Biden und Europa: Unbequeme Partner
8. November 2020Er hatte sich in den vergangenen Jahren sehr um ein gutes Verhältnis zu Donald Trump bemüht, doch der Sieg Joe Bidens dürfte dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gelegen kommen. "Wir haben viel zu tun, um die heutigen Herausforderungen zu bewältigen. Lasst uns zusammenarbeiten", twitterte Macron auf Französisch und Englisch, kurz nachdem die großen US-amerikanischen TV-Sender Biden zum Sieger gekürt hatten.
Im Gegensatz zur Wahl Trumps vor vier Jahren wissen die Berater in Paris, aber auch in den europäischen Hauptstädten bei Joe Biden, woran sie sind. Kein anderer US-Präsident dürfte mit einem so großen außenpolitischen Erfahrungsschatz ins Amt gestartet sein.
Biden: Französische und irische Wurzeln
Schon in seiner Zeit als Senator kümmerte sich Biden um Außenpolitik und verfasste Anfang der 1990er Jahre eine weitsichtige Studie zu den Balkankriegen. Als Vizepräsident von US-Präsident Barack Obama war der Demokrat bereits Gast auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dem großen transatlantischen Diskussionsforum. Joseph Robinette Biden, der neben irischen auch französische Wurzeln hat, kennt Europa - und die Europäer kennen ihn.
Ein zentrales außenpolitisches Thema will der künftige US-Präsident schon unmittelbar nach seiner Vereidigung am 20. Januar angehen - den Wiedereintritt ins Pariser Klimaabkommen. Trumps Kündigung war just am Tag nach der US-Wahl wirksam geworden, am 4. November. Die Rolle rückwärts wird weltweit begrüßt, doch für Frankreich hat sie eine besondere Bedeutung. Schließlich wurde das Abkommen in der französischen Hauptstadt geschlossen - mit dem Präsidenten der Republik.
EU: Internationales Wunschprogramm
Die von Biden in Aussicht gestellte Rückkehr zum Multilateralismus ist ganz im Interesse der europäischen Partner. Der erste Tag Joe Bidens im Oval Office dürfte daher in Europa für Genugtuung sorgen. Neben der Rückkehr ins Klimaabkommen will Biden auch den Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rückgängig machen. Auch in der Iranpolitik steht Biden für einen Bruch mit der Außenpolitik seines Vorgängers und einer Annäherung an Europa - das Atomabkommen mit den Mullahs möchte der 77-Jährige reaktivieren.
Doch in London, Paris oder Berlin macht man sich keine Illusionen: Ein US-Präsident Biden wird sich zunächst einmal vor allem um innenpolitische Themen kümmern. Diese Prioritätensetzung hätten Bidens außenpolitische Berater schon während des Wahlkampfes kommuniziert, so François Heisbourg, ehemaliger Direktor der Fondation pour la Recherche Stratégique in Paris bei der Deutsch-Französischen Zukunftswerkstatt. Angesichts des knappen Ausgangs und den mehr als 70 Millionen Wählerstimmen für Donald Trump gilt der Fokus auf die US-amerikanische Innenpolitik jetzt erst recht.
Die Corona-Pandemie steht ganz oben auf Bidens Agenda - genauso wie die Wirtschaftspolitik. In seiner Siegesrede am Abend tauchte der Klimaschutz als einziges außenpolitisches Thema auf.
USA: Keine Rückkehr zur Rolle als Weltpolizist
Trotzdem dürfen die Europäer damit rechnen, dass sich die Beziehungen zu den USA unter einem Präsident Biden atmosphärisch deutlich entspannen werden. Inhaltlich wird es bei vielen außenpolitischen Themen aber auch eine gewisse Kontinuität mit der Außenpolitik seines Vorgängers geben: Die militärische Zurückhaltung der USA wird sich unter einem Präsident Biden nicht ändern. Im Gegenteil: Schon unter Obama plädierte er für einen schnellen Abzug der US-Truppen aus dem Irak.
Wie für Trump ist Europa auch für Biden nicht die außenpolitisch entscheidende Weltregion. Washington blickt vor allem nach Asien und sieht im Aufstieg Chinas die größte Bedrohung für Sicherheit und Wohlstand. Diese Entwicklung hatte sich bereits unter Obama abgezeichnet.
NATO: Zankapfel Zwei-Prozent-Ziel
Beobachter verweisen darauf, dass Biden bisweilen sogar ein unbequemerer Partner werden könnte als sein Vorgänger. Solange Donald Trump seine Missachtung westlicher Institutionen offen zur Schau getragen hatte, konnten die EU-Regierungen Washingtons Forderungen leichter ignorieren, als bei den Wünschen des europafreundlichen künftigen US-Präsidenten möglich sein dürfte. Auch Biden würde weiter auf höhere Militärausgaben der Europäer drängen und sie an ihre NATO-Zusage erinnern, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes fürs Militär zu reservieren.
Wie schwer sich Europa damit tut, mehr sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen, zeige sich beispielhaft im östlichen Mittelmeerraum, analysiert der Politikwissenschaftler Heisbourg: "Seit 2013 spielen die USA keine Führungsrolle mehr im östlichen Mittelmeer. Die Türkei, Russland und andere Mächte können dort mehr oder weniger ungehindert agieren."
Europa, so Heisbourg müsste sich für diese Region stärker interessieren, ist dazu aber aktuell kaum bereit. "Wir sehen, wie schwierig es ist, das strategische Vakuum zu füllen, das die USA hinterlassen haben."
China: Kontroverses Kräftemessen
Außerdem wird der künftige Herr im Weißen Haus von Europa Gefolgschaft im Kräftemessen mit China erwarten. Ob die Europäer, die China bislang vor allem als Absatzmarkt und Handelspartner betrachten, das einlösen werden, ist gleichwohl offen.
Überhaupt: In der Wirtschaftspolitik dürfte es schnell zu Konflikten mit der neuen US-Regierung kommen. Frankreich wird als erstes EU-Land im Dezember die großen US-amerikanischen Internetkonzerne mit einer Sondersteuer belegen. Hinzu kommt der Streit um illegale staatliche Subventionen für Boeing. Die Welthandelsorganisation WTO hat der EU Strafzölle in Milliardenhöhe erlaubt. Das Konfliktpotential ist auf diesem Gebiet groß - zumal der künftige Präsident auch keine Zweifel daran gelassen hat, dass auch er eine protektionistische Wirtschaftspolitik verfolgen will. Biden plant, US-Behörden zu verpflichten, auf Waren und Dienstleistungen "Made in USA" zurückzugreifen.
Doch bevor Joe Biden übernimmt, bleibt Donald Trump noch für gut zweieinhalb Monate im Weißen Haus. Diese Übergangsphase könnte nicht nur angesichts der sich zuspitzenden Corona-Pandemie kritisch werden.
Und doch: die Regierungen in Europa sind erst einmal erleichtert. Denn in einer zweiten Amtszeit Trump hätte, so analysiert François Heisbourg, der Austritt oder weitgehende Rückzug der USA aus der NATO auf der Tagesordnung gestanden.