Vom Hass in der Gesellschaft
21. Dezember 2021"Wir haben lang genug geliebt und wollen endlich hassen!", schreibt der 24-jährige Dichter Georg Herwegh im Jahr 1841. Er ruft dazu auf, die Liebe durch den Hass zu ersetzen, die "Tyrannei auf Erden" zu erkämpfen und die "Ketten der Unterdrückung" zu brechen. Herwegh zählt zu den wichtigsten politischen Dichtern im sogenannten "Vormärz", der Zeit vor der Revolution, die im März 1848 ihren Anfang nahm. Er und seine Gleichgesinnten wollen mit Gewalt die Herrschaft der Fürsten im Deutschen Bund umstürzen. Denn damals gab es noch kein geeintes Deutsches Reich, stattdessen einen lockeren Verbund von Staaten und vier freien Städten, die überwiegend von Fürsten regiert wurden.
Der Hass Herweghs und seiner Mitstreiter richtete sich gegen diese adeligen Machthaber und die bestehende Ordnung. Alle Mittel waren den radikaldemokratischen Aufständischen recht. Doch die Revolution scheiterte, und die demokratischen Kräfte wurden nachhaltig geschwächt.
"Das Lied vom Hasse" von Georg Herwegh als Vorbote zur Revolution 1848/49 ist nur eines der Themen der Ausstellung "Hass. Was uns bewegt" im Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Insgesamt 200 Objekte stellen den Hass zur Schau - in all seinen Formen und Ausprägungen. Frauen werden ebenso gehasst wie Juden, "Ungläubige" oder "Fremde": Die Ausstellung beschäftigt sich mit den Abgründen der menschlichen Seele und zeichnet ein trauriges Spiegelbild der Gesellschaft.
Hass ist kein neues Phänomen
"Ich habe zu viel Hass gesehen, als dass ich hassen möchte", so wird der Bürgerrechtler Martin Luther King zitiert. Doch auch 50 Jahre nach seiner Ermordung ist Hass immer noch eines der zentralsten Phänomene unserer Gesellschaft. Und so zieht sich im Haus der Geschichte durch alle Ausstellungsräume ein "Dickicht des Hasses", grün-blaue Seile, die "die Verstrickung der Gesellschaft im Hass symbolisieren sollen", sagt Sebastian Dörfler, der zum Kuratoren-Team gehört.
Die Ausstellung blickt zurück auf 200 Jahre Abneigung und Feindseligkeit, Angst, Neid und Verachtung. Sie beginnt im 19. Jahrhundert - ein Beispiel aus jener Zeit ist das Attentat auf Otto von Bismarck. Am 7. Mai 1866 versuchte Ferdinand Cohen-Blind den damaligen preußischen Ministerpräsidenten und späteren ersten Reichskanzler des Deutschen Reiches auf offener Straße zu erschießen - wenn auch aus pazifistischen Gründen, denn der 22-Jährige befürchtete, dass Bismarck einen Bruderkrieg zwischen Preußen und Österreich anzetteln würde (was genauso passierte). In einem Brief an eine Freundin schrieb Ferdinand Cohen-Blind, warum er Bismarck beseitigen wollte: "Ein gewöhnlicher Mensch, wenn er den hundertsten Teil von dem begangen hätte, was Bismarck sich hat zu Schulden kommen lassen, wäre schon längst dem Gesetz verfallen. Bismarck, der jedoch hoch gestellt ist, kann von den Gesetzen nicht belangt werden und achtet sie nicht."
Cohen-Blind gab fünf Schüsse ab, zwei davon trafen Bismarck, doch die Kugeln wurden durch die dicke Kleidung abgehalten. Der Attentäter begann am darauffolgenden Tag Selbstmord.
Rechtsextremistischer Hass
Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist der Themenkomplex rechtsextremistischer Hass . "Der Rechtsextremismus ist ein Grundübel unserer Gesellschaft, das mit der Demokratie einhergeht", sagt Historiker und Kurator Dörfler. Das rassistisch motivierte Attentat in Hanau 2020, bei dem zehn Menschen getötet wurden, der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019, die NSU-Anschläge auf türkischstämmige Deutsche Anfang der 2000er-Jahre: Als Beobachter habe man das Gefühl, die Zahl nehme stetig zu, sagt Dörfler, relativiert die subjektive Wahrnehmung dann aber: "Als Historiker würde ich ein Fragezeichen dahinter machen. Ja, das Internet hat die Verbreitung von Hassbotschaften stark vereinfacht, aber es gab sie natürlich auch viel früher. Das Phänomen ist sicherlich nicht neu, aber es wird stärker wahrgenommen."
In der Ausstellung werden aktuelle Beispiele gezeigt, doch auch vergangene rechtsextreme Anschläge werden in Erinnerung gerufen, wie etwa die im Jahr 1980 verübten Bomben- und Brandanschläge der Terrorzelle "Deutschen Aktionsgruppen", u.a. auf Asylbewerberheime und Behörden der Bundesrepublik. "Diese Gruppen sind nicht isoliert und haben eigentlich schon all das gemacht, was wir jetzt auch beobachten, sie haben auch einen Kommunalpolitiker angegriffen, sie haben sich gegen die Erinnerungskultur gerichtet und natürlich gegen fremde - in Anführungszeichen - Menschen, die sie im Land nicht haben wollen, dabei haben sie zwei Vietnamesen ermordet. Das zeigt, dass es lange Linien gibt. Man darf nicht den Fehler machen zu glauben, dass alles, was wir jetzt erleben, aus dem Nichts entsteht", sagt Dörfler.
Hass gegen Frauen, weil sie Frauen sind
Eine Vitrine mit roten Frauenschuhen soll ermordeter Frauen gedenken. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet. Diese Taten werden als Femizide bezeichnet: Der Hass richtet sich nicht gegen Frauen generell, sondern gegen Frauen, die gegen ihre zugewiesene Geschlechterrolle verstoßen haben. Das Gefühl, die Kontrolle über die Frau zu verlieren, ist ein häufiges Mordmotiv. Wenn Frauen männliche Privilegien ins Wanken bringen, sind sie oftmals nicht mehr sicher. Meist wird Gewalt gegen Frauen als "Eifersuchtsdrama" oder "Familientragödie" bezeichnet, was die Taten nur relativiert. Ein Set für die ärztliche Untersuchung und Spurensicherung nach einem Sexualdelikt soll an die 13.066 Fälle von Gewalt in der Partnerschaft erinnern, die im Jahr 2019 allein in Baden-Württemberg verzeichnet wurden. Mehr als 80 Prozent der Betroffenen waren Frauen. Täter wie Opfer kommen aus allen sozialen Schichten.
Es gibt auch Hoffnung
Die Schau im Haus der Geschichte setzt all diesem Hass auch einen Gegenpol entgegen, der Anlass zur Hoffnung gibt: Es wird an Menschen erinnert, die gegen den Hass ankämpfen und sich für eine offene, tolerante und demokratische Ordnung einsetzen. So wird auch Irmela Mensah-Schramm gewürdigt, die seit 1986 Aufkleber mir rassistischen Botschaften von Hauswänden, Laternenpfählen und anderen Orten entfernt. Der erste Aufkleber, den sie abkratzte, hatte Freiheit für Hitlers "Stellvertreter" Rudolf Heß, der im Zuge der Nürnberger Prozesses zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, gefordert. Politisch aktiv war Mensah-Schramm schon vorher, doch mit diesem Zufallsfund begann ihr gezielter Kampf gegen Hassbotschaften. Inzwischen hat die 76-Jährige mehr als 90.000 Aufkleber und über 10.000 Graffiti entfernt. "Damit wollen wir zeigen: Ja, man kann etwas tun, aber dafür muss man aktiv werden", so Dörfler. "Oft kommt man an irgendwelchen Botschaften vorbei, meistens ignoriert man sie, oder man schüttelt den Kopf und geht weiter. Sie wird aber aktiv, das ist ein wichtiger Aspekt Das ist die Herausforderung."
Die Sonderausstellung "Hass. Was uns bewegt" ist bis zum 27. Juli 2022 im Haus der Geschichte Baden-Württemberg zu sehen. Sie ist Teil der Trilogie-Ausstellung "Gier.Hass.Liebe". Im kommende Jahr folgt der dritte und letzte Teil der Emotions-Ausstellungen zum Thema Liebe.