Sergio Ramírez im Visier von Nicaraguas Justiz
13. September 2021Die Repression in Nicaragua macht auch vor internationalen Symbolen nicht mehr Halt: Sergio Ramírez, einer der berühmtesten Schriftsteller des mittelamerikanischen Landes und Kritiker des linken Präsidenten Daniel Ortega, wird der Geldwäsche, der Aufstachelung zum Hass und der "Untergrabung der nationalen Integrität" beschuldigt. Wenige Tage vor dem Haftbefehl hatte er die bevorstehenden Wahlen als "makaberen Scherz" bezeichnet.
Der Cervantes-Preisträger war einst ein Weggefährte Ortegas; beide waren Führungsfiguren der linken sandinistischen Revolution, bevor sie sich wegen politischer Differenzen überwarfen. Ortega hatte vor einigen Tagen erklärt, "Terroristen und Teufel in Soutanen" hätten einen neuen Aufstand gegen die Regierung geplant. Der Haftbefehl sorgte international für Empörung.
Internationale Kritik an "bösartigem Racheakt"
Damit begleicht Ortega in den Augen seiner Landsleute eine persönliche Rechnung mit einem seiner scharfzüngigsten Gegner. Die Schriftstellerin Gioconda Belli sprach von einem "bösartigen Racheakt". "Mir fehlen die Worte, um die Zustände in Nicaragua zu beschreiben", sagte sie dem Portal 100% Noticias. Belli ist ebenfalls eine ehemalige Weggefährtin und heutige Kritikerin Ortegas. Sie ging im Mai ins Exil und musste den von ihr geleiteten nicaraguanischen PEN-Club schließen. Ramírez konnte rechtzeitig nach Spanien ausreisen und sich der Verhaftung entziehen. Intellektuelle weltweit solidarisierten sich mit dem Verfolgten, viele von ihnen auch aus dem linken politischen Spektrum wie die mexikanischen Autoren Paco Ignacio Taibo II und Elena Poniatowska.
Der Schriftsteller ist aber bei weitem kein Einzelfall, sondern Opfer einer Repressionswelle, die sich seit Mai mit brutaler Härte gegen jeden richtet, der Kritik am Regime äußert – seien es Studenten, Journalisten, Priester, Unternehmer, Menschenrechtler oder indigene Basisorganisationen. Ortega und seine Ehefrau, die Vizepräsidentin Rosario Murillo, sind seit der brutalen Niederschlagung der Studentenproteste im Jahr 2018 auf einem zunehmend autoritären Kurs. Im November stellen sie sich zur Wiederwahl. Es ist das fünfte Mandat für Ortega, das zweite für seine Frau. Bei einer freien Wahl wären sie chancenlos, glauben viele Beobachter. Doch die wichtigsten Oppositionsparteien und -kandidaten wurden nicht zugelassen, sieben angehende Präsidentschaftskandidaten sogar ins Gefängnis gesteckt. Insgesamt zählen Menschenrechtler und Aktivisten über 150 politische Gefangene.
Ob es Ortega gelingt, den Widerstand zu brechen, ist jedoch unklar. Das Oppositionsbündnis UNAB verkündete nun, es werde in den Untergrund gehen, nachdem inzwischen zwölf seiner Mitglieder verhaftet wurden. "Der Widerstand ist nicht verschwunden. Wir können aber derzeit keine Details bekanntgeben, weil dies unsere Unterstützer in Gefahr bringen würde", sagte per Videokonferenz die Sprecherin des Bündnisses, Alexa Zamora.
International isoliert
Die Eskalation isoliert Nicaragua international immer stärker. Der Präsidentschaftskandidat der Linken in Chile, Gabriel Boric, erklärte, diejenigen, die von Ortega verfolgt und gepeinigt würden, seien nicht alleine. Am Donnerstag twitterte der Botschafter des bislang zurückhaltenden Mexiko eine Videobotschaft von Ramírez. Darin erklärte der Schriftsteller, die Vorwürfe seien dieselben, die einst Diktator Anastasio Somoza gegen ihn erhoben habe. "Die Diktatoren wiederholen fantasielos ihre Lügen, ihren Hass und ihre Launen. Derselbe Machtwahn, dieselbe blinde Verbohrtheit und dieselbe Mittelmäßigkeit."
Das nicaraguanische Außenministerium schickte daraufhin eine harsche Protestnote und warf dem Botschafter Einmischung in innere Angelegenheiten vor. In gänzlich undiplomatischem Ton hieß es, Mexiko spiele ein klägliches und miserables Spiel. Von "Eitelkeiten, Unterwürfigkeit und Lakaientum" war darin die Rede.
Auch in den USA wächst der Druck, Ortega härter an die Kandare zu nehmen. Einige ranghohe nicaraguanische Politiker, darunter Vizepräsidentin Murillo, stehen bereits auf der schwarzen Liste und bekommen damit kein Visum mehr oder müssen mit der Begschlagnahme von Eigentum rechnen. Auch die EU hat Sanktionen verhängt.
Doch es gäbe noch viel mehr Möglichkeiten, schrieb der einflussreiche Kommentator der US-Zeitung Miami Herald, Andres Oppenheimer. So verweigere der Internationale Währungsfonds Afghanistan und Venezuela Kredite wegen Menschenrechtsverletzungen, bediene aber weiterhin Ortega. "Die zuletzt gewährten Kreditlinien fließen direkt in die Zentralbank und können vom Regime Ortegas nach Gutdünken verwendet werden", kritisierte Oppenheimer.