Generation Y
4. September 2014Generation Y, das sind die heute 15- bis 30-Jährigen. Generation "why" werden sie genannt, weil sie auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind und vieles hinterfragen. Diese Generation nimmt ihr Leben ganz anders in die Hand als sämtliche Vorgängergenerationen, sagt der Soziologe und renommierte Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Sein gerade erschienenes Buch, das er zusammen mit dem Journalisten Erik Albrecht verfasst hat, heißt: "Die heimlichen Revolutionäre - Wie die Generation Y unsere Welt verändert".
DW: Sie haben Ihr Buch "Die heimlichen Revolutionäre" genannt. Das Wort Revolution beinhaltet aber auch ein Aufbegehren, einen wahrnehmbaren Protest. Kann eine Revolution "heimlich" sein?
Klaus Hurrelmann: Wir spielen mit dem Begriff Revolution der 68er-Generation, die sich als offene direkte Revolutionsgeneration definiert hat. Daher kommt die feste Vorstellung, Revolutionäre gingen auf die Straße, und am Ende hätten sie die Gesellschaft verändert. Heute haben wir eine Generation, die es auf eine stille, kaum merkliche Weise versucht, immer dort, wo sie gerade einen Bewegungsspielraum sieht. Den politischen Sektor klammert sie eher aus, aber in der Bildung oder am Arbeitsplatz setzt sie ihre Akzente. Auch bei der Familienplanung, der Freizeitgestaltung oder im Medienbereich verändert sie ihr Umfeld und damit letztendlich die Gesellschaft.
Wo genau hat diese Generation denn schon Revolutionäres geschaffen?
Zum Beispiel im Bildungsbereich. Da hat sie dafür gesorgt, dass das Schulsystem auf die Bedürfnisse von jungen Leuten eingeht. Die Arbeitsverhältnisse an den Schulen sind besser geworden, sodass die Leistungen der Schüler, die Zeugnisse, immer besser werden.
Für die Gesellschaft ist aber sicher der Umgang mit den Neuen Medien von Bedeutung, denn da ist die Kompetenz der Generation Y überragend im Vergleich mit anderen Generationen. Von den jungen Leuten sind starke Impulse ausgegangen, Netzwerke für die Kommunikation und die Alltagsgestaltung zu nutzen. Über diese Netzwerke setzen sie auch ihre Interessen und Vorstellungen durch, holen sich Informationen oder präsentieren sich selbst. Das ist wirklich ein Durchbruch. Im Beruf möchte man Strukturen haben, die auf die persönlichen Fähigkeiten und Interessen ausgerichtet sind. Auch da sind revolutionäre Akzente deutlich erkennbar.
Sie sagen, dass diese Jugend einen großen Wert auf Bildung legt. Warum ist das besonders wichtig?
Die Generation Y hat Bildung als strategischen Posten erkannt. Wer 2000 bis 2015 seine Jugend verbracht hat, der hat nicht nur politische weltweite Terroranschläge, Krisen und Umweltkatastrophen erlebt, sondern auch die Finanzkrise. Ein großer Teil dieser Generation hat keine Ausbildung und keinen Beruf bekommen. Eine ausgezeichnete Bildung ist da die einzige Möglichkeit, zu denen zu gehören, die die freien Plätze besetzen. So gesehen ist Bildung bei dieser Generation sehr stark ein Mittel zum Zweck.
Mehr Jugendliche als je zuvor haben heute in Deutschland einen guten Schulabschluss. Trotzdem beklagen Universitäten und Ausbilder, dass sie gar nicht so gebildet sind und für den Beruf nachgeschult werden müssen.
Das passiert genau dann, wenn es bei der Bildung um den Tauschwert geht, um das Abschlusszertifikat. Da haben die "Ypsiloner" die Unterstützung von ihren Eltern, die denken: Hauptsache Abitur. Was man wirklich dabei lernt, spielt inhaltlich keine Rolle. Was zählt, ist das gute Zeugnis.
In den letzten Jahren hat sich hierzulande die Ausgangssituation für diese Generation gewandelt. Man muss nicht mehr um wenige freie Plätze im Beruf kämpfen. Gerade in der Wirtschaft gibt es einen Fachkräftemangel. Außerdem zählt die Generation Y zu den geburtenschwachen Jahrgängen. Eigentlich bräuchten diese Jugendlichen sich um ihre Bildung und ihre Chancen doch gar keine Sorgen zu machen.
Die Generation Y haben wir auf eine Zeitspanne von 15 Jahren angelegt. In der Tat könnte es sein, dass jetzt die jüngeren Jahrgänge schon eine andere Ausgangssituation haben. Es bleibt dabei, dass sie alle in ihrer Jugend, die sie geformt hat, diese soziale Traumatisierung von Arbeitslosigkeit mitbekommen haben. Das prägt und bleibt als Muster stehen. Man braucht ja auch nur ins Ausland, nach Frankreich, Spanien oder Italien zu gucken, da ist die Situation ja gar nicht wie bei uns. Und die Generation Y ist sehr global orientiert. Die jungen Leute würden noch nicht darauf setzen, dass die Wirtschaftslage dauerhaft so bleibt.
Wie ist Ihre Haltung gegenüber dieser Generation Y? Beobachten Sie das als Jugendforscher, der durch seine Arbeit mehrere Generationen in ihrer Jugend begleitet hat, einfach sachlich, oder nehmen Sie in ihrem Buch auch kritisch Stellung?
In diesem Buch haben wir beschrieben, was man aus Studien weiß. Wir wollten uns kein Urteil auf der Basis von punktuellen Beobachtungen machen. Wir nehmen aber auch vorsichtige Bewertungen vor. Wenn man die Generation Y insgesamt betrachtet, muss man sagen, dass sie erstaunlich geschickt umgeht mit schwer durchschaubaren, komplexen, unübersichtlichen Situationen und mit der strukturellen Ungewissheit. Da kann man nur sagen: "Hut ab!" Davon könnten auch Ältere lernen, denn eine Unberechenbarkeit auf dem Arbeitsmarkt und im weiteren Verlauf des Lebens kann auf alle zukommen.
Problematisch sehe ich dieses Nützlichkeitsdenken, wie es etwa in der Bildung vorherrscht, ohne dabei auf die Inhalte zu achten. Auch in anderen Bereichen wird das Leben sehr schematisch gestaltet. Darunter könnten menschliche Bindungen leiden und oberflächlicher werden. Wie sich all das auf den Sozialcharakter und auf die dauerhafte Persönlichkeitsstruktur von Menschen auswirkt, weiß man noch nicht so genau. Mit allgemeinen zivilisationskritischen oder auch psychologisch kritischen Anmerkungen halten wir uns zurück, weil bisher jede neue Generation am Ende immer ihren Weg gemacht hat und immer für neue Akzente gesorgt hat, die der Gesellschaft gut getan haben. Darauf haben wir auch in unserem Buch Wert gelegt.
Das Gespräch führte Gaby Reucher.