Leverkusen verspielt (fast) alles
21. Februar 2021Diesmal war es Torhüter Niklas Lomb: Der Ersatzmann des angeschlagenen Stammkeepers Lukas Hradecky trat in der fünften Spielminute im eigenen Strafraum am Ball vorbei und ermöglichte Augsburgs Florian Niederlechner ein Tor der einfachsten Kategorie. "Das ärgert mich natürlich brutal, dass ich so gepatzt habe", sagte der 27-Jährige, der in Augsburg sein zweites Bundesliga-Spiel bestritt. "Die Mannschaft hat versucht, mir zur helfen. Das haben sie mit dem Ausgleich in letzter Sekunde geschafft. Schade, dass es nur zu einem Punkt gereicht hat."
Zwar rettete der Treffer von Edmond Tapsoba das Ergebnis noch irgendwie, unter dem Strich war es aber dennoch wieder zu wenig. Vor zwei Monaten, bis zum Spitzenspiel gegen den FC Bayern am letzten Spieltag vor der Weihnachtspause, war Bayer Leverkusen noch Tabellenführer. Vieles schien möglich mit einer Mannschaft, die kaum Fehler machte, spielerisch überzeugte und noch ungeschlagen war.
Saisonziel in Gefahr
Seitdem ist alles anders: Spielwitz und Gala-Fußball sind die Ausnahme. Meistens scheitert das Team an seiner Ideenlosigkeit gegen defensiv stehende Gegner. Und in der eigenen Defensive häufen sich die Fehler. Von den vergangenen neun Bundesliga-Partien konnte die Werkself nur zwei gewinnen. Von 27 möglichen Punkten holte man gerade einmal neun. Außerdem schied man auf mehr oder weniger peinliche Weise gegen Viertligist Rot-Weiss Essen im DFB-Pokal aus. Auch in der Europa League muss nach dem 3:4 im Hinspiel bei Young Boys Bern um den Achtelfinaleinzug gebangt werden.
In der Bundesliga heißt die bittere Realität statt Tabellenführung nach 22 Spieltagen Platz fünf. Aus dem Titelrennen hat man sich längst verabschiedet. Und das Team von Peter Bosz hat bereits fünf Punkte Rückstand auf die viertplatzierte Frankfurter Eintracht. Das Minimalziel, die Qualifikation für die Champions League, gerät in Gefahr. "In der Hinrunde waren wir sehr stabil. Das kommt aber auch daher, dass wir die Spiele gewonnen haben. Wenn du Spiele gewinnst, ist es immer einfacher", sagte Trainer Peter Bosz nach dem Spiel in Augsburg und appellierte nicht zum ersten Mal an seine Mannschaft: "Wir müssen mehrere Spiele hintereinander gewinnen. Dann kommt das gute Gefühl wieder."
Verletzungen als Erklärung nicht ausreichend
Allerdings haben seine Spieler das schon lange nicht mehr umgesetzt. Warum es nicht mehr läuft, lässt sich zum Teil mit einer Serie von Verletzungen begründen. Mit Torhüter Lukas Hradecky, Abwehrspieler und Kapitän Lars Bender, seinen Abwehrkollegen Santiago Arias und Mitchell Weiser, dem Mittelfeld-Staubsauger Julian Baumgartlinger, sowie den schnellen Flügelstürmern Karim Bellarabi und Paulinho wären die Optionen für Bosz vielfältiger und vieles wäre womöglich einfacher.
Als Erklärung, warum man in letzter Zeit kaum noch selbstbewusste Auftritte hinbekommt und sich die individuellen Fehler häufen, reicht die Verletztenliste aber nicht aus. Gegen Augsburg war es Lomb, beim Spiel in Bern patzte die Hintermannschaft zweimal bei Ecken, außerdem trat Aleksandar Dragovic am Ball vorbei. Beim 2:2 gegen Mainz führte Leverkusen bis zur 89. Minute 2:0. Dann ließ man zuerst Robert Glatzel alleine aufs Tor laufen und schließlich klärte Sven Bender den Ball vor die Füße von Kevin Stöger, der locker abstauben konnte. Die Reihe ließe sich lange beliebig fortsetzen.
Durchhalteparolen und Floskeln
Die Situation ist vertrackt. Peter Bosz spricht die Fehler offen an, redet Dinge nicht schön und gibt oft zu: "Wir waren schlecht." Besser wird es dadurch aber nicht. Sollte Leverkusen nicht tatsächlich bald einen Lauf starten und die momentanen "Überflieger" aus Wolfsburg und Frankfurt noch abfangen, droht das zweite Jahr in Folge ohne Champions-League-Teilnahme. Und möglicherweise gefährdet das neuerliche Verpassen der Saisonziele dann auch die Zukunft von Bosz in Leverkusen.
Dessen Spieler flüchten sich derweil fast schon in Durchhalteparolen und trösten sich damit, dass zumindest die Moral stimmt. "Wir haben nie aufgegeben, das ist das Positive", sagte Niklas Lomb. "Wir haben immer weitergearbeitet und wollten das Tor machen, welches uns in letzter Sekunde gelungen ist."
Abwehrchef Sven Bender pflichtete ihm bei: "Ich freue mich über den Punkt. Wenn man 94 Minuten in Rückstand liegt, dann muss man glücklich darüber sein", sagte Bender und schickte noch eine Floskel hinterher: "Wenn wir unser ganzes Potenzial ausschöpfen, können wir jeden Gegner bestehen", sagte Bender. Schaffen die Leverkusener das allerdings nicht, sind sie ihrerseits für jeden Gegner zu schlagen.