Böllerverbot: Das Ende einer Tradition?
29. Dezember 2019Erst mit Sekt anstoßen, dann raus auf die Straße, um Knaller und Raketen gen Himmel zu senden. So sieht ein durchschnittlicher Silvesterabend in Deutschland aus. Und den lassen sich die Deutschen einiges kosten. Im vergangenen Jahr hat die Branche laut Verband der pyrotechnischen Industrie einen Umsatz von 133 Millionen Euro erwirtschaftet.
Das private Feuerwerk ist in Deutschland feste Silvestertradition. Viele Menschen ziehen in den Tagen vor Silvester los und decken sich mit eigenen Raketen und Böllern ein - ganz anders als in anderen Ländern. In europäischen Städten wie Paris oder Dublin beispielsweise gibt es organisierte Feuerwerke an zentralen Punkten der Stadt.
Gefahr für Mensch und Mauerwerk
Allerdings birgt der typisch deutsche Jahresausklang erhebliche Nachteile. Das Abknallen der Raketen belastet die Umwelt, Tiere und Kinder erschrecken vor dem Lärm und jedes Jahr gibt es Hunderte Verletzte durch unkontrollierte oder fehlgeschlagene Böller-Explosionen. Daraus ziehen zahlreiche Städte in Deutschland Konsequenzen und verhängen ein Böllerverbot.
So wie in Aachen, einer Stadt an der deutsch-niederländisch-belgischen Grenze. Dort sind in diesem Jahr erstmals Raketen verboten, die höher als zwei Meter aufsteigen. "Wir wollen unsere historischen Gebäude schützen. Vor neun Jahren gab es wegen einer Silvesterrakete ein Feuer in einer unserer Kirchen, das den Hochaltar stark beschädigt hat", sagt Linda Plesch von der Stadt Aachen der DW. In der historischen Altstadt stehen der Dom, Fachwerkhäuser und antike Bauten dicht an dicht. Keine Raketen mehr zum Jahresausklang. Stirbt damit die Tradition des Silvesterböllers aus?
Begrenztes Böllern liegt im Trend
Auf den ersten Blick spricht einiges dafür, dass es in Deutschland tatsächlich bald am Jahresende so aussehen könnte wie in Paris. Dort wird eher auf Licht- und Lasershows gesetzt, private Böller sind verboten.Auch Städte wie New York und Sydney verbieten private Knaller. In New York ist es ohnehin unüblich, an Silvester zu böllern. Ein großes Feuerwerk gibt es stattdessen traditionell am Unabhängigkeitstag. Ähnlich ist es in Frankreich - auch dort gilt: Es ist zentral organisiert, kleine private Feuerwerke sind nicht erlaubt.
In Deutschland sprechen sich laut einer repräsentativen Umfrage des YouGov-Instituts im Auftrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland drei von vier Befragten für ein völliges oder zumindest ein begrenztes Böllerverbot aus, darunter sind 33 Prozent sogar für ein vollständiges Verbot. Besonders häufig befürworten Frauen ein (Teil-)Verbot. 80 Prozent würden es begrüßen, keine privaten Raketen mehr abschießen zu dürfen, bei den Männern sind es 69 Prozent.
Umweltschützer machen Druck
Angesichts der ohnehin hohen Zustimmung zu einem Böllerverbot appellieren Umweltschützer außerdem, sich um Nachhaltigkeit zu bemühen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat alle Bürger aufgefordert, Petitionen für ein Verbot von Böllern in ihren Gemeinden einzureichen. Zusätzlich hat die DUH 98 Städte angeschrieben und ihrerseits Böllerverbote gefordert.
Die DUH geht davon aus, dass die Silvesternacht erheblich die Umwelt belastet, mit einer Feinstaubbelastung von 5000 Tonnen innerhalb weniger Stunden. Das entspreche 16 Prozent der Feinstaubmenge, die jährlich im Straßenverkehr entstünde.
Teile der Wirtschaft ziehen mit
Unerwarteten Rückenwind erhalten Umweltschützer und Verbotsbefürworter aus der Wirtschaft. Erstmals erklärten einzelne große Handelsketten, in Zukunft keine Raketen und Böller mehr verkaufen zu wollen. Prominentester Vertreter ist die Baumarktkette Hornbach. Ab kommendem Jahr soll es kein Feuerwerk mehr im Sortiment geben.
Schon in diesem Jahr haben mehrere Supermärkte der Rewe- und Edeka-Ketten Silvesterkracher nicht mehr ins Regal geräumt. Einige argumentieren mit Umweltaspekten, andere mit Lärmschutz für Tiere. Alle riskieren Einbußen. "Wir verzichten auf den Umsatz und wir wissen nicht, wie die Kunden reagieren", sagte Christoph Windges, der einen großen Edeka-Markt in Nordrhein-Westfalen betreibt, der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
"Silvester 2.0" - noch nicht ganz
Die ersten Schritte hin zu einem raketenfreien Silvester in Deutschland sind da. Die Deutsche Umwelthilfe spricht gar von einer "Bewegung", die nun auch in Deutschland entstanden sei. "Silvester 2.0" könne beginnen. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber: Ganz so weit ist Deutschland noch nicht. Eine Umfrage der dpa unter 53 Städten und Gemeinden ergab, dass 23 Kommunen nur in bestimmten Gebieten ein Verbot erteilen. Ein komplettes Böllerverbot gilt nur an der Nordsee, auf den Inseln Föhr, Amrum und Sylt. Schon im August hat sich der Städte- und Gemeindebund gegen ein pauschales Böllerverbot ausgesprochen.
Und in den Städten, die sich für ein Teilverbot entscheiden, ist nicht der Umweltschutz ausschlaggebend. In Aachen habe er keine Rolle gespielt, sagt Plesch. Denn das städtische Umweltamt habe die Feinstaubdaten in den Stunden des Jahreswechsels ausgewertet und festgestellt: Die Belastung ist so gering, dass sie kaum in Gewicht fällt.
Sicherheit toppt Umwelt
In Bayerns Metropole München ist es ebenfalls nicht die Umwelt, die Sorgen bereitet, sondern die Sicherheit der Menschen. Die Stadt beruft sich auf eine Gefahreneinschätzung der Polizei. Demnach könne man nicht mehr sicher sein, "den Jahreswechsel im Herzen Münchens unbeschadet zu überstehen", betont die Stadt gegenüber der DW. Die Konsequenz: Kein Feuerwerk mehr in Teilen der Alt- bzw. Innenstadt. Überall sonst darf in der Landeshauptstadt weiter geböllert werden.
Tatsächlich beschränkt sich auch die Abkehr vom Böller als Ware auf eine Minderheit der Einzelhändler. Große Discounterketten verzichten bisher nicht geschlossen auf den Silvesterumsatz. Angesichts dessen gibt sich der Verband der pyrotechnischen Industrie gelassen. Die Diskussion um ein Böllerverbot nennen die Hersteller eine "Scheindebatte".