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Biopic über Israels Politikerin Golda Meir

Elizabeth Grenier
9. Oktober 2023

In seinem Film über Israels frühere Regierungschefin konzentriert sich Guy Nattiv auf den Jom-Kippur-Krieg von 1973. Bis heute ist Golda Meirs Wirken umstritten.

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Eine Szene des Films "Golda" zeigt Helen Mirren als frühere Ministerpräsidentin Israels, Golda Meir.
Oscar-Preisträgerin Helen Mirren im Biopic "Golda"Bild: Jasper Wolf

Wenn der Titel des Films nur aus einem Vornamen besteht, ist das mitunter ein Hinweis auf die historische Bedeutung der Titelfigur. "Golda" ist ein Biopic über Israels erste und bisher einzige weibliche Premierministerin, Golda Meir. Die auch als "Eiserne Lady Israels" bezeichnete Politikerin war zwischen 1969 und 1974 Staatsoberhaupt des Landes.

Unter der Regie des israelischen Filmemachers Guy Nattiv und mit Helen Mirren in der Hauptrolle wurde "Golda" im Februar 2023 bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin uraufgeführt, jetzt kommt er in die internationalen Kinos.

In seinem Film widmet sich Nattiv nicht dem gesamten Leben oder dem politischen Werdegang Meirs, er konzentriert sich vielmehr auf ihre Rolle und Entscheidungen während des Jom-Kippur-Kriegs. Der Konflikt zwischen Israel und einer Koalition arabischer Staaten unter Führung Ägyptens und Syriens begann am 6. Oktober und endete mit einem Waffenstillstand am 24. Oktober 1973.

"Ich glaube nicht, dass Geschichten von der Wiege bis zur Bahre im Kino besonders gut funktionieren. Und es ist irgendwie schwierig, wenn man verschiedene Schauspieler einsetzt, um eine Figur in verschiedenen Altersstufen darzustellen", sagt Drehbuchautor Nicholas Martin im Gespräch mit der DW.

"Es gab nichts, wovor sie Angst hatte"

Martin legte den Fokus auf den Jom-Kippur-Krieg, weil "Goldas gesamte Lebenserfahrung zu diesem Moment geführt hat". Sie sei die einzige Person gewesen, "die das Land in diesem Moment hätte führen können, weil es nichts mehr gab, wovor sie Angst hatte".

Golda Mabovitch wurde am 3. Mai 1898 in Kiew im damaligen Russischen Reich geboren und wanderte 1906 mit ihrer jüdischen Familie wegen drohender Pogrome in die USA aus. In ihrer Autobiografie schildert Meir eine ihrer frühesten Erinnerungen: dass ihr Vater das Haus in der Heimat inmitten antijüdischer Ausschreitungen verbarrikadierte.

Drehbuchautor Nicholas Martin
Drehbuchautor Nicholas Martin stellt "Golda" im Februar auf der Berlinale vorBild: F. Kern/Future Image/IMAGO

Auch der Film nimmt Bezug auf diese frühe Kindheitserfahrung. Während eines Telefongesprächs mit Henry Kissinger (dargestellt von Liev Schreiber), ihrem jüdischen Politikerkollegen, der gerade von US-Präsident Richard Nixon zum US-Außenminister ernannt worden war, bespricht Meir die Bedingungen für einen Waffenstillstand.

Als Kissinger den starken Einfluss der Sowjetunion in dem Konflikt erwähnt, antwortet sie: "Lassen Sie mich Ihnen etwas über die Russen erzählen, Henry. Als ich ein Kind in der Ukraine war, hat mein Vater zur Weihnachtszeit die Fenster unseres Hauses mit Brettern vernagelt, um uns vor den Kosaken zu schützen, die sich betranken und Juden angriffen. Sie schlugen die Juden auf der Straße zu Tode, nur so zum Spaß. Mein Vater versteckte uns im Keller. Und wir haben geschwiegen und gehofft, dass die Mörder an uns vorbeigehen würden."

Parallelen zur Ukraine

Mit dieser Erinnerung will Golda deutlich machen, dass sie keine Angst mehr vor den Russen hat: "Ich bin nicht das kleine Mädchen, das sich im Keller versteckt", sagt sie abschließend.

Nicholas Martin hatte das Drehbuch im Jahr 2017 geschrieben, also vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Ihre trotzige Haltung entspreche der heutigen Einstellung der Ukrainer, sagt der Autor.

Ägypten und Syrien starteten ihren Überraschungsangriff am 6. Oktober 1973, an Jom Kippur, dem heiligsten Tag des jüdischen Kalenders. Das israelische Militär wurde unvorbereitet getroffen und war zahlenmäßig unterlegen. Sowohl die Araber als auch Israel erklärten den Krieg für gewonnen. Israel hat zwar vorerdergründig militärisch gesiegt, aber dieser Sieg war mit einem hohen Preis verbunden: In den Tagen des Kriegs wurden rund 2.800 israelische Soldaten getötet und mindestens 8.000 weitere verwundet.

Die ehemalige Ministerpräsidentin Golda Meir trifft 1977 auf den ägyptischen Präsidenten Anwar EL Sadat, beide lachen bei der Übergabe eines Geschenks.
Golda Meir trifft 1977 auf den ägyptischen Staatspräsidenten Anwar as-SadatBild: AFP/Getty Images

Für ein so kleines und junges Land sei dies "ein enormes Trauma" gewesen, sagt Martin.
In der westlichen Welt ist Meir als eine Ikone des 20. Jahrhunderts in Erinnerung geblieben: als Frau, die Grenzen überwand, eine engagierte Führungspersönlichkeit mit ausgeprägtem Sinn für Humor.

In Israel ist ihr Image allerdings noch immer umstritten: "Goldas Ruf, ihr Name, ist mit diesem Trauma verbunden", erklärt Martin. Noch Jahre nach Meirs Tod hätten Israelis ihren Hinterbliebenen Versagen während ihrer fünfjährigen Amtszeit als Premierministerin vorgeworfen.

Kurz nach dem Krieg war die Agranat-Untersuchungskommission eingesetzt worden, die klären sollte, warum niemand den Überraschungsangriff vorausgesehen hatte. Zehn Tage nach der Veröffentlichung des Kommissionsberichts trat Meir zurück. Die meisten Details der Untersuchung blieben jahrelang unter Verschluss.

Dokumente entlasteten Meir

Der Film stützt sich auch auf inzwischen freigegebene Dokumente. Die belegten, dass Israel ein äußerst kostspieliges Abhörsystem eingerichtet hatte, das die ägyptischen Befehlsleitungen zwischen dem Suezkanal und Kairo anzapfte. 

Mit Verweis auf das ausgeklügelte Abhörsystem wurde der Premierministerin versichert, mindestens 72 Stunden vor einem ägyptischen Angriff benachrichtigt zu werden.

"Vorausgesetzt, das System war eingeschaltet", sagt Nicholas Martin. Der damalige Sicherheitschef des militärischen Nachrichtendienstes habe einen Krieg aber für unwahrscheinlich gehalten, weshalb das Abhörsystem gar nicht in Funktion gewesen sei. "Es war sehr unfair, Golda die Schuld zu geben."

1978 starb Golda Meir im Alter von 80 Jahren. Mehr als zwölf Jahre lang hatte sie gegen Lymphdrüsenkrebs angekämpft. "Golda" zeigt, wie sich die kettenrauchende Premierministerin inmitten des Kriegs einer Strahlentherapie unterzieht.

Golda Meir als junge Frau
Golda Meir um 1915 in Milwaukee, wohin sie mit ihren Eltern geflohen warBild: AP Photo/picture alliance

Ein Jahr vor ihrem Tod konnte sie noch an einem historischen Ereignis teilnehmen, als der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat als erster arabischer Führer Israel besuchte und am 20. November 1977 vor der Knesset zum Frieden aufrief.

Auch wenn sie die Unterzeichnung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrags im März 1979 nicht mehr erlebte, trug Golda Meir zur Stabilisierung der Beziehungen bei, die schließlich zum Frieden zwischen den beiden Ländern führten, die seit der Gründung Israels im Jahr 1948 im Konflikt standen. Und das sei, wie Nicholas Martin betont, "ihr größtes Vermächtnis".

Adaption aus dem Englischen: Torsten Landsberg

Dieser Artikel wurde am 28.08.2023 ergänzt.