"Erlösung" für das Bachfest Leipzig
12. Juni 2021Die Kirchenbänke waren zwar nicht voll besetzt, der Applaus beim Eröffnungskonzert des Leipziger Bachfestes dafür umso frenetischer. "Wie schön, dass hier Menschen sind", freute sich Bürgermeister Burkhard Jung zur Begrüßung. Denn eigentlich war das Bachfest wegen Corona im Mai abgesagt worden. Spontan und kurzfristig konnte zu geplanten Streaming-Konzerten doch noch Publikum kommen.
Der Eröffnungs-Applaus galt dem Amsterdamer Baroque Orchestra und Chor unter der Leitung des Präsidenten des Bacharchivs Ton Koopman. Besonders gefeiert wurden die Bläser, denn Oboen, Hörner und Trompeten - alles historische Instrumente - hatten viele schwierige virtuose Passagen in der halligen Kirche zu bewältigen.
"Ich bin stolz, dass wir die Nerven behalten haben und das durchgezogen haben", sagt Michael Maul, Intendant des Bachfestes, im Gespräch mit der DW. Geplant waren ursprünglich über 100 Veranstaltungen. "Ich konnte wenigstens das Herzstück des Festes, den "Messias-Zyklus" retten mit 12 chorsinfonischen Konzerten, die sehr aufwändig zu realisieren waren", sagt Maul erleichtert. Das Motto des diesjährigen Bachfestes "Erlösung" konnte er - auch in Bezug auf Corona - wenigstens zum Teil einlösen.
Die Touristen fehlen
Sowohl live vor Publikum als auch über Live-Stream werden im Zyklus "Bachs Messias" insgesamt 30 Kantaten, drei Oratorien und die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach zu hören sein mit bekannten Bach-Orchestern und -Interpreten, darunter Masaaki Suzuki, Václav Luks, Justin Doyle und auch der Leipziger Thomanerchor.
Das Bachfest ist mit jährlich mehr als 70.000 Besuchern - 40 Prozent davon aus dem Ausland - das größte internationale Klassik-Festival in Deutschland. Sie alle kommen, um Bachs Musik an den Originalschauplätzen zu erleben. Die Touristenströme fehlen zwar in diesem Jahr, aber eiserne Bachfans haben sich die Anreise trotz Corona nicht nehmen lassen. "Ich weiß schon von Besuchern aus Monaco, Japan und Amerika. Die haben es durchgezogen und sich auf den Weg nach Leipzig gemacht", sagt Michael Maul
Bach in Zyklen kommt gut an
Gerade Bachkantaten sind beim Publikum beliebt. Deshalb hatte sich Michael Maul für dieses Jahr einen Kantaten-Zyklus rund um den Messias, den Erlöser Jesu von Nazareth, ausgedacht.
Zwar hat Johann Sebastian Bach kein eigenes "Messias"-Oratorium geschrieben wie Georg Friedrich Händel, aber verschiedene Stücke von Bach ließen sich durchaus zu einem eigenen großen Oratorium zusammensetzen. "Da findet man überall Kantaten, die sehr nah an den biblischen Ereignissen sind", sagt Maul, "eine klingende großangelegte Wirkungsgeschichte von Jesus in musikalischen Bildern."
Angefangen von der Verheißung und Geburt des Messias über die Bergpredigt, die Berufung der Jünger und die diversen Gleichnisse und Wunder bis hin zum Einzug in Jerusalem, Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt, nach Bibeltexten von Martin Luther. Füge man die 12 Konzerte aus dem Zyklus zusammen, sei das Ganze genauso umfangreich, wie der berühmte Opernzyklus "Der Ring des Niebelungen" von Richard Wagner, meint Michael Maul.
Der emeritierte Papst Benedikt ist Bach-Fan
Für die Chronologie der Ereignisse hat Michael Maul die Trilogie "Jesus von Nazareth" von Benedikt XVI. zu Rate gezogen. Es folgte ein reger Briefkontakt zwischen Kardinal Ratzinger und Michael Maul, in dem sich der emeritierte Papst als Liebhaber der Musik des Protestanten Bach bekannte.
Für das Bachfest schrieb er ein Grußwort, in dem er die zeitlose Wirkung von Bachs Musik als Botschafterin eines "vielerorts erloschenen Glaubens" herausstellt. "Es war ein sehr schönes Geleitwort zu dem Zyklus und ich weiß auch, dass er jetzt im Vatikan den Zyklus über unser Streaming-Angebot verfolgt", sagt Bachfest-Intendant Michael Maul.
Das Weihnachtsoratorium im Sommer
Das Eröffnungs-Wochenende stand im Zeichen der "Verheißung" und der Ankündigung der Geburt Jesu bis hin zu den Wundern die er vollbracht hat. Von der Geburt handelt auch Bachs Weihnachtsoratorium, das Thomaskantor Gotthold Schwarz mit denThomanern und der "Akademie für Alte Musik Berlin" aufführte. "Es ist schon eigenartig, das Werk jetzt im Sommer zu machen, aber in dem Moment, in dem man sich auf die biblische Geschichte des Weihnachtsevangeliums einlässt, kommt es einem nicht so deplatziert vor", sagt Gotthold Schwarz im Interview mit der DW.
Natürlich waren auch die Proben der Thomaner erschwert durch Corona. Schwarz konnte nur mit kleinen Gruppen proben. Weitere Thomaner wurden online zugeschaltet. "Wir haben auf diese Weise geschafft, dass der Chor zusammengehalten hat, das war das Wichtigste, dass jeder musikalische Aufgaben hatte."
Das Weihnachtsoratorium gehört zum Standard-Repertoire der Thomaner und war eigentlich vor der Pandemie schon in Planung, konnte aber nicht zu Ende geführt werden. "Jungen, die bei der letzten Aufführung noch im Sopran oder Alt waren, sind inzwischen in die Männerstimme gerutscht", sagt Schwarz. Allerdings würden die Generationen natürlich auch so wechseln. "Es ist immer wieder ein Neubeginn." Dass er letztendlich mit vierzig Thomanern verteilt im Chorraum der Thomaskirche singen durfte, hätte der Kantor nicht gedacht. "Das ist auf jeden Fall für alle Thomaner ein freudiges Ereignis."
Auch das Publikum war begeistert. Am Ende des Konzertes hielt es die Besucher nicht mehr auf den Sitzplätzen. Viele strömten begeistert applaudierend nach vorne, um Orchester und Chor mit Bravo-Rufen zu feiern.
Das Bachfest läuft noch bis zum 20. Juni. Alle Konzerte werden gestreamt und sind auch nach dem Fest noch ein Jahr lang auf einer neuen Plattform "bachfromhome.live" zu finden, ein Gemeinschaftsprojekt der Thüringer Bachwochen, des Bachfestes Leipzig und der Köthener Bachfesttage für alle Bachfans rund um den Globus, die nicht persönlich anreisen können.