Beschäftigungswunder statt Sozialbetrug
7. Februar 2015DW: Herr Prof. Brücker, Sie haben sich die Situation von Einwanderern aus Rumänien und Bulgarien angeschaut, die seit Beginn der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit für diese Länder Anfang 2014 nach Deutschland gekommen sind. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Brücker: Wenn ich mit dem Positiven anfange, dann würde ich von einem kleinen Beschäftigungswunder sprechen. Seit Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind die Beschäftigungsquoten der Bulgaren und Rumänen um 14 Prozentpunkte gestiegen. Es sind mehr Leute in Beschäftigung gekommen, als zugewandert sind. Das hat es in diesem Ausmaß in der deutschen Wirtschaftsgeschichte noch nicht gegeben. Insofern war die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus der Sicht des Arbeitsmarktes, aber auch des Sozialstaates ein großer Erfolg, denn wer arbeitet, zahlt auch Steuern und Abgaben.
Und das Negative?
Die negative Seite ist, dass gleichzeitig der Anteil der Menschen gestiegen ist, die Hartz IV und ähnliche Sozialleistungen beziehen, und zwar von 10 auf 14 Prozent. Der Anteil ist zwar immer noch geringer als im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung, aber das würden wir uns natürlich niedriger wünschen.
Beide Gruppen, Rumänen und Bulgaren, werden häufig in einem Atemzug genannt. Gibt es Unterschiede?
Die Rumänen sind die wahrscheinlich mit am besten integrierte Ausländergruppe in Deutschland, deutlich besser als alle anderen aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU, deutlich besser auch als die Spanier und Italiener und vergleichbar mit US-Amerikanern, Franzosen und Briten. Die Rumänen haben eine niedrigere Arbeitslosenquote als die Deutschen. Wir können dort eigentlich keinerlei Probleme beobachten. Bei den Bulgaren sehen wir, dass die Arbeitslosenquoten etwa doppelt so hoch sind wie bei den Rumänen. Die Leistungsbezieherquoten sind fast dreimal so hoch wie bei den Rumänen. Wir führen das darauf zurück, dass aus Bulgarien andere soziale Gruppen nach Deutschland gekommen sind als aus Rumänien.
Sie haben bei diesen Gruppen praktisch keinen Sozialbetrug festgestellt, das war ja die große Angst.
Wir haben ganze 195 Verdachtsfälle. Der Anteil ist geringer als unter den deutschen Leistungsbeziehern. Das heißt, man kann bei diesen verschwindend geringen Zahlen nicht von einem Sozialmissbrauch in einem größeren Umfang sprechen. Was vielleicht auch die meisten Menschen nicht wissen: Die Bulgaren und Rumänen beziehen weniger Kindergeld als der Bevölkerungsdurchschnitt in Deutschland. Von Leistungsmissbrauch kann also in keiner Weise die Rede sein.
Und für die Behauptung, dass die Menschen hierher kommen, um Leistungen zu beziehen, gibt es wenige Anhaltspunkte. Was wir beobachten ist, dass Menschen nach Deutschland gekommen sind, die lange Zeit weder einer regulären Beschäftigung nachgegangen sind noch Leistungen bezogen haben, die dann schrittweise in den Leistungebezug gerutscht sind. Da liegt auch das Problem. Das konzentriert sich auf wenige Kommunen in Deutschland wie Duisburg, Dortmund und Teile von Berlin. Da kumulieren die Probleme, und das sind Gruppen, die man sehr schwer in den Arbeitsmarkt integrieren kann.
Wenn ich als Rumäne oder Bulgare nach Deutschland gehe, ohne Arbeit zu haben, auf welche Sozialleistung habe ich dann vom ersten Tag an Anspruch?
Auf überhaupt keine. Sie können Kindergeld beziehen, aber Kindergeld ist eigentlich keine Sozialleistung. Kindergeld kann man dann beziehen, wenn man seinen Lebensmittelpunkt verlagert hat. Aber wir sprechen hier von einer sehr kinderarmen Bevölkerungsgruppe, daher ist der Kindergeldbezug gar nicht das Problem. Auf Hartz IV haben Sie erst Anspruch, wenn Sie eine Weile in Deutschland gelebt und gearbeitet haben. Man kann also nicht einfach nach Deutschland kommen und dann gleich Leistungen beziehen.
Manche Leute fordern, die EU müsse über Sozialleistungen für EU-Ausländer, selbst wenn diese keine Arbeit haben, eine Art gesamteuropäische Sozialpolitik betreiben, so wie man innerhalb Deutschlands ähnliche Lebensverhältnisse durch Finanzausgleich schaffen will. Was halten Sie davon?
Was nicht funktionieren kann, da die Lebensverhältnisse, auch die Kaufkraft in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich sind, das ist ein Modell, wo wir überall die gleichen Sätze haben. Das geht nicht, solange die Einkommen so unterschiedlich sind. Worüber man aber reden könnte, wäre eine gewisse Harmonisierung der Sozialsysteme, dass man sagen kann, soundso viel Prozent des durchschnittlichen Einkommens sollte die soziale Absicherung betragen, dass also die Sätze relativ ähnlich wären, zum Beispiel 30 Prozent. Dann blieben die absoluten Größen erhalten, und sie müssen auch erhalten bleiben, weil das sonst die Arbeitsmärkte in den jeweiligen Ländern ruinieren würde.
Prof. Herbert Brücker forscht in den Bereichen internationale Migration und europäische Integration am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg.
Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.