Auszeichnung für NGO aus Kambodscha
29. November 2018Kann man in einem De-facto-Einparteienstaat sinnvolle Arbeit leisten, um gesellschaftliche Teilhabe, Bürgerbeteiligung und persönliche Rechte gegenüber dem Staat zu stärken? Ja, man kann, auch wenn es nicht immer leicht ist, sagen Socheat Lam von der kambodschanischen NGO "Advocacy and Policy Institute" (API) und Jan Noorlander, Programmdirektor der internationalen NGO CARE in Kambodscha. Der Kambodschaner Socheat Lam war am Dienstag nach Bonn gekommen, um dort im historischen Rathaus den mit 10.000 Euro dotierten Partnerschaftspreis von CARE Deutschland stellvertretend für seine Organisation in Empfang zu nehmen.
Die NGO API wurde für ihre Erfolge bei der Stärkung von Bürgerrechten auf lokaler Ebene gewürdigt. Ein Schwerpunkt ist dabei die Aufklärungsarbeit über die Rechte, die den Bürgern in Bezug auf staatliche Leistungen zustehen (Artikelbild), wie Socheat Lam gegenüber der DW erläuterte: "Die Menschen haben in den letzten Jahren mehr oder weniger willkürliche, regional unterschiedliche Gebühren für Behördendienste bezahlt, für die sie eigentlich gar nicht oder weniger hätten bezahlen müssen. Jetzt haben wir von API mit den Lokalbehörden und der Regierung zusammen dafür gesorgt, dass die Leute zum Beispiel nicht mehr ihre Schweine und Hühner verkaufen müssen, um das Geld für eine Heirats- oder Geburtsurkunde zusammenzubekommen."
Recht auf staatliche Dienstleistungen
Mit anderen Worten: Armutsbekämpfung durch Aufklärung über rechtliche Ansprüche und ihre Einforderung: "Social accountability" heißt das im Jargon der Entwicklungsorganisationen. Die Wirkung mag im Ausmaß nicht so gewaltig erscheinen, bedeutet aber für Menschen mit einem Einkommen von wenigen Dollar pro Tag sehr viel, sagt Socheat Lam.
Sein Kollege Jan Noorlander, Programmdirektor von CARE Kambodscha, erläutert näher, was sich hinter dem Oberbegriff "social accountability" verbirgt und wie sich die Einstellung der Bevölkerung verändert hat: "Den Leuten macht es heute nicht mehr so viel aus, zu fordern, dass ein Arzt rund um die Uhr verfügbar sein muss, wenn eine Geburt bevorsteht, und dass sie sich beschweren: 'Der Gesundheitsposten ist immer unbesetzt, was ist hier los?' Oder: 'In der Schule meiner Kinder ist von den Lehrern die Hälfte der Zeit nichts zu sehen'."
Raum für Arbeit von NGOs wird enger
CARE und die Partnerorganisation API betonen, dass sie in diesen Bereichen Ziele verfolgen, die im Prinzip auch von der Regierung in Phnom Penh verfolgt werden. Allerdings nimmt der Raum für die Mobilisierung von Bürgersinn und Beteiligung an der Lokalpolitik – trotz der von der Regierung propagierten Dezentralisierung – ab. Bei den Wahlen im vergangenen Juli hat der seit 1985 amtierenden Ministerpräsidenten Hun Sen durch die Ausschaltung der Opposition im Parlament und auch weitgehend in der Öffentlichkeit seine Machtstellung weiter gefestigt. Der Wunsch nach Kontrolle ist immer stärker geworden, konstatiert Noorlander, so dass man doch nicht gerne zu oft und zu laut die Stimmen unzufriedener Bürger hören möchte.
Das vor einigen Jahren erlassene neue Gesetz über NGOs in Kambodscha sei für sich genommen nicht außergewöhnlich, auch im Westen hätten solche Organisationen Vorschriften zu beachten, sagt Noorlander. "Aber die Umsetzung ist sehr strikt und aufwendig geworden, die bürokratischen Hürden sind sehr hoch." So gehe auch jeder Bericht von CARE über ein abgeschlossenes Projekt mit API vor der Veröffentlichung über den Schreibtisch einer Regierungsstelle.
Heikles Thema Demokratie
"Bei der Förderung von demokratischen Debatten und Verfahren auf lokaler Ebene haben wir es mit vielen Herausforderungen zu tun", räumt auch Socheat Lam ein. Man versuche, auch auf diesem Gebiet Bewusstsein zu schaffen, wohl wissend, dass das ein heikles Thema in Kambodscha ist. Aber durch die Kooperation mit CARE auf dem Gebiet 'social accountability' sei seine Organisation im guten Kontakt mit der Regierung. Auf diese Weise könnten politisch weniger heikle Themen auch durch heiklere Themen "ergänzt" werden, berichtet API-Direktor Lam.
Die EU-Kommission hatte im Oktober gedroht, Kambodscha die bislang gewährte Vorzugsbehandlung (Zollfreiheit für alle Waren außer Waffen, Everything but Arms, EBA) zu entziehen, wenn sich die Dinge in punkto Demokratie und Menschenrechte nicht verbesserten.
EU-Maßnahmen würden Arme zuerst treffen
Kambodscha-Experte Noorlander begrüßt einerseits, "dass die EU klar zu den inakzeptablen Vorgängen vor der Wahl im Juli Stellung bezogen hat." Andererseits habe man die EU auch darauf hingewiesen, dass von der Aufkündigung der Handelspräferenz für Kambodscha in erster Linie die 800.000 Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie betroffen wären, von denen wiederum 80 Prozent sehr junge Frauen seien. Diese Frauen überweisen den größten Teil ihres Lohns an ihre Familien in den armen ländlichen Gebieten. "Wenn sie ihren Job verlieren, erwarten ihre Familien nicht, dass sie dorthin zurückkehren. Sie werden sich neue Arbeit suchen, und nicht selten in der Prostitution enden."
Auch Noorlanders Kollege Socheat Lam hofft darauf, dass die EU ihre Drohung nicht wahr macht, denn die Maßnahme würde zu allererst die armen Leute treffen.
Was die weitere Entwicklung in Kambodscha betrifft, so setzen beide Entwicklungsexperten auf die Jugend des Landes. Diese habe das Vernichtungsregime der Roten Khmer und den anschließenden Bürgerkrieg bis 1998 nicht mehr erlebt und auch nicht die Strategie des "Überlebens durch Schweigen und Nicht-Auffallen" verinnerlicht. Sie habe ganz andere Möglichkeiten des Austauschs über soziale Medien und werde auf Dauer Bevormundung und Unterdrückung demokratischer Rechte nicht einfach schlucken.