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Bewährungsstrafe für Kirill Serebrennikow

26. Juni 2020

Ein Moskauer Gericht hat Starregisseur Kirill Serebrennikow wegen angeblicher Unterschlagung öffentlicher Gelder schuldig gesprochen. Ins Gefängnis muss der 50-Jährige nicht.

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Moskau Prozess Kirill Serebrennikow
Bild: picture-alliance/AP Photo

Der bekannte russische Starregisseur Kirill Serebrennikow und die zwei Mitangeklagten hätten "einen Betrug in besonders großem Ausmaß begangen", begründete Richterin Mendeleewa bei der Verlesung den Urteilsspruch.

Nach stundenlanger Verzögerung wurde dann das Strafmaß verkündet: drei Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe in Höhe von 800.000 Rubel (ca. 11.000 Euro). Somit muss der auch in Deutschland geschätzte Künstler nicht in Haft. Das Gerichtsverfahren hatte nicht nur in Russland sondern weltweit für Kritik gesorgt.

Kirill Serebrennikow selbst beteuerte stets und erneut in seinem wortgewaltigen Schlusswort seine Unschuld. Die Anklage hatte sechs Jahre Lagerhaft gefordert, wie Staatsanwalt Michail Resnitschenko am vergangenen Montag (22.06.2020) vor dem Meschanskij-Amtsgericht Moskau vortrug.

Reaktionen auf das Urteil

Obwohl es im Vergleich mit der Anklage-Forderung fast milde erscheint, hat das Gerichtsurteil die Kulturszene weltweit erschüttert. "Auf der Anklagebank saß ein Unschuldiger und alle schauten zu", so die angesehene russische Verlegerin Irina Prochorowa. Den Prozess gegen Serebrennikow bewertetet sie als die "Wiedergeburt einer stalinistischen Repressionsmaschine". 

Auch Viktor Schoner, Intendant der Staatsoper Stuttgart, weist gegenüber der DW auf tiefgreifende Konsequenzen der Verurteilung hin: "Es mutet nicht wie ein Zufall an, dass die Urteilsverkündung just wenige Tage nach der großen Militärparade und in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Abstimmung über eine Gesetzesänderung erfolgte, die Wladimir Putin weitere 16 Jahre an der Macht ermöglichen könnte." 

Schockierend sei, "dass neben der Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe in Höhe von 800.000 Rubel außerdem ein 'Kompensationsbetrag' für entstandenen Schaden in Höhe von etwa 2 Millionen US-Dollar von allen drei Angeklagten zusammen gezahlt werden muss. Das bedeutet für sie den wirtschaftlichen Ruin."

Der prominente Filmregisseur Andrei Swjaginzew publizierte als Reaktion auf die Verurteilung eine Videobotschaft, in der er den russischen Staat als ein "unmenschliches bürokratisches Monster" kritisierte. Die russische Gesellschaft bestehe, so Swjaginzew in dem Filmclip, aus zwei Lagern: "Den schamlosen Machthaber und der vogelfreien Mehrheit. Ist das das Land, von dem wir träumten?"

Solidarität mit Serebrennikow

Zahlreiche russische und internationale Künstler hatten sich schon im Vorfeld der Urteilsverkündung mit Serebrennikow solidarisiert. Über 3000 prominente russische Kulturschaffende haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie sich für Serebrennikow stark machten. Auch Kanzlerin Angela Merkel und internationale Stars hatten sich für den Filme- und Theatermacher eingesetzt.

Mehrere Hunderte Schauspieler, Sänger, Kulturschaffende und Serebrennikow-Fans waren am Freitag (26.6.2020) vor dem Gerichtsgebäude in Moskau erschienen. Sie empfingen Serebrennikow und die anderen Angeklagten mit Beifall. Viele trugen T-Shirts mit der Aufschrift "Free Kirill!". Mehre russische Sender haben über die Urteilsverkündung live im Internet berichtet.

Demonstration für Kirill Serebrennikow in Berlin (DW/N. Jolkver)
Demonstration für Kirill Serebrennikow in DeutschlandBild: DW/N. Jolkver

Auch in Berlin versammelten sich Kulturschaffende zu einer Protest-Aktion vor der Botschaft der Russischen Föderation. Unter anderen beteiligten sich Thomas Ostermeier, Intendant der Schaubühne Berlin und der Schauspieler Lars Eidinger an der Aktion. Ostermeier hatte eine Mappe mit 56.000 Unterschriften von Serebrennikow-Unterstützern dabei. Er bezeichnete die Verurteilung Serebrennikows im Gespräch mit der DW als "skandalös und empörend".

Was wird Serebrennikow vorgeworfen?

Laut Urteil soll der heute 50-jährige international angesehene Theaterregisseur und Filmemacher Serebrennikow für die Veruntreuung von 129 Millionen Rubel (ca. 1,6 Millionen Euro) staatlicher Fördergelder verantwortlich sein. 

Serebrennikow ist eine der zentralen Figuren der russischen Kultur. Zuletzt inszenierte er im März für das Deutsche Theater in Berlin das Stück "Decamerone".

Vom russischen Kulturministerium wurde dem Projekt "Platforma", das Serebrennikow gegründet und geleitet hat, im Zeitraum zwischen 2009 und 2015 eine Fördersumme von insgesamt 216 Millionen Rubel zur Verfügung gestellt.

"Platfoma", ein Magnet für junge, innovative Theatermacher und ihr Publikum, setzte in sechs Jahren über 340 Theaterprojekte um. Die Bandbreite reichte von Kammerstücken für wenige Zuschauer bis hin zu in Stadien ausgetragenen Events. Als Hauptspielort diente dem Projekt ein zum Kulturzentrum umfunktioniertes Fabrikgebäude in Moskau – "Winzavod".

Der persönliche Stil von Serebrennikow setzt auf eine Verschmelzung von Sprechtheater, Film, modernem Tanz, Medien und neuer Musik. Auch als Opernregisseur hat er sich international einen Namen gemacht.

Karikatur von Sergey Elkin zur vorübergehenden Freilassung von Kirill Serebrennikow. Links: "Repressionen", rechts: "Tauwetter"
Repression oder Tauwetter? Karikatur von Sergey Elkin zur vorübergehenden Freilassung von Kirill Serebrennikow

Serebrennikow nutzte sein Schlusswort 

Das Kulturzentrum genoss Kultstatus vor allem bei jungen Menschen, so Kirill Serebrennikow in seinem Schlusswort: "Die Jugend entscheidet sich immer für Freiheit (...). 'Platforma' vermittelte den Künstlern und Zuschauern das Gefühl, dass die Ideale der Freiheit früher oder später auch hierzulande eine Grundlage unseres Lebens werden".

Genau das, sowie die kritische gesellschaftliche Haltung der innovativen Kulturschaffenden um Serebrennikow scheinen dem russischen Staat oder mindestens einem Teil seiner Machtelite ein Dorn im Auge gewesen zu sein.

Seit nach der relativ liberalen Präsidentschaft von Dmitri Medwedew (2008 bis 2012) das konservative Lager in den russischen Machtstrukturen die Oberhand hat, wird gegen die freie Kulturszene immer härter vorgegangen. Bereits 2014 gab es erste Steuerprüfungen. Seit 2017 wird gegen Serebrennikow, seine Mitstreiter sowie eine Mitarbeiterin des Kulturministeriums, die Kunsthistorikerin Sofia Apfelbaum, ermittelt. Im August 2017 wurde Kirill Serebrennikow festgenommen und verbrachte die folgenden anderthalb Jahre unter Hausarrest. 

Russische Justiz gegen Theater

Wer die Anklage gegen Serebrennikow genau verstehen will, muss sich durch einen Stapel teils widersprüchlicher Akten arbeiten. Die Anklage baut auf Zeugenaussagen der Buchhalter des Projektes "Platforma" auf, die beteuern, Fördergelder im großen Stil unterschlagen zu haben.

Die Verteidigung und Beobachter gehen davon aus, dass die Zeugen unter Druck gesetzt wurden. Es wird darauf hingewiesen, dass angesichts der Anzahl und Qualität der umgesetzten Projekte die Fördersumme eher gering erscheine. Das verstehe, so Serebrennikow, jeder Mensch, der eine Ahnung vom Theater hat. Merkwürdig erscheint auch, dass vom Gericht insgesamt drei Gutachten in Auftrag gegeben wurden, wobei die ersten beiden die Angeklagten sogar entlasteten.

Kirill Serebrennikow mit applaudierenden Schauspielern 2017
Bessere Zeiten: Kirill Serebrennikow nach einer Premiere 2017Bild: picture-alliance/dpa/V. Vyatkin

Allerdings gab auch Serebrennikow in seinem Schlusswort zu, dass die Buchführung von "Platforma" schlampig - in seinem eigenen Wortlaut "katastrophal" – geführt worden sei. Er selbst habe sich nur um die künstlerische Seite und nicht um die Finanzen gekümmert.

Man wolle diese Fehler nun ausnutzen, um "die Botschaft des Projektes und seiner Macher zu diskreditieren", so Serebrennikow. Dennoch sei 'Platforma' ein Teil der Geschichte neuer russischer Kunst, unterstrich der Regisseur in seinem Schlusswort vor Gericht. "Während der gesamten Ermittlung hatte ich ein starkes Gefühl von Ungerechtigkeit. Denn mit 'Platfoma' haben wir und ich persönlich etwas wirklich Bedeutendes für unser Land geschaffen."

Der Prozess und seine Folgen

Das Verfahren gegen Serebrennikow wurde national und international als politischer Schauprozess kritisiert. Beobachter befürchten, dass die Verurteilung Serebrennikows eine Signalwirkung haben könnte.

Der aus Russland ausgewanderte Galerist Marat Guelman vermutet, es würde nun kaum ein Kulturschaffender "wagen, ein eigenes Projekt in Russland zu starten". Auch der in Berlin lebende Komponist Sergej Newski, der mit Serebrennikow gearbeitet hatte, ist der Meinung, dass die Verurteilung des Regisseurs eine nachhaltige Wirkung für die russische Kultur und deren Wahrnehmung in der Welt haben wird. "Diese Verurteilung wird für immer ein Schandflecken auf der Weste der russischen Machthaber sein. Es ist auch erneut vorgeführt worden, dass Kunst und Macht in Russland unterschiedliche Sprachen sprechen".