Islamisten auf dem Vormarsch
8. Mai 2013Die treibende Kraft hinter den Demonstrationen gegen die Regierung unter Premierministerin Sheikh Hasina ist die bisher kaum in der Öffentlichkeit beachtete islamistische Gruppe "Hefazat-e-Islam". Angeführt wird sie von dem muslimischen Denker Shah Ahmed Shafi. Ihm zufolge ist Hefazat eine unpolitische Organisation. Sie wolle lediglich verhindern, dass der Islam "unterminiert" werde. Durchsetzen will die Gruppe ein 13-Punkte-Programm mit radikalen Forderungen. Dazu gehören Vorstellungen, die der deutsche Botschafter in Bangladesch, Albrecht Conze als "fundamentalistisch" einstuft. Hefazat will unter anderem härtere Blasphemiegesetze, die Todesstrafe für sogenannte atheistische Blogger und eine strengere Geschlechtertrennung. Die Gruppe fordert einen besonderen Schutz des Islam und die Wiederherstellung des Bezugs auf Allah in der Verfassung. Frauen, so Hefazat, sollen außerhalb des eigenen Heims keine Arbeit annehmen dürfen.
Afghanistan-Connection
Solche Forderungen seien mit der liberalen Verfassung des Landes nicht vereinbar, sagt Shamim Mohammad Afjal, Direktor der Islam-Stiftung in Dhaka, der Deutschen Welle: "Unter den 13 Forderungen sind einige, die auf islamischen Lehren basieren, aber die Art, wie sie interpretiert werden, ist fehlerhaft. Außerdem unterstützt der Islam nicht die Anwendung von Gewalt". Sufia Akhtar, eine Sprecherin der Frauenorganisation Mahila Parishad und Frauenrechtsaktivistin erklärt kämpferisch gegenüber Zeitungsreportern, "wir (Frauen) werden keineswegs zulassen, dass die Mullahs eine Taliban-Herrschaft hier in Bangladesch etablieren. Warum sollen wir akzeptieren, dass Bangladesch in ein Afghanistan verwandelt wird?"
Diese Befürchtung ist verständlich. Einer der Anführer Hefazats ist Maulana Habibur Rahman, Leiter einer Koranschule. Er brüstet sich mit Kenntnissen des sogenannten heiligen Krieges in Afghanistan, die er vor Ort in den achtziger Jahren gesammelt habe sowie mit seiner Unterstützung des damaligen Al-Kaida-Anführers, Osama bin Laden. Seine Vorstellungen ernten Anerkennung bei den Anhängern von Hefazat, hauptsächlich Studenten und Lehrer vieler Koran-Schulen und Theologie-Seminare. Aufgefallen ist Hefazat Anfang 2010 als neue Dachorganisation der Gegner einer säkularen Bildungspolitik der Regierung Sheikh Hasina. Von Anfang an fielen die Anhänger durch sehr hohe Gewaltbereitschaft auf. 2011 protestierten sie mit Straßenkrawallen gegen die Gleichstellungspolitik der Regierung.
"Unterstützung der Opposition"
Beobachter gehen davon aus, dass Hefazat jetzt deshalb so viel Einfluss gewonnen hat, weil die kleine, aber sehr radikale islamistische Oppositionspartei, Jamaat-e-Islami, durch den Kriegsverbrecherprozess gelähmt ist. Einige ihrer Anführer sind entweder angeklagt oder untergetaucht. Unter den Angeklagten sind auch Mitglieder der größten Oppositionspartei Bangladesh Nationalist Party. Die Anklage lautet auf Völkermord und Vergewaltigung während des Unabhängigkeitskriegs gegen Pakistan vor über 40 Jahren. Damals sollen Gräueltaten gegen die Aufständischen verübt worden sein, die für die Unabhängigkeit des damaligen Ostpakistans eintraten. Die Milizen sollen mehr als 200.000 Frauen vergewaltigt haben. Im Januar gab es bereits die ersten Todesurteile.
Dass die größte Oppositionspartei des Landes, Bangladesh National Party (BNP), die Proteste gegen die Regierung unterstützt, liege auf der Hand, sagen Beobachter. Die BNP, angeführt von Khaleda Zia, sieht den Kriegsverbrecherprozess als politisches Instrument der Regierung an. Sie sei offenbar daran interessiert, die islamistische Protestwelle als Druckmittel einzusetzen, weil Premierministerin Sheikh Hasina sich weigert, den Prozess einzustellen und auch nicht bereit ist, vor den für das Jahresende angesetzten Parlamentswahlen eine Übergangsregierung einzusetzen. Am ersten Sonntag im Mai brachten die Islamisten Dhaka zum Stillstand. Bis zu 200.000 Demonstranten blockierten die Hauptverkehrswege und forderten lautstark "die Todesstrafe für alle Atheisten". 15 Menschen sollen nach offiziellen Angaben seit Januar bei den Protesten getötet worden sein. Dr. Khandakar Mosharraf Hossain, führender Parteifunktionär der oppositionellen BNP, hält diese Zahl für viel zu niedrig. Außerdem macht er im Interview mit der Deutschen Welle die Regierung für die Todesfälle verantwortlich: "Die Art und Weise, wie die Regierung Hunderte Menschen in der Nacht tötet und ihre Leichen irgendwo ablegt, kann keine moderne Gesellschaft akzeptieren. Ich kann nicht alle Forderungen von Hefazat unterstützen, aber ich werde auch nicht sagen, ich unterstütze sie nicht."
Als Anhänger der Regierungspartei sowie Studenten und liberal gesinnte Bangladeschis in einer Reihe von Gegendemonstrationen auf dem zentral gelegenen Shahbag-Platz in Dhaka die Todesstrafe für weitere Angeklagte forderten, gingen Hefazat-Anhänger mit äußerster Gewalt gegen sie vor. Mehrere Blogger, die ebenfalls die Todesstrafe für die Verurteilten befürworteten, wurden auf offener Straße ermordet. Die Islamisten bezeichneten sie abwertend als Atheisten und verlangten nun im Gegenzug die Todesstrafe für die Blogger.
Vorwürfe gegen Koranschulen
Um eine weitere Eskalation zu verhindern, sah sich bald die Regierung gezwungen, mehrere Blogger festzunehmen. Mahbubul Alam Hanif, Generalsekretär der regierenden Awami-Liga und Berater der Premierministerin räumt diese Konzession gegenüber den Islamisten ein: "Wir haben einige Forderungen akzeptiert. Aber manche können wir nicht akzeptieren. Würden wir alle Forderungen akzeptieren, hieße unser Land Afghanistan. Wir werden jetzt alle Hefazat-Aktivitäten mit harter Hand beenden." Die Polizei hat inzwischen Anklage gegen fast 200 Hefazat-Anhänger erhoben. Informationsminister Hasanul Haque Inu warf den Leitern der Koran-Schulen in Bangladesch vor, gezielt ihre Schüler auf "terroristische Aktivitäten" vorzubereiten und sie auf die Straße zu schicken, um gegen die Regierung zu protestieren.
Internationale Menschenrechtsorganisationen und Pressevertreter haben die Regierung Bangladeschs inzwischen aufgefordert, die Meinungsfreiheit zu respektieren und die Blogger freizulassen. Doch die Gewalt eskaliert weiter - und weitere Demonstrationen sind geplant.