EU-Mercosur: Erfolgloses Ringen um Handelsvertrag
1. März 2024Josep Borrell, der Hohe Vertreter der Europäischen Union (EU) für auswärtige Angelegenheiten, hatte Anfang der Woche "leider keine guten Nachrichten" über das Handelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Handelsbündnis Mercosur. Wieder einmal. Zwar wollen die südamerikanischen Länder unterzeichnen, aber im eigenen Haus gibt es Widerstand. Der kommt vor allem aus Frankreich, wo Staatspräsident Emmanuel Macron die Wut der Bauern fürchtet, die sich auf einen knallharten Wettbewerb mit der hocheffizienten Landwirtschaft aus Brasilien oder Argentinien einlassen müsste.
"Wir haben 22 Jahre verloren"
Uruguays Ex-Präsident Jose 'Pepe' Mujica brachte die Stimmung der im Handelsbündnis zusammengefassten südamerikanischen Länder Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay und künftig auch Bolivien zusammen. "Es ist nicht gut gelaufen und es wird auch nicht gut laufen", sagte Mujica bei einer Veranstaltung in Brasilien und zog das ernüchternde Fazit: "Wir haben 22 Jahre verloren." Von Paraguays Außenminister Ruben Ramirez war zu hören, dass die Verhandlungen bis nach den Europawahlen im Juni ausgesetzt seien, einige Quellen sprechen sogar von einer Suspendierung bis September.
"Der Verlierer ist Europa"
Der in Buenos Aires ansässige Berater und Analyst Carl Moses sieht im Gespräch mit der DW einen klaren Verlierer: "Europa verliert in Südamerika nicht nur Marktanteile und Zukunftschancen, sondern auch Glaubwürdigkeit. Vor allem was den Umgang mit der viel beschworenen Zeitenwende in der Geopolitik angeht. Der Mercosur wartet schon seit Jahren auf die EU und hat sich an diesen Zustand wahrscheinlich gewöhnt. Der Verlierer ist Europa."
Vor allem für den neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei, der als glühender Verfechter des Freihandels gilt und sich vom Mercosur-Abkommen einen ersten Erfolg in der Außenpolitik und in seiner Marschroute der Marktöffnung erwartet hatte, sei das ein Rückschlag, so Moses.
China rückt wieder ins Blickfeld
Weil die Europäer sich wieder einmal nicht einigen können, rückt China als Vertragspartner wieder in den Vordergrund. Vor allem Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou hatte sich in den letzten Monaten die Option Peking offengehalten und war dafür innerhalb des Mercosur kritisiert worden. Das zaudernde Europa müsste nun ausgerechnet auf Milei als Bollwerk hoffen, der sich klar gegen "Chinas Kommunisten", dafür umso deutlicher für Europa und Nordamerika ausgesprochen hatte. "Der Mercosur schließt unterdessen Abkommen, etwa mit Singapur oder demnächst mit den Vereinigten Arabischen Emiraten", sagt Moses.
Auch ein kleines Europa-Abkommen werde gerade verhandelt. Die in den EFTA-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz) zusammengefassten Länder kommen allerdings nur auf 14 Millionen Einwohner.
Historische Chance verpasst
Der EU-Mercosur-Freihandelsvertrag lag bereits 2019 fertig ausgehandelt vor, auch damals blockierte Frankreich das Abkommen - offiziell wegen der umweltfeindlichen Amazonas-Politik des damaligen rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Inzwischen regiert mit Luiz Inacio Lula da Silva ein Linkspolitiker das Land und wirft den Europäern vor, mit nachträglich eingebrachten Umweltvorschriften eine Art "grünen Protektionismus" gegen Südamerika aufbauen zu wollen.
"Neue Nägel in den Sarg des Abkommens"
Nach den Europawahlen soll der nächste Versuch unternommen werden. Inzwischen haben sich erste Rahmenbedingungen wieder verändert. Das gescheiterte EU-Lieferkettengesetz - von Umweltschützern und Menschenrechtsaktivisten gefordert und von Teilen der südamerikanischen Wirtschaft als kolonialer Übergriff auf die Souveränität wahrgenommen - ist gescheitert.
Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Umweltschutzorganisation Greenpeace zudem ein Rechtsgutachten, dass die juristische Grundlage des Freihandelsabkommen grundsätzlich in Frage stellt. Greenpeace kritisiert, dass es einer Ausweitung des Handels und des Seetransports führen könnte, was klimafeindlich sei. "Alle paar Tage kommen neue Nägel in den Sarg des Abkommens. Das Absurde ist, dass in der EU die meisten Fachleute überzeugt sind, dass Europa das Abkommen viel dringender braucht als Südamerika, trotzdem kommt Europa nicht zu Potte", sagt Moses.