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Ausverhandelt: EU und Mercosur-Staaten einigen sich

6. Dezember 2024

Nach knapp 25 Jahren sind die Verhandlungen für das EU-Mercosur-Abkommen abgeschlossen. Was bedeutet das Handelslabkommen für die Menschen in Lateinamerika und Europa - und wann kann es in Kraft treten?

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 Ursula von der Leyen in einem EU-blauen Blazer mit goldenen Knöpfen vor Fahnen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag beim Mercosur-Gipfel in MontevideoBild: Matilde Campodonico/AP Photo/picture alliance

"Der heutige Tag markiert einen wahrhaft historischen Meilenstein," freut sich Ursula von der Leyen am Freitag in Montevideo. Der Grund: Der Abschluss der Verhandlungen des EU-Mercosur-Abkommens.

Von der Leyen unterstreicht die Gemeinsamkeiten der Wertvorstellungen in den beiden Regionen und betont, dass man eine "starke Nachricht" in die Welt sende - nämlich die, dass in einer zunehmend konfrontativen Welt Demokratien aufeinander zählen könnten. 

Nach knapp 25 Jahren Verhandlungen soll das EU-Mercosur-Abkommen nun also stehen; und damit laut von der Leyen eine der "größten Handels- und Investitionspartnerschaften, die die Welt je gesehen hat." 

Was regelt das Abkommen? 

Das EU-Mercosur-Abkommen soll mehr als 700 Millionen Menschen auf dem südamerikanischen und europäischen Kontinent miteinander verbinden. Auf der einen Seite die 450 Millionen Bürger der 27 EU-Staaten, und auf der anderen Seite die 270 Millionen Menschen in Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Venezuelas Mitgliedschaft im Mercosur ist bis auf weiteres suspendiert. Für das jüngste Mercosur-Mitglied Bolivien gilt das Abkommen noch nicht. 

 

Auf die Eckpunkte hatte man sich bereits 2019 geeinigt. Stufenweise sollen mehr als 90 Prozent der Zölle auf beiden Seiten abgebaut werden. Dadurch würden EU-Exporteure über kurz oder lang jährlich mehr als vier Milliarden Euro einsparen können, schätzt die EU-Kommission. 

EU will Freihandel und Rohstoffe 

Dabei geht es aus europäischer Sicht wohl vor allem um den Import von Rohstoffen und den Export von Autos und Maschinen. Das Interesse der EU an dem Handelsabkommen dürfte auch vor dem Hintergrund des Amtsantritts Donald Trumps im Januar erneut gewachsen sein. Der gewählte US-Präsident hat der EU bereits im Wahlkampf mit der Erhebung von Zöllen gedroht.

Mit Blick auf die geopolitische Lage bezeichnet von der Leyen das Abkommen am Freitag als eine "politische Notwendigkeit". So will die EU beispielsweise beim Zugang zu wichtigen Rohstoffen wieSeltene Erden unabhängiger von China werden. Diese für Schlüsseltechnologien notwendigen Metalle könnten die Mercosur-Staaten liefern. 

Javier Milei (Argentinien), Luis Lacalle Pou (Uruguay), Ursula von der Leyen, Luiz Inacio Lula da Silva (Brasilien) und Santiago Pena  (Paraguay) halten sich an den Händen
Keine Berührungsängste: Javier Milei (Argentinien), Luis Lacalle Pou (Uruguay), Ursula von der Leyen, Luiz Inacio Lula da Silva (Brasilien) und Santiago Pena (Paraguay, v. l.)Bild: EITAN ABRAMOVICH/AFP/Getty Images

Nach EU-Angaben exportierten die Mercosur-Staaten 2023 vor allem Mineralerzeugnisse sowie Lebensmittel, Getränke und Tabak in die EU, während die EU-Staaten insbesondere Maschinen, Geräte, Chemikalien und pharmazeutische Produkte in die vier Mercosur-Staaten exportierte. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Blöcken lag 2023 bei rund 110 Milliarden Euro.

In der EU, insbesondere in Deutschland, dürften vor allem Automobilhersteller auf den Abbau des 35 Prozent hohen Einfuhrzolls hoffen, während südamerikanische Produzenten sich darauf freuen, in Zukunft Agrarprodukte, wie etwa Fleisch und Zucker, leichter in die EU verkaufen zu können. 

Streit um Umweltstandards

Seit 2019 scheiterte der Vertragsabschluss vor allem an EU-Forderungen nach strengeren Umweltauflagen, die in einem Zusatzprotokoll festgehalten werden sollen. In einer Pressemitteilung betont die EU-Kommission, dass das jetzt ausgehandelte Abkommen "klare, konkrete und messbare Verpflichtungen zum Stopp der Entwaldung" beinhalte. 

Auch von südamerikanischer Seite gab es in der Vergangenheit  Kritik an dem Abkommen. So äußerte sich etwa  der argentinische Präsident Javier Milei während seines Wahlkampfes ablehnend und der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte sich gegen das Zusatzprotokoll ausgesprochen.   

Ringen um größte Freihandelszone der Welt

Europäische Bauern mobilisieren dagegen

Das Abkommen führte in den vergangenen Wochen zu vehementen Protesten von Bauern vor allem in Frankreich, aber auch in Belgien. Sie fürchten einen unfairen Wettbewerb durch billige Produkte aus Südamerika und beklagen, dass dort niedrige Schutzvorschriften und Umweltanforderungen gälten. Auch der Deutsche Bauernverband sprach sich gegen das Abkommen aus und forderte neue Verhandlungen.  

Umweltorganisationen wie Greenpeace lehnen das Abkommen ab. Sie fürchten unter anderem eine fortgesetzte Abholzung des Regenwaldes, um Produkte wie Rindfleisch und Futtersoja herzustellen.

Befürworter halten dagegen, dass das Abkommen die EU-Standards schütze und Quoten in bestimmten Bereichen, wie etwa bei Rindfleisch, Geflügel und Zucker, vorgesehen seien. Von der EU-Kommission hieß es am Freitag, die Interessen aller Europäer, auch die der Bauern, würden durch das Abkommen geschützt

Abkommen spaltet EU-Länder 

Auch innerhalb der EU-Mitgliedstaaten gehen die Meinungen über das Abkommen auseinander. Entschiedener Gegner des Abkommens ist Frankreich.

Aus dem Elysée-Palast hieß es am Donnerstag, der französische Präsident Emmanuel Macron habe Ursula von der Leyen klar gemacht, dass das Abkommen in seiner derzeitigen Form "inakzeptabel” sei. Man werde Frankreichs "landwirtschaftliche Souveränität” weiterhin verteidigen. Zweifel an dem Abkommen meldeten auch Polen und Italien an.

Frankreichs Präsident Macron gestikuliert bei einer Sitzung
Der französische Präsident Emmanuel Macron hält das EU-Mercosur-Abkommen in seiner jetzigen Form für "inakzeptabel"Bild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Deutschland und Spanien unterstützen dagegen das Abkommen. Deutschland drängte in letzter Zeit vermehrt auf einen zügigen Vertragsabschluss. 

Wann tritt das Abkommen tatsächlich in Kraft?

Trotz der Einigung dürfte es noch einige Zeit dauern, bis das Freihandelsabkommen tatsächlich seine Wirkung entfalten kann: Beide Seiten müssen es noch ratifizieren und noch sind weitere Blockaden möglich. Die EU-Kommission bezeichnet das Ende der Verhandlungen als einen "ersten Schritt" hin zum Vertragsabschluss. 

Auf EU-Seite muss der Vertragstext erst einmal juristisch geglättet und in alle weiteren 23 EU-Sprachen übersetzt werden. Dann wird der Text dem EU-Rat und dem EU-Parlament vorgelegt, teilte die Kommission am Freitag mit. 

Grundsätzlich müsse die EU-Kommission noch beurteilen, welches die finale juristische Grundlage des Abkommens sei, sagte ein Kommissionsprecher am Donnerstag in Brüssel. Davon hängen die weiteren Schritte ab. 

Würde es als reines Handelsabkommen gewertet, könnte es an der notwendigen Zustimmung der Mitgliedstaaten scheitern: Diese könnten das Abkommen verhindern, wenn mindestens vier Staaten, die mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, dagegen stimmen. Wären auch Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten betroffen, würde schon eine Gegenstimme für ein Scheitern genügen.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel