Baerbock: "Klima muss jetzt Chefsache werden"
19. September 2021Vielleicht sollte es absichtlich so wirken, als würde gleich die künftige Kanzlerin des Landes zum Fototermin erscheinen: Über eine halbe Stunde ließ die Kanzlerkandidatin der Grünen die Fotografen und Kameraleute warten. Dann erschien Annalena Baerbock zusammen mit dem Co-Vorsitzenden Robert Habeck und weiteren Parteifreunden zum Auftaktbild.
Genau eine Woche vor der Bundestagswahl hat sich der Länderrat der Grünen mit rund 100 Delegierten zum so genannten "kleinen Parteitag" in Berlin getroffen, ein "starkes Zeichen für den Schlussspurt" zu setzen, wie es seitens der Grünen heißt.
Neuer Schwung nach schwierigen Wochen
Schwierige Wochen liegen hinter der Partei und ihrer 40 Jahre alten Kanzlerkandidatin und Co-Parteichefin. Die Schlagzeilen waren bestimmt von falschen Angaben in Baerbocks offiziellen Lebensläufen im Netz und von Plagiatsvorwürfen: Bei etlichen Zitaten in Baerbocks Buch fehlen die Quellenangaben.
Erst spät gelang es ihr, wieder über ihr zentrales Thema, den Klimaschutz, zu reden. Da waren die Grünen aber schon abgerutscht in den Umfragen - von rund 25 Prozent im Frühling auf derzeit 15 bis 17 Prozent.
Kanzlerschaft kaum noch in Reichweite
Eine Kanzlerschaft von Baerbock ist jetzt höchst unwahrscheinlich, die Umweltschutzpartei liegt hinter der SPD und der Union von CDU und CSU in den Umfragen auf Rang drei. Gleich zu Beginn ihrer Rede ging Baerbock darauf ein: "Ja, die letzten Wochen waren turbulent. Aber jetzt spüren wir wieder Zuversicht und Aufbruch", sagte sie. "Jeder Dritte ist noch unentschieden, das sind 20 Millionen Menschen, das ist eine Menge." Noch einmal eine Woche kämpfen um jede Stimme, sollte das heißen.
Die Nervosität bei den Grünen ist groß, und man fühlt sich ungerecht behandelt. Das verdeutlichte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, als er in seiner Parteitags-Eröffnungsrede sagte, im Wahlkampf hätten sich "75 Prozent aller im Netz verbreiteten Lügen gegen uns" gerichtet.
Ängste vor dem Klimaschutz nehmen
Jetzt wollen die Grünen noch einmal das Thema Klimaschutz in den Mittelpunkt stellen - und den Menschen ihre Ängste vor Wohlstandsverlusten und zu vielen Einschränkung im Alltag nehmen. In dem sechsseitigen Entwurf des "Sozialpakts für klimagerechten Wohlstand", den der kleine Parteitag beschlossen hat, geht die Partei deutlicher als bisher darauf ein. Der Weg in eine klimaneutrale Gesellschaft gehe "einher mit der Angst, ins Hintertreffen zu geraten, der Sorge, zu verlieren, was man sich aufgebaut hat und worauf man stolz ist", heißt es da etwa.
Die Grünen versprechen, die Menschen nicht im Stich zu lassen, wenn wegen der Klimaschutzpolitik die Benzinpreise weiter steigen. Außerdem müsse es eine der ersten Handlungen einer neuen Regierung sein, den Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben. Baerbock rief den Delegierten zu: "Jetzt, in diesem Moment, in dem ein Großteil der deutschen Wirtschaft ja sagt zum Schutz des Klimas, dann muss das doch jetzt Chefsache werden."
Klares Bekenntnis zu einem Bündnis mit der SPD
Die Stimmung unter den Delegierten war trotzig optimistisch. Claudia Roth, Grünen-Urgestein und Vize-Präsidentin des Bundestags, nannte der DW am Rande des Treffens, einen Grund: Bei einer Wahlveranstaltung mit Annalena Baerbock im bayrischen Augsburg seien mehr als 2000 Menschen erschienen, die Auftritte von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hätten nur rund 400 Menschen besucht.
Verschiedene Redner machten deutlich, dass die Grünen am liebsten zusammen mit der SPD regieren würden. Baerbock selbst hatte vor dem Parteitag in einem Interview mit dem "Handelsblatt" gesagt, die Union von CDU und CSU stehe für "Stillstand in unserem Land" und sei "ohne Führung und Planung". Auf dem Parteitreffen begründet sie das dann auch mit ihrer Meinung nach "wenig menschenrechts-geleiteten Außenpolitik der letzten Jahren", die sich etwa beim Truppenabzug aus Afghanistan gezeigt habe, wie Habeck im Interview mit der DW sagte.
Ein Bündnis mit der SPD allein hätte nach aktuellen Umfragen allerdings keine Mehrheit. Die Grünen und die SPD müssten bräuchten einen weiteren Koalitionspartner. Und dafür kämen dem Vernehmen nach nur FDP und Linke in Frage. In jedem Fall, sieht es aus, als stünde den Parteien eine schwierige Koalitionsbildung bevor.