Bald bessere Luft in Europa?
28. April 2017Laut EU-Umweltagentur sterben jedes Jahr rund 430.000 Menschen vorzeitig durch schlechte Luft , verursacht vor allem durch Industrie und Verkehr. Viele Menschen leiden an Asthma und chronischer Bronchitis, die Krankenkassen haben deshalb Zusatzkosten von vielen Milliarden.
Experten aus den Regierungen, von Industrie und Umweltverbänden suchen in Brüssel nach Lösungen für das Problem, nach besseren Umweltstandards, um so die Gesundheit der Bürger zu schützen, nach verfügbaren Technologien, die die Industrie einbauen kann um Schadstoffe zu reduzieren.
Im sogenannten Komitologieausschuss werden die Möglichkeiten ausgelotet und neue Umweltstandards festgelegt. Dahinter steckt ein aufwendiges, wenig transparentes Verfahren, indem aber auch die Industrielobby kräftig um ihre Interessen kämpft.
Nun haben sich die Experten aus den 27 Mitgliedsländern zur 'Novelle für Technikstandards von Großfeueranlagen' auf einen Entwurf geeinigt. Auf 77 Seiten wurde festgelegt, wie viel Gift die rund 55.000 Industrieanlagen in Europa ab 2021 noch in die Luft ausstoßen dürfen. Es geht vor allem um die Emissionen von Quecksilber, Feinstaub, Schwefeldioxid (SO2) und Stickstoffdioxid (NO2) für alte und neue Anlagen. Es wird geregelt, welche Ausnahmen und Übergangsfristen es in der EU noch gibt.
Luft wird besser
Heute wollen die Vertreter der EU-Regierung in Brüssel über die neuen Standards abstimmen. "Wir sehen es als großen Fortschritt an, dass in Europa jetzt für alle Staaten Emissionsanforderungen an Großfeuerungsanlagen etabliert werden", erklärt Pressesprecherin Nina Wetter vom Bundesumweltministerium. "Das heißt: erstmals müssen alle EU-Länder ambitionierte Grenzwerte festlegen und zwar ausgerichtet am fortgeschrittenen Stand der Technik."
Positiv bewerten auch Umwelt- und Gesundheitsverbände den vereinbarten Kompromiss. "Obwohl technisch mehr möglich wäre, bedeuten diese neuen EU-Emissionsvorgaben eine bessere Luft in Europa", erklärt Christian Schaible vom europäischen Umweltbüro in Brüssel, der als Vertreter der Umweltverbände die Verhandlungen begleitet.
Streit um Schadstoffe aus Kohlekraft
Umstritten sind vor allem die Grenzwerte für die Kohlekraftwerke. Die rund 280 Kohlekraftwerke in der EU sind hauptverantwortlich für Schwefeldioxid und hochgiftiges Quecksilber in der Luft und bei den Stickoxiden nach dem Straßenverkehr der zweitgrößte Verschmutzer.
Heftig kämpft vor allem die Braunkohleindustrie um möglichst wenig strenge Grenzwerte für Quecksilber und NOX ab 2021 und findet auch Entgegenkommen in der deutschen Politik: "Ich verstehe Ihre Sorgen in Bezug auf die Verschärfung der Emissionsgrenzwerte für Quecksilber", schreibt Matthias Machnig (SPD), Staatssekretär im Wirtschaftsministerium an den Energiekonzern RWE und verspricht bei der Umsetzung der zukünftigen EU-Vorgaben Grenzwerte im "oberen Bereich". Das Schreiben liegt der DW vor.
Auch setzt sich die Regierung für höheren Grenzwerte für Stickoxid bei der Braunkohleverstromung ein und will die vorgeschlagene EU-Obergrenze von 175 Milligramm pro Kubikmeter (mg/m3) Luft noch um 15 Milligramm anheben.
Mit Blick auf den anstehenden Kohleausstieg will die Regierung die Energieunternehmen anscheinend schonen. "Man sollte eher die Diskussion führen, ob man diese Anlagen überhaupt noch modernisieren will", sagt Immissionsexperte vom Bundesumweltamt Rolf Beckers in der Süddeutschen Zeitung.
Umweltverbände halten das Aufweichen von Grenzwerten allerdings für gefährlich und auch nicht nötig. "Die vorgesehenen EU-Grenzwerte gelten erst ab 2021 und zudem gibt es in der Novelle Übergangsfristen und Ausnahmenreglungen. Ein Kohleausstieg wird dadurch nicht behindert", sagt Schaible der DW.
"Die Bundesregierung schützt giftige Braunkohlekraftwerke, statt Bürgerinnen und Bürger. So werden über drei Jahre verhandelte Ergebnisse torpediert und europäische Prozesse zur Makulatur", ergänzt Viviane Raddatz von der Umweltorganisation WWF.
Tina Löffelsend vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) setzt auf die Stimmen der anderen EU-Mitgliedsstaaten. "Zum Wohle aller Europäer müssen sie handeln und die Bundesregierung überstimmen."