Alarm für den Standort Deutschland
18. September 2022Nach den Erfahrungen mit unterbrochenen Lieferketten zu Beginn der Corona-Pandemie hat die Mobilitätsbrache zwar damit begonnen, ihre Produktion zu regionalisieren. Aber ausgerechnet Deutschland als Heimatstandort von Branchengrößen wie Bosch, Continental oder ZF Friedrichshafen profitiert nicht genug davon. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Top 100-Zuliefererstudie der Beratungsgesellschaft Berylls Strategy Advisors, die alljährlich die Entwicklung der weltgrößten Automobilzulieferer nachzeichnet.
"De facto halten sich Zulieferer mit Investitionen am Standort Deutschland gerade sehr zurück, ausgenommen Batteriehersteller aus Asien wie CATL oder Halbleiterhersteller wie Infineon, die bei uns Produktionsstandorte eröffnen", sagt Alexander Timmer, Partner bei Berylls gegenüber der DW. "Grund dafür ist, dass die Fertigungsprozesse in beiden Bereichen hochautomatisiert und damit von hohen Lohnkosten nahezu unabhängig sind", so Timmer.
Batterieherstellung benötigt sehr viel Energie
Allerdings sei die Batterieherstellung ein sehr energieintensiver Prozess, rund 40 kWh Energie würden pro produzierter kWh Batterie benötigt. "Energiekosten sind in Deutschland bereits bis zu acht oder neun Mal teurer als in anderen Ländern. Dies ist ein Grund, warum sich die Batterieindustrie in anderen EU-Ländern ansiedelt", ist sich Timmer sicher.
Als neuer E-Mobilitäts-Standort in der EU kristallisiere sich derzeit Ungarn heraus. Namenhafte Batteriehersteller bauten dort derzeit massiv Batteriefertigungskapazitäten auf. "Unterstützt wird der Trend durch die Autohersteller, die ebenfalls Standorte nach Ungarn verlagern und dort Fertigungskapazitäten aufbauen. Ein Beispiel ist BMW mit dem neuen Standort im ungarischen Debrecen."
Laut Berylls-Studie machen mittlerweile viele große Namen aus der Zuliefer-Branche aus China, Südkorea und Kanada "einen Bogen um Deutschland". Neben Ungarn werde dann beispielsweise lieber in der Slowakei oder Serbien investiert.
Deutsche Unternehmen machen weniger Gewinn
Auch diese Zahlen belegten den Bedeutungsverlust: Obwohl die deutschen Unternehmen in den letzten fünf Jahren nur geringfügig an Umsatz verloren hätten, erlitten sie einen starken Gewinneinbruch und verloren 4,9 Prozent ihrer Gewinnspanne. Segmente, in denen deutsche Zulieferer traditionell stark seien, hätten in den vergangenen Jahren klar an Gewicht eingebüßt. Umsätze und Profite gingen hier bereits zurück und diese Entwicklung werde sich fortsetzen.
"Dies betrifft vor allem 'traditionelle' Komponenten aus dem Bereich Verbrennungsmotor wie Kolben, Nockenwellen und ähnliches sowie aus dem verbrennungsmotorischen Antriebsstrang beispielsweise Schaltgetriebe, aber auch Fahrwerksbauteile wie Bremsen und Radaufhängungen", sagt Alexander Timmer.
Sämtliche Zulieferer, welche bis dato relevante Bauteile für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren gefertigt hätten, versuchten derzeit mit minimalen Investitionen noch möglichst lange am Markt profitabel zu sein und die letzten Vergaben der Hersteller für sich zu entscheiden. "Dieses Verhalten ist als 'Last Man Standing' bekannt. Damit wird dann der Übergang in neue Technologien und Komponenten für die E-Mobilität querfinanziert", so der Consulting-Manager.
Dies werde natürlich nicht nur bei den deutschen Zulieferern beobachtet, sondern sei ein globales Phänomen. "Hier sind deutsche Unternehmen aufgrund der Kostenstrukturen im Heimatmarkt im Hintertreffen gegenüber beispielsweise asiatischen Wettbewerbern. In der Folge steigt der Wettbewerbsdruck, gleichzeitig geraten Margen wie Umsätze unter Druck oder sind rückläufig", erklärt Timmer.
Chinas Zulieferer-Industrie auf dem Weg zur Nummer Eins
Von den Umbrüchen in der automobilen Welt profitierten laut Studie allen voran die chinesischen Zulieferer, aber auch Unternehmen aus Korea. Chinas Zulieferer-Industrie sei mit großen Schritten auf dem Weg zur internationalen Nummer Eins. Dabei spielten die dortigen Unternehmen erst seit Kurzem im Konzert der ganz Großen mit.
Die Studie betont auch das wachsende Potenzial, das Software im Auto besitzt. Schon in wenigen Jahren werde Software für 80 Prozent der Wertschöpfung in der Autoproduktion stehen - vor allem für die großen deutschen Zulieferer eine Chance. Bosch, Continental und ZF Friedrichshafen hätten sich zu diesem Thema klar positioniert, seien hier wettbewerbsfähig oder auf dem Weg dahin.
Wachsendes Potenzial der Software
In Software-Technologien sehen die Berylls-Experten die chinesischen Zulieferer noch nicht auf Augenhöhe mit den globalen Spitzenreitern. "Sie sind eher Fast Follower als Innovatoren, liefern bislang tendenziell Masse statt Klasse", so die Studie.
Für die deutschen Mittelständler sei das jedoch kein Grund zum Aufatmen. Denn sie befänden sich in einer äußerst prekären Situation, zwischen den asiatischen Unternehmen, die ihre Software-Kompetenz in den kommenden Jahren ausbauen würden und den wirklich großen Playern, die auf diesem Gebiet heute schon stark seien. Dem Mittelstand drohe, zwischen diesen finanziell gut ausgestatteten Wettbewerbern aufgerieben zu werden.