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Streit um Entschädigung für Guarneri-Geige

9. Februar 2021

Ein jüdischer Musikalienhändler verkaufte 1938 eine wertvolle Geige: "NS-fluchtbedingt", meint eine Kommission. Die Erben warten seit Jahren auf Entschädigung.

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Stiftung sucht Vorbesitzer einer Geige
Wem gehört die Guarneri-Geige von 1706? Erben fordern EntschädigungBild: picture-alliance/dpa

Eigentlich müsste der Streit um die Guarneri-Geige längst beigelegt sein. Doch die vereinbarte Entschädigungszahlung an die Erben des jüdischen Musikalienhändlers Felix Hildesheimer ist bis heute nicht bezahlt. Die Beratende Kommission für die Rückgabe von NS-Raubkunst, die 2016 hinzugezogen wurde, zeigt sich deshalb verärgert.

"Der Erbengemeinschaft, deren deutsche Vorfahren unter der Herrschaft des Nationalsozialismus schwerer Verfolgung ausgesetzt waren, wird seit vier Jahren der Eindruck vermittelt, einer Wiedergutmachung historischen Unrechts stünden in Deutschland politischer Unwille und bürokratische Hürden im Weg", heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der Kommission. Aber warum ist bisher nichts geschehen?

Guarneri Geige aus Nürnberg
Wertvolle Handarbeit: Die umstrittene Guarneri-Geige wurde im italienischen Cremona gefertigtBild: Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung

Juristische Spiegelfechterei 

Einer gütlichen Einigung zwischen der Nürnberger Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung und den Erben des Musikalienhändlers Hildesheimer schien 2016 nichts mehr im Wege zu stehen. Beide hatten der Vereinbarung zugestimmt: "…dass die Geige […] in der Stiftung verbleibt und diese zum Ausgleich einen Betrag von 100.000 Euro an die Erben zahlt." 

Doch bis heute ist die Zahlung nicht erfolgt. Was auch daran liegt, dass die Empfehlung der Kommission keine Rechtsverbindlichkeit hat. Verschiedene Medien, darunter auch DW und New York Times, berichteten darüber. Die Stiftung verschanzt sich in einer Pressemitteilung vom 3. Februar diesen Jahres hinter Gesprächen, "um die juristischen Voraussetzungen zur Zahlung der Ausgleichssumme zu klären." 

Geige wird im Tresor verwahrt

Der Gegenstand des Rechtsstreits ist eine Violine des berühmten Geigenbau-Meisters Guiseppe Guarneri. Gefertigt wurde das Instrument im Jahr 1706 in Cremona, der Hochburg der virtuosen italienischen Geigenbauer. Guarneri-Geigen sind ebenso berühmt wie die Streichinstrumente von Antonio Stradivari. 

Musikprofessor Daniel Gaede hält die Guarneri Geige hoch.
2014 wurde die Guarneri-Geige vom Vorstand der Hagemann-Stiftung Daniel Gaede der Öffentlichkeit präsentiertBild: Thomas Senne

Heute wird das wertvolle Instrument in einem Tresor in Nürnberg aufbewahrt. Derzeitiger Besitzer ist die dortige Hagemann-Stiftung des musikliebenden Ehepaars, deren Namen sie trägt. Laut Stiftungszweck soll die Geige besonders begabtem Musiker-Nachwuchs an der Nürnberger Musikhochschule zur Verfügung gestellt werden.

Im Zentrum der andauernden Streitigkeiten steht die Frage, ob das Instrument 1938 von der Gestapo beschlagnahmt wurde und somit eindeutig zur Kategorie "NS-Raubkunst" gehört. Oder ob Felix Hildesheimer sie ganz normal "als Handelsware der Musikalienhandlung verkauft" hat, wie die Stiftung weiterhin argumentiert.

Provenienzforscherin Monika Löscher vom Kunsthistorischen Museum in Wien zieht einen freiwilligen Verkauf stark in Zweifel: "Natürlich waren das Zwangsverkäufe. Damit musste zum Beispiel die "Reichsfluchtsteuer" bezahlt werden, eine erzwungene Juden-Vermögensabgabe. Und es mussten damit Schiffstickets gelöst werden. Also von freiwilligen Verkäufen zu reden, wäre absurd."

Der Fall Saulmann

Zwangsverkauf unter NS-Repressionen

Der Musikalienhändler aus Speyer hatte die Guarneri-Geige am 24. Januar 1938 von der Firma Hamma & Co. in Stuttgart erworben. Seit dem von den Nazi-Behörden angeordneten Boykott jüdischer Geschäfte ab 1933 war Felix Hildesheimer schwer unter Druck geraten. Mehrfach hatten ihm SA-Schlägertrupps den Laden demoliert. 

Mit dem "Gesetz zur Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft" vom 23.11.1938 entzogen die Nazis allen jüdischen Geschäftsleuten in Deutschland vollständig die Existenzgrundlage. Felix Hildesheimer sah sich gezwungen sein Geschäft und sein privates Wohnhaus inklusive Hausstand zu verkaufen. 

Auch in Österreich gab es vergleichbare Fälle, sagt Monika Löscher im DW-Gespräch: "Man muss sich nur die Kleinanzeigen anschauen, die in den Zeitungen damals erschienen sind. Wo die Leute ihre Emigration vorbereiteten und versucht haben, alles zu verkaufen, was sie nicht mitnehmen konnten, also auch ganze Wohnungseinrichtungen."

Progrom Reichskristallnacht
Viele jüdische Geschäfte wurden bei den Pogromen vom 10. November 1938 von SA-Truppen zerstört und geplündertBild: picture-alliance/KEYSTONE

Versuche, ein Visum nach Australien für sich und seine Familie zu bekommen, schlugen fehl. Im August 1939 warf sich Hildesheimer vor einen Zug. Seine Frau Helene wurde von den Nazis in das Frauenlager Gurs in Südfrankreich deportiert, 1941 konnte sie über Marseille in letzter Minute entkommen. Den beiden Töchtern gelang die Flucht nach Australien und in die USA. Die Spur der Geige verlor sich danach.

Als Nachlass im Besitz einer Stiftung

1974 kaufte die Violinistin Sophie Hagemann (1918–2010) die Guarneri-Geige bei dem Kölner Instrumentenbauer Ludwig Höfer - mutmaßlich ohne etwas von der Herkunft des Instrumentes zu ahnen. Höfer hatte die Geige fachkundig aufbereitet: "Wegen der kleinen Risse brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich werde sie mir bei ihrem nächsten Besuch nochmals anschauen", schrieb er ihr damals.

Die Musikerin Sophie Hageman blickt in die Kamera.
Violinistin Sophie Hagemann (1918-2010) Bild: Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung

Die Geigerin widmete sich nach dem Krieg in Konzerten mit ihrem "Duo Modern" auch der zur Nazizeit verbotenen "entarteten Musik".

Ihr Mann, der Komponist Franz Hofmann, war 1945 als Soldat gefallen. Ihre Geige brachte sie dann später in eine Stiftung ein, die der Nachwuchsförderung dienen sollte.

Nach ihrem Tod 2010 ging das Instrument als Erbe in den Besitz der Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung über. Damals habe sich die Geige in einem schlechten Zustand befunden, so der Stiftungsvorstand, so dass eine Restaurierung unumgänglich gewesen sei. 

Um die lückenhafte Provenienz abzuklären, stellte die Nürnberger Stiftung die Guarneri-Geige 2013 als Fundmeldung beimRegister ''Lost Art" ein. Daraufhin meldet sich ein in den USA lebender Enkel von Hildesheimer bei der Stiftung in Nürnberg.

Guarneri-Geige aus Nürnberg.
Sogar im Raubkunst-Register "Lost ART" wurde die Geige von der Hagemann-Stiftung eingestelltBild: Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung

Entschädigungszahlung längst überfällig

2015 zog der Vorstand für eine sachgerechte Abklärung der Provenienz die beratende Limbach-Kommission hinzu. Ihr Gutachten attestiert ein Jahr später der Vermutung, "dass es sich um einen durch Zwangsverkauf oder Beschlagnahmung erlittenen Vermögensverlust handelt, eine hohe Plausibilität".

Seitdem bemühe sich die Stiftung, die Entschädigungssumme über Drittmittel aufzubringen. Anfang Februar war dieses jedoch nicht gelungen, wie es auf der Stiftungsseite nachzulesen ist. Die Erben des jüdischen Musikalienhändlers Felix Hildesheimer warten derweil weiter auf ihr Geld.