Berliner Volksbühne ist "Theater des Jahres"
31. August 2017Vielleicht war bei der Verleihung des Titels "Theater des Jahres" an die Berliner Volksbühne auch etwas Nostalgie dabei - angesichts des Abschieds von Frank Castorf, dem großen Theaterregisseur und Intendanten, von "seinem" Theater. Denn wenn von dem Ostberliner Kulttheater die Rede ist, ist es unmöglich, nicht an Castorf zu denken. Als Intendant und Regisseur hat er das Haus maßgeblich geprägt.
Gut ein Drittel der 46 Juroren haben sich für die Volksbühne als "Theater des Jahres" 2017 entschieden. Der Preis wird vom angesehenen Theatermagazin "Theater heute" verliehen. Kritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz konnten ihren Favorit unter den deutschsprachigen Theaterhäusern frei wählen. Die Volksbühne wurde nun schon zum dritten Mal (nach 1993 und 2016) mit der begehrten, wenn auch undotierten, Auszeichnung bedacht.
In "Theater heute" hieß es, die Berliner Volksbühne habe in ihrer "perfekt inszenierten Abschiedsspielzeit" bei den Kritikern der diesjährigen Hitparade noch einmal nachhaltig Eindruck gemacht. Die Volksbühne, die den Begriff "Stadttheater" neu definierte, spalte kämpferisch die Theaterrepublik.
Ein unbequemer Geist
Castorf inszenierte bereits zu DDR-Zeiten an den Theatern der ostdeutschen Provinz. Bald wurde er zum Geheimtipp unter Theaterfreunden. Schon damals galt er als "Stückezertrümmerer" und "Klassik-Schänder", was seiner Karriere aber nicht schadete, sondern diese vielmehr beförderte. Kurz vor dem Fall der Mauer führte er an der Volksbühne und am Deutschen Theater in Berlin Regie. 1990 inszenierte er Schillers "Räuber" an der Volksbühne, "ohne Zweifel ein wütender Kommentar" zur deutschen Vereinigung, schrieb die "Süddeutsche Zeitung" damals.
Frank Castorfs Inszenierungen werden dem postdramatischen Theater zugerechnet. Klassische literarische Vorlagen werden unter seiner Regie durch freie Assoziation und Metatexte angereichert und umgedeutet, dafür ist Castorf berühmt und berüchtigt. Genauso wie für seine bis zur Heiserkeit schreienden Schauspieler, den Einsatz von Live-Kameras und mehrere Stunden dauernde Theaterabende. "Kunst braucht Wahnsinn", sagte er einmal im Interview mit der Süddeutschen.
Ein Abschiedsgruß
Nach 25 Jahren als Intendant der Berliner Volksbühne musste Frank Castorf zum Ende dieser Spielzeit zusammen mit seinem Ensemble das Haus verlassen. Um seinen Nachfolger Chris Dercon war schon seit dessen Ernennung zum neuen Intendanten eine heftige Debatte entbrannt. Dem ehemaligen Direktor der Tate Modern in London wurde vorgeworfen, dass er nichts von Theater verstehe und die Volksbühne zum "Eventschuppen" machen wolle.
Kein Wunder also, dass das Gezanke um die Volksbühne von "Theater heute" auch zum "Ärgernis des Jahres!" gewählt wurde. "Schauspielerin des Jahres" ist Valery Tscheplanowa. Sie spielte in Castorfs Abschieds-Inszenierung "Faust", die sieben Stunden dauerte. Joachim Meyerhoff wurde zum "Schauspieler des Jahres" gekürt:für seine Rolle in "Die Welt im Rücken" nach Thomas Melles gleichnamigem Borderline-Roman am Wiener Akademietheater.
as/bb (dpa, der-theaterverlag.de)