und trage keinerlei Waffen: "Seine Waffe ist sein Stift." In der Sendung richtete sie auch einen Appell an das saudische Königshaus: "Ich möchte den König bitten, Raed sofort frei zu lassen."
Für Béatrice Vaugrante, die Generalsekretärin von Amnesty International Kanada, passt die Auspeitschung kaum zu anderen politischen Gesten Saudi-Arabiens. Nach den Attentaten gegen das Satiremagazin "Charlie Hebdo" habe Saudi-Arabien an dem Marsch zur Verteidigung der Meinungsfreiheit in Paris teilgenommen. "Und genau an diesem Tag hat Raif Badawi die ersten 50 Schläge seiner Strafe erhalten." Auch habe Saudi-Arabien die internationale Konvention gegen Folter unterzeichnet, so Vaugrante im Interview mit der DW. "Aber in Saudi-Arabien wird seit Jahrzehnten in großem Maß Folter und Todesstrafe praktiziert." Zugleich weise das Land eine erschreckende Bilanz hinsichtlich der Meinungs- und Religionsfreiheit auf.
Hartes Vorgehen gegen Kritiker
Amnesty International beobachtet seit längerem ein hartes Vorgehen gegen Kritiker: "Die saudi-arabischen Behörden erhalten mit eiserner Hand ihre Macht durch eine systematische und schonungslose Verfolgungskampagne gegen friedliche Aktivisten. Jede Kritik am Staat in der Zeit nach den arabischen Aufständen von 2011 wird unterdrückt", heißt es auf der Webseite der Menschenrechtsorganisation.
Dennoch gärt es in Saudi-Arabien offenbar. Insbesondere in den vergangenen zwei Jahren wurden zahlreiche saudische Menschenrechtsaktivisten und Blogger zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Auf diese Weise schränkt der saudische Staat auch die Pressefreiheit im Land massiv ein. Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" belegt Saudi-Arabien unter 180 Ländern Rang 164.
Spitzenreiter ist Saudi-Arabien auch hinsichtlich der Todesstrafe. Amnesty International zufolge wurden in Saudi-Arabien 2013 mindestens 79 Todesurteile vollstreckt. 2014 wurden rund 60 Menschen hingerichtet.
Wahrung der Menschenrechte kann politisch stabilisierend wirken
Zugleich gibt die saudische Regierung seit dem Beginn der Arabellion im Jahr 2011 massiv Geld aus, um einen Volksaufstand im eigenen Land zu verhindern. Investiert wird in Programme, die Arbeitslose und die zum Teil in prekären Verhältnissen lebende Mittelschicht zu unterstützen. Ebenso hat die Regierung die Bezüge der rund zwei Millionen direkt oder indirekt beschäftigten Staatsdiener angehoben. Zudem hat das Königshaus seit dem Frühjahr 2011 rund 60.000 Stellen im Sicherheitssektor geschaffen - ein Hinweis darauf, dass man Unruhen oder Anschläge zumindest für möglich hält.
Gerade in politisch unsicheren Momenten, so Christoph Strässer, kann die Wahrung von Menschenrechten auch stabilisierend wirken. "Wenn man Menschenrechte dauerhaft unterdrückt, spielt das letztlich auch denjenigen in die Hände, die sich dem Terror verschrieben haben", sagt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung.