Kehren die Benin-Bronzen zurück?
28. März 2021Benin City im Südwesten Nigerias. In den letzten Jahrzehnten hat die Stadt mit zweieinhalb Millionen Einwohnern traurige Berühmtheit erlangt: Sie gilt als Drehkreuz für den Menschenhandel. Einst war sie Teil des Königreichs Benin und eine florierende Handelsstadt, berühmt für ihre wertvollen Bronzearbeiten. Von hier stammen die sogenannten Benin-Bronzen, die es in vielen großen europäischen Museen zu bewundern gibt. Unter anderem sollen sie im Herbst das Herzstück der großen Ausstellung zur Eröffnung des neuen Berliner Humboldt Forums sein.
In Benin City wird heute wie vor 700 Jahren Bronze nach alter Tradition gegossen. Osarugue Okundaye ist in der Igun Street, der Straße der Bronzegießergilde, geboren. Wie sein Vater vor ihm, hat auch er das Handwerk gelernt. Dass sich die Kunstwerke seiner Ahnen außerhalb Nigerias befinden, erfülle ihn mit tiefer Trauer: "Die Bronzen sind sehr, sehr wichtig für uns. Sie symbolisieren Würde, Königswürde. Ich freue mich, wenn wir sie eines Tages zurückerhalten. Doch ich glaube nicht daran."
Das geraubte Erbe Benin Citys
1897 fielen die Briten bei einer sogenannten Strafexpedition in Benin City ein: Den "Oba", den König, verbannten sie ins Exil. Sie zündeten die Stadt an und verwüsteten sie, raubten Tausende von Kunstobjekten, darunter 3500 bis 4000 Bronzen. Rund 1100 davon gelangten als Ankäufe nach Deutschland, allein 440 nach Berlin, das sich damit die zweitgrößte Sammlung weltweit sicherte. Ihr Besitz ist legal, aber nicht legitim: An den Stücken klebt nachweislich Blut.
Bereits kurz nach dem Massaker von 1897 forderte das damalige Königreich Benin die Bronzen zurück, das heutige Nigeria kämpft seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1960 darum, die wertvollen Artefakte zurückzuerhalten. Bislang ohne Erfolg. Zuletzt war ein peinliches diplomatisches Verwirrspiel um die Bronzen entstanden. Doch seit Anfang des Jahres ist Bewegung in die vielschichtige Debatte gekommen: Außenminister Heiko Maas hat sich für eine korrekte Restitution und einen aufrichtigen Umgang mit der Kolonialgeschichte ausgesprochen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat Hermann Parzinger, den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, beauftragt, eine "Strategie" für die Museen zu entwickeln, die Kunst aus Unrechtkontexten besitzen.
Ein Paradigmenwechsel kündigt sich an
"Ich glaube, wir haben eine Art kulturellen Mauerfall erreicht", meint Bénédicte Savoy. Die Historikerin gilt als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Stimmen zum Thema Raubkunst. Seit fünf Jahren verstecke man sich hinter Ausflüchten; die Objekte seien legal erworben, man müsse sie als Zeugen der Geschichte Europas in der Welt ausstellen, führt Savoy weiter aus. "Und plötzlich heißt es: Ja klar, wir geben zurück, wir werden das organisieren, wir machen eine Konferenz, und das ist sehr neu. Das ist elektrisierend. Und es wird auch kommen."
Im Humboldt Forum richtet man sich jedenfalls schon mal darauf ein, womöglich ohne die Originale auszustellen: "Wir müssen schauen, ob es Sinn macht, Lücken zu lassen und Erklärtexte dazuzustellen. Oder ob wir Gipsabgüsse von den Objekten ausstellen, von denen wir welche haben", erklärt Jonathan Fine, Leiter der Ethnologischen Sammlung am Humboldt Forum. "Als Kurator ist es sehr aufregend, sich mit dem globalen Wandel zu beschäftigen und zu versuchen, eine Ausstellung nicht als etwas Statisches zu betrachten, sondern als etwas, das Teil des Dialogs ist und es wirklich wagt, das Publikum in den Wandel einzubeziehen, während er passiert."
Wer gibt zurück und an wen?
In den Wandel einzubeziehen - so er denn wirklich vollzogen wird. Denn die Bestände, einschließlich der 440 Bronzen, gehören nicht dem Humboldt Forum, sondern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Diese hat zwar schon signalisiert, dass eine Restitution "als Option mitbetrachtet" werden solle, aber letztlich bleibt auch die Frage, an wen die Kunstschätze zurückgegeben werden sollen: An den Königspalast? An den nigerianischen Staat, das Nationalmuseum in Benin City oder an das neue "Museum of West African Art", das bis 2024 in Benin City entstehen soll und für das Andreas Görgen, Leiter der Kulturabteilung des Außenministeriums, eine Museumskooperation aufbauen soll?
Für die Restitution ist nicht zuletzt die "Benin Dialogue Group" zuständig, in der deutsche Museumsverantwortliche mit Vertretern Nigerias zusammenarbeiten. Im Interview mit der DW kritisiert Yusuf Tuggar, der Botschafter Nigerias, die Arbeit der Gruppe, die sich bereits seit 2010 um einen "Dialog auf Augenhöhe" im Rückgabestreit bemüht. Zuletzt sei davon die Rede gewesen, die Bronzen als Dauerleihgaben an Nigeria zurückzugeben. "Das ist völlig inakzeptabel", sagt Tuggar. "Das ist keine Rechtsstaatlichkeit. Das ist keine gute Regierungsführung. Das ist keine internationale Best Practice." Weiter fordert der Botschafter nicht nur die Rückgabe der Benin-Bronzen, sondern auch die der Ife-Bronzen, die in den 1930er-Jahren in der nigerianischen Stadt Ife gefunden wurden, sowie weiterer Kunstwerke aus der Nok-Kultur.
Symbol für koloniale Erniedrigung
Bei der hochemotionalen Diskussion geht es um viel mehr als um die bloße Rückgabe von Kunstschätzen. Die Bronzen sind zu einem Symbol für koloniale Erniedrigung geworden. Mehr noch, für manche sind sie ein Beweis für das Fortbestehen kolonialer Strukturen, so etwa für Emery Mwazulu Diyabanza. Der kongolesische Aktivist machte im Sommer 2020 Schlagzeilen, als er einen afrikanischen Totempfahl aus dem Pariser "Musée du Quai Branly" entwendete und seine Aktion in den sozialen Netzwerken teilte. Im Anschluss musste er sich in Paris vor Gericht behaupten, kam aber mit 1000 Euro Geldbuße, einer wohl eher symbolischen Strafe davon, die vermutlich Nachahmer abschrecken sollte.
Mit Diyabanza schaltete sich 2020 eine ganz neue Stimme ein: Da sprach kein Politiker, kein Wissenschaftler oder Museumsmensch, sondern ein in Paris lebender Kongolese, der sich für die die afrikanische Diaspora zu Wort meldete.
Im Interview mit der DW erklärt Diyabanza, dass er und seine pan-afrikanische Gruppe "Einheit, Würde und Mut" auch Aktionen in Deutschland planen. "Die deutsche Öffentlichkeit ist in der Restitutionsfrage geteilt. Es gibt viele, die mit diesen abscheulichen Verbrechen nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollen", so der Aktivist.
Nigerias lebendige Kunstszene
Diyabanza ist nicht allein mit seinem Wunsch nach einem Neuanfang. Auch die nigerianische Künstlerin Oyenike Monica Okundaye möchte mit der Vergangenheit abschließen, wenn auch auf ganz andere Weise als Botschafter Tuggar oder Aktivist Diyabanza. "Wir brauchen die Werke nicht zurück. Wenn sie in den europäischen Museen stehen, können sie unsere Kinder, die nicht zurück nach Nigeria reisen können, sehen und erleben", meint Okundaye, die in Lagos die größte Kunstgalerie der Region betreibt. Über 5000 nigerianische Künstler haben schon bei ihr ausgestellt.
"Die Artefakte repräsentieren unsere Seele, unser Land in jedem Museum der Welt. Das ist gut, aber wir Künstler müssen auch neue Werke erschaffen, die dann gesehen werden können."
Nun bleibt abzuwarten, wie dieser jahrzehntelange Streit um Wiedergutmachung und Identität ausgeht - und wie lange es noch dauern wird, bis eine Entscheidung fällt.