So geht CO2-Kompensation für Flüge
28. April 2019Zwei Stunden und fünfzehn Minuten dauert ein Flug von München nach Mallorca, eines der liebsten Reiseziele der Deutschen. Quasi ein Katzensprung - fürs Klima aber eine Katastrophe, denn im Schnitt werden durch Hin- und Rückflug rund 500 Kilogramm CO2 pro Reisendem ausgestoßen. In der Klimabilanz jedes Einzelnen macht sich das deutlich bemerkbar: Der durchschnittliche Pro-Kopf-Jahresausstoß in Deutschland liegt bei rund elf Tonnen. Es sollten allerdings maximal zwei Tonnen sein, um die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts deutlich unter der 2°-Obergrenze halten zu können, wie im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbart.
Doch in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Menschen, die fliegen, immer weiter gestiegen. Allein 2018 waren es nach Angaben der UN-Luftfahrtorganisation ICAO rund 4,5 Milliarden weltweit. Damit steigt auch die Belastung der Umwelt.
Bäume retten das Klima nur bedingt
Eine Möglichkeit, den Schaden etwas auszugleichen, ist die CO2-Kompensation. Das heißt: Im Internet geben Reisende in einem CO2-Rechner ihre Flugstrecke an sowie den Flugzeugtyp und die Sitzplatzklasse und erfahren dann, wie viel CO2 ihre Reise verursacht. Anschließend spenden sie einen bestimmten Betrag, mit dem der Anbieter an anderer Stelle Emissionen einspart. Meist durch Projekte in Entwicklungsländern: den Bau von Biogasanlagen in Nepal oder Kenia beispielsweise, energieeffiziente Kochöfen in Tansania oder Trinkwasserfilter in Ägypten.
Aufforstung, der vermeintliche Klimaschutzklassiker, bieten nur einzelne Anbieter an, in Deutschland zum Beispiel Primaklima. Denn Bäume pflanzen ist umstritten: Wenn sie wachsen, speichern die Pflanzen zwar CO2. Aber wenn sie verrotten oder das Holz verbrennt, wird Kohlenstoffdioxid wieder freigesetzt. Dafür sind Wälder Multitalente, heißt es bei Primaklima: Sie speichern und filtern Wasser, schützen den Boden vor Erosion und bieten vielen Tieren und Pflanzen Lebensraum.
Kritik kommt auch vom Papst
Die Bundesregierung gleicht inzwischen alle "CO2-Schulden" aus, die bei Dienstreisen der Bundesministerien und nachgeordneten Behörden entstehen. Davon abgesehen sind die Ausgleichszahlungen in Deutschland allerdings nicht besonders verbreitet. "Aus der letzten Umweltbewusstseinsstudie wissen wir, dass nur ungefähr neun Prozent der deutschen Flugreisenden kompensieren", so Corinna Gather vom Umweltbundesamt gegenüber der DW. Manche Studien enthielten noch niedrigere Zahlen. Ähnlich sehe es in anderen Ländern aus. Laut Gather liegt das vor allem daran, dass das Thema nicht ganz einfach zu durchschauen ist.
Außerdem haben die Ausgleichszahlungen ein Imageproblem. Papst Franziskus etwa nannte Kompensationen scheinheilig. Treibe man die Logik auf die Spitze, sagte er, werde es eines Tages so weit kommen, dass Rüstungskonzerne Krankenhäuser für jene Kinder einrichteten, die ihren Bomben zum Opfer fielen. Andere, wie der Wirtschaftswissenschaftler Nico Paech, sprechen von Ablasshandel, von "Greenwashing".
Bayerische Alpen statt Ballermann?
Doch auch Befürworter sehen die CO2-Kompensation nicht als Allheilmittel: "Es ist immer nur die drittbeste Möglichkeit - nach Vermeiden und Reduzieren", sagt etwa Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer des Marktführers für CO2-Kompensationen Atmosfair.
Ähnlich äußert sich Gather: Wichtiger sei es, lieber erst gar nicht zu fliegen. Sie und ihre Kollegen im Umweltbundesamt hielten zum Beispiel vermehrt Videokonferenzen ab oder stiegen in die Bahn. "Gerade auf Kurzstrecken, zum Beispiel innerhalb von Deutschland, macht das absolut Sinn."
Für Reiselustige hieße das: Bayerische Alpen statt Ballermann oder Nordsee statt New York! Doch auch wenn das Bewusstsein über die Klimaschädlichkeit der eigenen Reiselust bei vielen Menschen wächst, nimmt die Fernreiselust global in noch weit höherem Maße zu.
Forscher der Universität Sydney berichteten 2018 im Fachmagazin "Nature Climate Change", dass der globale Kohlendioxid-Fußabdruck, der durch den weltweiten Tourismus verursacht wird zwischen 2009 und 2013 von 3,9, auf 4,5 Gigatonnen CO2-Äquivalent pro Jahr zugenommen habe. Damit entfielen 8 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen auf den Tourismus.
CO2-Ausgleich beim Ticketkauf mangelhaft
Die Kompensation selbst ist theoretisch ganz einfach, es braucht nur ein paar Klicks. Das Komplizierte ist, den richtigen Anbieter zu finden. Weltweit gibt es Hunderte. In Deutschland hat das Umweltbundesamt eine Liste mit 27 Dienstleistern zusammengestellt, darunter die Sieger von Stiftung Warentest: Atmosfair, Klima-Kollekte und Primaklima. Im englischen Sprachraum bietet beispielsweise Green-e eine solche Liste an.
Bei einigen Fluggesellschaften kann auch man direkt auf der Website seine Emissionen ausgleichen lassen - bei Lufthansa etwa, Delta, Qantas oder auch beim Billigflieger Ryanair.
Manches bleibt dabei jedoch intransparent: Ryanair weist nicht extra aus, wie sich der Betrag berechnet oder wo er letztlich landet. Lufthansa arbeitet zwar mit dem Anbieter Myclimate zusammen - der CO2-Ausstoß, der auf der Lufthansa-Website für einen Flug berechnet wird, ist aber niedriger als der auf der Myclimate-Seite. "Alle Airlines berücksichtigen nur die reine Kerosinverbrennung", erklärt Stefan Baumeister, Geschäftsführer von Myclimate Deutschland auf Anfrage der DW die Differenz. Zusätzliche Schadstoffe und klimawirksame Effekte fallen dabei raus.
Angaben zu CO2-Emissionen und Kosten variieren
Das erklärt auch, warum ein- und derselbe Flug bei verschiedenen Anbietern als unterschiedlich schädlich eingestuft wird. Bei der Verbindung München-Mallorca etwa mit einem Reisenden in der Economy Class liegt die Klimabelastung zwischen 309 und 592 Kilogramm CO2 - und die Kompensationskosten zwischen knapp vier und 14 Euro.
Der Weltklimarat IPCC empfiehlt, dass je Tonne CO2-Emission mindestens 2,7 Tonnen "Erwärmungswirkung" einberechnet werden sollten. Tatsächlich reicht die Bandbreite bei den Anbietern von einer bis knapp vier Tonnen.
Gütesiegel hilft bei Orientierung
Dass auch die Kosten für die Kompensation variieren, hat wiederum mit den unterstützten Projekten zu tun. Und damit, wie sehr sich die Anbieter einbringen. "Wir machen die Projekte selbst vor Ort und investieren zum Beispiel direkt in die Öfen oder Anlagen, während andere nur die fertigen Zertifikate kaufen und damit keinen Einfluss auf das Projekt haben", sagt Dietrich Brockhagen von Atmosfair.
Eine Orientierungshilfe für Kompensationswillige können da die Qualitätsstandards sein. Der so genannte "Gold Standard" stellt beispielsweise sicher, dass die Projekte nicht nur dem Klima, sondern auch den Menschen helfen oder zur Biodiversität beitragen.
Kompensation hat ihre Grenzen
Nach dem Hitzesommer des vergangenen Jahres ist bei vielen Anbietern in Deutschland die Nachfrage gestiegen - vor allem von Privatpersonen, die sich um ihren CO2-Fußabdruck Gedanken machen.
Eigentlich ein Grund zur Freude. Doch Brockhagen warnt vor einem Freifahrtschein für Kompensationen: "Wenn es bessere Lösungen gibt - etwa beim Stromverbrauch durch Ökostrom - dann sind Kompensationen ein Rückschritt."
Vier Tipps für nachhaltigeres Fliegen
1. Sich fragen: Muss der Flug wirklich sein? Gibt es klimafreundlichere Alternativen?
2. Airlines auf CO2-Emission checken (Airline Index bei Atmosfair)
3. Direktflug wählen, denn bei Start und Landung fallen die meisten Emissionen an
4. Bei einem Anbieter kompensieren, dessen Projekte nach dem "Gold Standard" oder vergleichbar zertifiziert sind