Billigimporte aus China bedrohen US-Wirtschaft
17. Oktober 2004Ein neuer Tag im edlen New Yorker Boutiquenviertel Soho: Ming Yi Chen sitzt entspannt in der Cafeteria seines Ladens. Der Besitzer des Pearl River Mart braucht sich nicht zu sorgen. Er setzt zehn Millionen Dollar im Jahr um, Tendenz steigend, denn die Kunden wissen: Von Lebensmitteln und Geschirr bis hin zum World Trade Center in Kristallglas - bei Pearl River gibt es fast alles. Und fast alles ist spottbillig, weil es Importware aus China ist: "Wir haben Sachen, die nur zehn Cent kosten! Touristen, Amerikaner, alle kaufen bei uns. Ich hoffe, dass das ein Trend ist", sagt Ming Yi Chen.
Ein Trend - So sieht es aus, denn die Importe aus China verzeichnen jährliche Zuwachsraten von 33 Prozent. Vor allem Textilien finden reißenden Absatz: Bis 2005 werden wohl drei Viertel aller in den USA verkauften Hosen, T-Shirts und Kleider "Made in China" sein.
US-Textilindustrie in der Krise
Nicht alle sind froh über diese Entwicklung. Fünf U-Bahn-Stationen nördlich von Pearl River entfernt liegt die Geschäftszentrale der National Spinning Company. Der Fasergarnproduzent steckt in der Krise. Die Hälfte der einst 1500 Mitarbeiter wurden bereits entlassen, Firmenchef Bob Miller sieht keinen Ausweg aus der schlechten Lage. "Der Preiskampf mit den Chinesen klemmt uns das Blut ab. Ein Fabrikarbeiter in China verdient höchstens 100 Dollar im Monat. Wir müssen unseren Leuten mindestens zwölf Dollar die Stunde geben", erklärt Miller.
Schätzungsweise ein Drittel der 2,7 Millionen Entlassungen, die das verarbeitende Gewerbe in den USA zu beklagen hat, sind auf die Billigimporte aus China zurückzuführen. Die Politiker, für die der Arbeitsmarkt ein Schlüsselelement der Präsidentschaftswahlen ist, müssen reagieren. Washington verlangt, dass Peking seine Währung, den Yuan, aufwertet, damit die chinesischen Produkte teurer werden.
Selbstgezüchtetes Problem?
Jetzt schotten die USA erstmal ihre Industrie ab: Neben bereits existierenden Barrieren, die etwa chinesischen Knoblauch mit Zöllen von 376 Prozent belegen, gelten nun auch Einfuhrbeschränkungen für BHs, Morgenröcke und Fernsehgeräte.
Ausgeblendet wird dabei aber ein wichtiger Aspekt: Schuld an der Misere sind vor allem amerikanische Unternehmen. 60 Prozent aller China-Importe stammen aus den Filialen von US-Konzernen, die ihre Produktion ausgelagert haben. Auch der Computergigant Dell nutzt den Standortvorteil China: Dell will seine Verkäufe in China dieses Jahr auf sechs Milliarden Dollar verdreifachen. "Wir beschäftigen immer noch die Hälfte unserer weltweiten Belegschaft in Texas. Aber wir müssen auch dort Stellen schaffen, wo wir am stärksten wachsen können", rechtfertigt Direktorin Cathie Hargett die Produktionsverlagerung.
"Wahlkampfdemagogie"
Ein paar Blocks südlich vom Pearl River Mart liegt die Wall Street. Sie profitiert davon, dass der US-Markt mit chinesischen Billigprodukten überschwemmt wird: Die Importe halten Preise und Zinsen niedrig. Für den Handelsstreit, den Washington mit Peking angezettelt hat, haben die Finanzexperten wie Arnivan Banerji wenig Verständnis. Er spricht von "purer Wahlkampfdemagogie" und plädiert für eine andere Unternehmenskultur. So würden Deutschland und Japan viel weniger Jobs ans Ausland verlieren, weil es schwieriger sei, Leute zu entlassen, sagt Banerji.