Wim Wenders als Fotograf
17. April 2015Für den Dokumentarfilm "Das Salz der Erde" war Wim Wenders gerade noch für einen Oscar nominiert, sein letzter Spielfilm "Every Thing will be Fine" läuft noch in den Kinos. Bei der zurückliegenden Berlinale wurde der gebürtige Düsseldorfer mit einem Ehrenbären für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Im August wird Wim Wenders 70 Jahre alt. Doch er befindet sich offenbar in einem ungebremsten Schaffensrausch. Jetzt ist auch sein fotografisches Werk, das in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, in einer großen Retrospektive mit dem Titel "4 REAL & TRUE 2" im Düsseldorfer Museum Kunstpalast zu sehen. Wir trafen Wim Wenders kurz vor Ausstellungsbeginn zum Gespräch.
Deutsche Welle: Wenn man durch Ihre Ausstellung geht, dann erscheint diese wie eine kleine Weltreise. Die Ausstellung findet aber in Düsseldorf statt, ihrer Heimatstadt. Inwiefern ist der Begriff Heimat für Sie überhaupt noch relevant?
Wim Wenders: Er ist gerade hier im Museum Kunstpalast noch sehr relevant, weil es so nach Heimat riecht. Wenn ich hier rausgehe und die Straße überquere, dann bin ich schon am Rheinufer, und das ist der erste Geruch meines Lebens: der Rhein. Das ist meine allererste Erinnerung überhaupt. Auf den Rheinwiesen war ich jeden Tag. Ein paar hundert Meter von hier bin ich groß geworden, auf der Klever Straße. Auch hier im Ehrenhof habe ich viel gespielt.
Jetzt sind Sie mit einer Fotoausstellung hier. Derzeit laufen auch Filme von Ihnen im Kino. Man kennt Sie natürlich eher als Filmregisseur, aber als Fotograf sind Sie auch schon lange dabei. Was reizt Sie am Fotografieren, auch im Gegensatz zum Filmen?
Das Filmen ist eine höchst soziale Tätigkeit. Da ist man mit vielen Menschen zusammen, teilt seine Ideen mit vielen, muss auch viel reden, sich ständig erklären. Mit dem Drehbuchautor feilt man lange an den Dialogen und der Geschichte herum, bis das Drehbuch so weit ist. Und das Drehen selbst ist mitunter wie eine militärische Operation, da wird man auch schon mal zum Feldherrn. Das Schneiden dauert manchmal auch über ein Jahr, und dabei redet man täglich mit dem Cutter, über jede Einstellung. Es ist also ein langer Prozess mit vielen Menschen, und was man erzählen will, geht dabei durch viele Hände.
Beim Fotografieren ist alles anders. Da ist es ein großes Privileg für mich, dass ich alles allein machen kann - bis auf die großen Prints, die kann ich natürlich nicht herstellen. Aber das Produkt, dieses Bild, das kann ich machen, ohne dass ich irgendjemandem irgendwas erklären muss. Ich kann meinen Film selbst einlegen, mein Licht messen und alles einstellen. Ich fotografiere auch nur aus der Hand. Ich schleppe auch alles selbst, denn wenn ich jemanden dabei hätte, der mir diese Sachen tragen würde, dann wäre ich schon wieder nicht mehr allein, und das würde alles verändern.
Ich reise viel und mache meine Fotos unterwegs. Ich mache diese Reisen inzwischen auch nur zum Fotografieren. Das sind für mich die tollsten Auszeiten, wo ich Zeit habe, wo ich mir Zeit nehmen kann, wo ich nichts anderes tun will als ganz leer zu sein und mich auf die Orte einzulassen. Als Filmemacher bin ich ja ein Erzähler. Aber als Fotograf bin ich nur Zuhörer. Da lasse ich mir Geschichten erzählen, nicht von Menschen, sondern von Landschaften und Orten, von Häusern und von Straßen. Die haben oft viel durchgemacht und jede Menge über uns und über unsere Zivilisation zu erzählen.
Sie sind ja ein Anhänger des Analogen, im Gegensatz zum Filmen, wo Sie auch mit digitalen Mitteln arbeiten. Was lässt Sie beim Fotografieren am Analogen festhalten?
Ich bin geradezu ein militanter Verfechter des Analogen, nicht für andere natürlich, aber für mich selbst. Ich fotografiere auf Filmmaterial, weil ich die Arbeit, die ich mache, gar nicht anders machen könnte. Ich muss allein und voll konzentriert sein können, ich muss aufs Geratewohl losziehen können, mich verlieren können in dem Ort, den ich dann finde, und mich in einen stummen Dialog mit ihm begeben können. Mit meiner analogen Kamera geht das wunderbar. Ich kann alles selber bedienen, wie im Schlaf, ich brauche auch keinen Computer, um das herunterzuladen oder gar um es überhaupt sehen zu können. Bei digitalen Apparaten, die so hoch auflösen würden wie mein Rollfilm, müsste ich schon mindestens ein iPad mitnehmen, um das Bild und die Schärfe zu kontrollieren, und dafür bräuchte ich eigentlich doch schon wieder einen Assistenten. Ich will das alles nicht.
Ich will vor allem eins nicht: Ich will nicht während des Aktes des Fotografierens schon ein Bild sehen, hinten auf dem Rücken des digitalen Apparates. Während ich einen Ort kennenlerne, während ich da herumgehe und das Licht studiere und versuche zu verstehen, was der Ort mir erzählen kann, in der Zeit will ich nicht schon mit einem Produkt konfrontiert sein. Für mich wäre das sofort das Ende meiner Bemühung, dem Ort näherzukommen: Wenn ich da schon ein Bild sähe, schon das Resultat von dem, was ich überhaupt erst noch herstellen will, vor Augen hätte, dann wäre mein ganzer Dialog schon von vornherein unterbunden.
Ich will auch nichts manipulieren. Ich will keinen anderen Himmel in mein Bild hineinbauen oder etwas herausretuschieren. Das Digitale verführt ja geradezu dazu, eben weil man alles machen kann. Man kann jedes Bild bis auf seine Atome auseinandernehmen und wieder anders zusammenbauen. Aber das will ich alles gar nicht. Ich will nur das, was ich gesehen habe, hinterher so gut wie möglich wiedererkennen und die Leute an denselben Ort mitnehmen und hinstellen, wo ich war. Deswegen mache ich diese großen Prints, damit Sie genauso beeindruckt sind wie ich von einem Ort.
Sie lassen sich in Ihren Bilder auf Landschaften ein, erzählen aber indirekt auch etwas über die Menschen, wenn Sie leere Straßen, leere Häuser, den abgeblätterten Putz an den Fassaden, Friedhöfe für Menschen oder auch für Autos fotografieren. Was erzählen Sie da über die Menschen? Auch etwas über die Zeit?
Die Zeit ist ein ganz wichtiges Thema in meiner Fotoarbeit. Orte leben in anderen Zeitzonen. Die muss man nicht entschleunigen, die sind schon entschleunigt. Manchmal fotografiert man einen Ort, der Millionen Jahre alt und für den unsere Menschheitsgeschichte nur ein kurzes Augenblinzeln ist. Oder man fotografiert Orte, die schon im Verschwinden sind oder Orte, an denen Menschen ihre Spuren hinterlassen haben, an denen Menschen gelebt und gearbeitet haben, in die wir Menschen Hoffnung investiert haben und dann weitergezogen sind. Man kann sich von Orten wirklich viel zeigen und erzählen lassen, wenn man sich nur darauf einlässt: Was gibt es da alles zu sehen? Welche Details findet man da? Welche Zeichen und Abdrücke haben wir da hinterlassen? Welche Spuren hat die Zeit da zurückgelassen?
Und je länger man da steht, umso mehr sieht man, umso mehr Geschichten kann man erfahren, auch Geschichte, die große Geschichte. Orte können auch ganz beredt von der Weltgeschichte erzählen. Man muss sich nur ein bisschen darauf einlassen. Man muss sich Zeit nehmen. Orte sind mitunter erst mal nicht gesprächig und müssen Vertrauen fassen, sozusagen, in diesen Zeugen oder den Dolmetscher, der ich dann für sie bin. Und ich muss diesem Vertrauen gerecht werden und ein richtig gutes Porträt machen. Das bin ich meinen Orten schuldig.
Die Ausstellung "4 REAL & TRUE 2 - Wim Wenders. Landschaften. Photographien." ist bis zum 16. August im Düsseldorfer Museum Kunstpalast zu sehen.
Das Gespräch führte Jochen Kürten.