Billige Freunde im Sicherheitsrat
13. Juni 2006Entwicklungsländer können für die Zeit ihrer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit deutlich erhöhten Hilfszahlungen aus den USA rechnen. Sind die Empfängerländer zudem Diktaturen, fällt der Zuwachs besonders üppig aus. Diese Schlüsse ziehen Wirtschaftswissenschaftler der Harvard-Universität aus einer umfassenden statistischen Untersuchung von US-Entwicklungszahlungen der letzten 60 Jahre. Einem ähnlichen Trend folgen auch die Hilfszahlungen des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen (UNICEF) - einer UN Organisation, "über die die USA traditionell große Kontrolle ausüben", schreiben Professor Eric Werker und Ilyana Kuziemko.
Die Ergebnisse legten den Schluss nahe, dass die US-Regierung versuche, im UN-Sicherheitsrat gerade mit den Ratsmitgliedern Allianzen einzugehen, die am "günstigsten zu bestechen seien", sagt Kuziemko. Die Studie, die DW-WORLD.DE vorliegt, wird gegenwärtig für die Publikation in einem wissenschaftlichen Fachjournal begutachtet.
44 Millionen Dollar für einen Sitz?
Für die Zeit ihrer Mitgliedschaft erhalten Entwicklungsländer den Ergebnissen zufolge im Schnitt 54 Prozent mehr Hilfsgelder von den USA und sieben Prozent mehr von UNICEF. Das sind jährlich rund 15 Millionen Dollar extra, die aus Washington kommen und etwa eine Million Dollar aus den Töpfen der UN. In Jahren, in denen besonders wichtige diplomatische Entscheidungen anstehen, erhöhen sich die Zahlungen noch einmal drastisch. Die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat wird dann von Washington mit bis zu 44 Millionen Dollar jährlich vergütet, die UN selbst legt auch noch einmal sechs Millionen Dollar dazu – größtenteils via UNICEF. Diese UN-Organisation werde "seit 1947 ausschließlich von Amerikanern geleitet, ein Teil ihrer politischen Entscheidungen erfolgt in Absprache mit dem US-Außenministerium", beschreiben die Autoren den US-Einfluss auf UNICEF.
Wie wichtig ein Jahr ist, haben die Autoren grob in drei Abstufungen festgelegt. Unter den Indikatoren, die herangezogen wurden, sind unter anderem die Anzahl von Kriegen und militärischer Krisen sowie die Häufigkeit der Medienberichterstattung über die UN und ihre Organisationen.
Diktaturen profitieren besonders
Entwicklungszahlungen verfünffachen sich zum Teil sogar, wenn es sich bei dem in den Sicherheitsrat gewählten Land um ein diktatorisches Regime handelt, ermittelten die Wissenschaftler. Dennoch bleibt bei diesen Ländern der absolute Betrag an Hilfszahlungen häufig gering. Über die besonderen Gründe für den starken Anstieg können sie keine endgültige Aussage treffen. "Diktaturen legen ihrem Volk gegenüber keine Rechenschaft ab. Abgezweigte Hilfsgelder aus dem Ausland müssen nur unter einer kleinen herrschenden Elite aufgeteilt werden", so Kuziemko. Insgesamt reichten damit zwar relativ kleine Beträge, um die Stimmen herrschender Eliten und damit ihrer Länder zu gewinnen. Da sie jedoch besonders kostengünstige Koalitionäre seien, würden die USA jedoch bei einer größeren Zahl von Abstimmungen auf sie bauen als auf andere Länder, spekuliert sie. Im Ergebnis könnten diese Staaten daher selbst bei eher geringen "Zahlungen pro Abstimmung" im Laufe des Jahres einen starken Anstieg der US-Gelder verzeichnen.
Kein Kommentar
Rudi Tarneden von UNICEF in Köln bestätigte zwar, dass die USA seit Jahrzehnten dieser Organisation vorstehen. Dennoch kann er die Ergebnisse der Studie nicht nachvollziehen. "Das erscheint mir relativ konstruiert", sagt er. Die Finanzierung sein aber abhängig vom Grad öffentlicher Aufmerksamkeit, die mit dem Sitz im Sicherheitsrat steigt.
Die US-Regierungsorganisation USAID verwaltet die Aktivitäten der US-Außenpolitik im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Sie erhielt nach Angaben ihres Sprechers David Snider erst durch DW-WORLD.DE Kenntnis von der Studie. Nach Einsicht in den Text war Snider zu einer Stellungnahme nicht bereit.
Empfängerländer haben "effektive Regierungen"
Dass zahlungskräftige Nationen Entwicklungsgelder und Kredite von der Kooperationsbereitschaft der Empfängerländer abhängig machen, ist ein häufig geäußerter Verdacht. So warf Italien der Bundesregierung im vergangenen Jahr vor, auf diese Weise die Unterstützung ärmerer Länder für das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu "erpressen".
Es sei unbestritten, dass mehr Entwicklungshilfe und eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat oft zeitgleich auftreten, sagt auch Ruth Wedgwood, Professorin für Völkerrecht und Diplomatie an der Johns Hopkins Universität in Baltimore. "Doch daraus alleine lässt sich keine Kausalität ableiten", kommentiert sie. Auf die Wahl eines Landes in den Sicherheitsrat hätten die USA praktisch keinen Einfluss. Gewählt würden vielmehr die Länder, die sich selbst im Wahlausschuss ihrer Weltregion vor ihren Nachbarländern erfolgreich präsentiert hätten. "Ist es nicht denkbar, dass eine effektive Regierung, die so die Wahl ihres Landes in den Rat bewerkstelligt, sich ebenso erfolgreich für mehr Entwicklungshilfe aus Washington einsetzen könnte?" In dem Fall wären die umfangreicheren Hilfsgelder lediglich darauf zurückzuführen, dass ein Land seine Situation durch die Wahl in den Rat besser auf der Weltbühne bekannt mache.
Die Autoren der Arbeit widersprechen dieser These: "Tatsächlich haben wir beobachtet, dass der Anstieg der im US-Haushalt vorgesehenen Zahlungen an ein Land mit dessen Wahl in den Sicherheitsrat steigt, nur um unmittelbar nach Ende der Mitgliedschaft wieder zurückzufallen." Dies lasse auf kein nachhaltiges internationales Bewusstsein für die Entwicklungsprobleme des betreffenden Landes schließen. Für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Ratsmitgliedschaft und höheren Entwicklungsbudgets spreche auch die Tatsache, dass die Hilfszahlungen gerade in den Jahren besonders ansteigen, in denen für die USA wichtige internationale Entscheidungen anstünden.
US-Haushaltsentscheidungen müssen untersucht werden
Ruth Wedgwood bezweifelt jedoch, dass der US-Bundeshaushalt die zeitliche Flexibilität besitze, um auf Veränderungen auf internationaler Ebene so schnell in seinem Interesse reagieren zu können: "Ob ein Jahr wichtig ist, kündigt sich nicht regelmäßig an einem 1. Januar an, so dass der US-Haushalt darauf Rücksicht nehmen könnte." Um hier einen kausalen Zusammenhang festzustellen, müssten die Entscheidungen der US-Haushaltsausschüsse im Einzelnen untersucht werden.
Dass Industrienationen ihre Entwicklungshilfezahlungen auf längere Sicht von der politischen Kooperation der Empfängerländer abhängig machen, wird kaum mehr bezweifelt. Nach Angaben der Autoren weist ihre Studie diese Praxis jedoch erstmals im Sicherheitsrat nach. Gleichwohl liefere sie keinen schlagenden Beweis dafür, dass tatsächlich für einzelne Abstimmungen gezahlt werde, räumt Kuziemko ein.
Anti-Korruptionskämpfer besorgt
Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International (TI) sieht diese Praxis ebenfalls mit Sorge. Es sei problematisch, Hilfszahlungen von der politischen oder militärischen Unterstützung eines Landes abhängig zu machen, ohne darauf zu achten, wie es regiert wird, sagt Catherine Woollard, die das TI-Programm "Armut & Entwicklung" leitet. "Gerade dies kann die Macht undemokratischer Eliten noch festigen – zum Schaden der Bevölkerung."
Die Ergebnisse der Studie ließen weitergehende Reformen des UN-Sicherheitsrates notwendig erscheinen, die bislang in der Diskussion um seine grundlegende Neustrukturierung kaum eine Rolle gespielt hätten, schreiben Kuziemko und Werker. Gebraucht würden "Maßnahmen, die helfen, rotierende Mitglieder des Rates von der finanziellen Einflussnahme größerer Mächte zu isolieren."
Doch auch etwas Gutes finden die Autoren. Durch die Extra-Entwicklungshilfe an nicht permanente Mitglieder hätten "führende Spieler implizit ihr Vertrauen auf die Relevanz des Sicherheitsrats für globale Entscheidungen offenbart."