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Watergate: Ein Skandal verändert die Sprache

Brenda Haas
17. Juni 2022

Das britische "Partygate", das US-amerikanische "Nipplegate" und das deutsche "Dieselgate" - sie alle verdanken ihre Namen einem politisch motivierten Einbruch in einen Gebäudekomplex in Washington D.C. vor 50 Jahren.

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USA Watergate Complex in Washington
Der Watergate-Komplex ist in die Sprachgeschichte eingegangenBild: Marion S. Trikosko/picture alliance/Glasshouse Images

Am 17. Juni 1972, im Jahr der Präsidentschaftswahlen in den USA, brachen fünf Männer in das Hauptquartier des Demokratischen Nationalkomitees (DNC) im Watergate-Komplex in Washington, D.C. ein. Ihr Auftrag: Sie sollten die Büros des DNC mit Abhörgeräten verwanzen, um an belastendes Material zu gelangen, das den demokratischen Kandidaten Senator George McGovern schwächen - und damit die Wiederwahl von Präsident Richard Nixon sichern sollte.

Nixon gewann eine zweite Amtszeit, die Täter wurden wegen Einbruchs vor Gericht gestellt und verurteilt. Weitere Ermittlungen ergaben jedoch, dass Nixons Wahlkampfausschuss in die Sache verwickelt gewesen war und dass der Präsident selbst von der Aktion gewusst hatte und an ihrer Vertuschung beteiligt war. Um ein Amtsenthebungsverfahren zu vermeiden, trat Nixon als erster - und bislang einziger - US-Präsident am 8. August 1974 von seinem Amt zurück.

Schwarz-weiß Foto von Richard Nixon: Er streckt die Arme von sich und zeigt mit beiden Händen das Siegeszeichen.
Richard Nixon zeigt das Siegeszeichen, als er nach seinem Rücktritt einen Hubschrauber besteigtBild: AP

So die Geschichte. Die wiederholte Erwähnung in den Medien führte mit der Zeit dazu, dass sich das Wort "Watergate" nicht mehr nur auf diesen konkreten Einbruch bezog, sondern mit Skandalen im Allgemeinen assoziiert wurde und sich schließlich in der Alltagssprache verankerte.

Warum eigentlich 'Watergate'?

Der Gebäude-Komplex, der heute als architektonisches Wahrzeichen im National Register of Historic Places steht, wurde einst aus ganz pragmatischen Gründen so genannt: Die 1971 fertiggestellte Anlage war die erste gemischt genutzte Siedlung in Washington D.C. Sie lag am Ufer des Flusses Potomac und bestand aus Bürogebäuden, einem Hotel sowie einigen Wohnblocks. In ihrer Blütezeit war sie die bevorzugte Wohnadresse der Politiker in Washington D.C.

Außenansicht des Watergate-Komplexes in  Washington
Heute ein Wahrzeichen: Watergate-KomplexBild: G. Jackson/Arcaid/picture alliance

In seinem 2009 erschienenen Buch "Presidential Power on Trial: From Watergate to All the President's Men" schrieb William Noble, dass das Watergate "seinen Namen von dem 'Tor' erhielt, das bei Flut den Wasserzufluss vom Potomac River in das Gezeitenbecken regulierte".

Der Begriff für Skandale 

Heute ist "-gate" das Standardsuffix für jedes kontroverse Ereignis, das für Schlagzeilen sorgt. Ein berühmtes Beispiel: Nipplegate - der Bruchteil einer Sekunde, in dem die Brüste der Sängerin Janet Jackson während ihres Auftritts mit Justin Timberlake bei der Halbzeitshow des Super Bowl 2004 entblößt wurden.

Die Endung "-gate" wurde zum ersten Mal im Jahr nach dem Watergate-Skandal verwendet, als das US-amerikanische Magazin "National Lampoon" eine satirische Geschichte über einen angeblichen russischen Skandal veröffentlichte und diesen als "Volgagate" bezeichnete.

Der ehemalige Nixon-Redenschreiber William Safire verwendete das Suffix "-gate" in den folgenden Jahren häufig in seinen Kolumnen in der New York Times, wenn er über andere Skandale schrieb. Später gab er zu, dass er dies getan hatte, um von der Kritik an den Verfehlungen seines ehemaligen Chefs abzulenken.

Schwarz-weiß Foto von Monica Lewinsky und Bill Clinton im weißen Haus
Monica Lewinsky und Bill Clinton 1998 im weißen Haus. Ihre Geschichte wird in der TV-Serie "Impeachment" neu erzählt. Bild: Getty Images/Hulton Archive

Weitere berüchtigte "Gates", in die US-Präsidenten verwickelt waren, sind das "Monicagate"/"Lewinskygate" in den späten 1990er Jahren, als Präsident Bill Clinton eine Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky im Weißen Haus zunächst leugnete und dann zugab, sowie das "Ukrainegate" im Jahr 2019, als Präsident Donald Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bat, gegen Hunter Biden, den Sohn von Joe Biden, zu ermitteln, um Informationen zu erhalten, die Biden Senior bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 2020 schaden würden.

'-gate' macht weltweit Karriere 

Das Suffix fand sich bald auch in anderen Sprachen. So kam es 1973 in Frankreich zum "Winegate", als billiger Wein in betrügerischer Absicht als teurer Bordeaux ausgegeben wurde.

Beim "Valijagate" ging es 2007 um den venezolanisch-amerikanischen Unternehmer Guido Antonini Wilson, der mit einem von argentinischen und venezolanischen Staatsbeamten angemieteten Privatflugzeug nach Argentinien kam und 800.000 Dollar in bar mit sich führte, die er nicht deklarierte. "Valija" ist spanisch und bedeutet Koffer.

Verwittertes VW-Logo mit Rost an den Seiten
Volkswagen spürt noch immer die Folgen von "Dieselgate"Bild: picture alliance/dpa/F. von Erichsen

In Deutschland kam es 2015 zum "Dieselgate", als der deutsche Autohersteller Volkswagen zugab, bei den Abgaswerten seiner Fahrzeuge betrogen zu haben. Die Enthüllungen sowie die anschließenden Ermittlungen hatten weltweite Auswirkungen für das Unternehmen. Nach sechsstelligen Vergleichen und Geldstrafen in den USA erklärte sich das Unternehmen kürzlich bereit, im Rahmen einer Sammelklage von 91.000 Autofahrern in Großbritannien 193 Millionen Pfund (umgerechnet etwa 226 Millionen Euro) außergerichtlich zu zahlen.

Italien hat sich derweil ein Beispiel an der englischen Sprache genommen und ein eigenes Suffix erfunden. Ein Skandal in Mailand Anfang der 1990er-Jahre, bei dem Politiker Schmiergelder im Austausch für öffentliche Bauaufträge erhielten, wurde "Tangentopoli" getauft - was übersetzt soviel wie "Stadt der Schmiergeldzahlungen" bedeutet. Nachfolgende Skandale bekamen ebenfalls das Suffix "-poli": Die Finanz- und Bankenskandale 2005/06 bekamen den Namen "Bancopoli", ein Skandal um Spielmanipulationen in Italiens höchster Fußballliga lief unter "Calciopoli". "Calcio" ist das italienische Wort für Fußball.

Pure Faulheit oder geschickte Übernahme des Suffix?

Einige Linguisten kritisieren, dass die Medien an jede Kontroverse das Suffix "-gate" anhängen, weil dadurch der Schweregrad mancher Verfehlungen im Vergleich zu anderen verharmlost werden könne. 

Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Das britische "Partygate", bei dem von der Regierung gesponserte Partys organisiert wurden, die gegen die Corona-Vorschriften verstießen, ist nicht gleichzusetzen mit "Slapgate". So wurde die Aktion des Schauspielers Will Smith bezeichnet, der den Moderator der Oscar-Verleihung 2022, Chris Rock, ohrfeigte, nachdem dieser sich über Smiths Frau Jada Pinkett-Smith und deren Haarausfallerkrankung lustig gemacht hatte.

Zwei Männer in Anzügen, der eine ohrfeigt den anderen
Die Ohrfeige von Will Smith für Chris Rock ging als #slapgate durch die Medien Bild: Brian Snyder/REUTERS

Andere argumentieren jedoch, dass "-gate" eine gewisse Ernsthaftigkeit erlangt hat und dass das Anhängen des Wortes an ein Thema die Antennen aller hochgehen lasse. 

"Die Verwendung des Begriffs im Journalismus ist so weit verbreitet, dass auch Menschen, die nichts über den Watergate-Skandal wissen, keine Probleme haben, zu verstehen, was mit einem Wort wie "Bloodgate" gemeint ist", erklärte Ian Brookes, beratender Redakteur des Collins English Dictionary, 2013 gegenüber der BBC. Der als "größter Rugby-Skandal" beschriebene "Bloodgate"-Skandal ereignete sich 2009, als das englische Rugby-Team Harlequins gegen die irische Mannschaft Leinster spielte. Ein englischer Spieler täuschte eine Verletzung vor, indem er auf eine falsche Blutkapsel biss und so einen Tausch mit einem Mannschaftskameraden ermöglichte, in der Hoffnung, einen Sieg zu erringen.

Ob geliebt oder geschmäht, "-gate" ist und bleibt sicherlich ein fester Bestandteil der Sprache für Skandale aller Art. In einem BBC-Comedy-Sketch aus dem Jahr 2010 mit dem Titel "That Mitchell and Webb Look" wurde jedoch ein berechtigter - und witziger - Aspekt bezüglich der Verwendung des Suffixes angesprochen: Wenn "-gate" ein eigenständiges Suffix für Unangemessenheiten jeglicher Art sein soll, sollte der Skandal, mit dem alles begann, dann nicht "Watergate-Gate" heißen?

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.