Retrospektive "Black Light" in Locarno
10. August 2019Es ist nicht lange her, da wurde in Hollywood und im Rest der Filmwelt über die mangelnde Berücksichtigung von afroamerikanischen Filmkünstlern bei den jährlichen Oscar-Verleihungen diskutiert. 2017 gab die Oscar-Akademie dem Wunsch der filminteressierten Öffentlichkeit nach und zeichnete "Moonlight" von Regisseur Barry Jenkins als "Bester Film des Jahres" aus. Eine gute Entscheidung, die einen künstlerisch herausragenden Film traf.
Die Oscar-Diskussion hat das Thema "Black Cinema" auf die Tagesordnung gesetzt
Nur zwei Jahre später wurde mit "Green Book" erneut ein Film ausgezeichnet, in dem es um Rassismus geht. Auch wenn beide Filme kaum zu vergleichen sind, nur der eine ("Moonlight") von einem schwarzen Filmemacher inszeniert wurde und der andere sich sogar des Vorwurfs ausgesetzt sah, das Thema schönzureden - eines haben die Diskussionen um den Oscar doch gebracht: die Filmszene thematisiert Rassismus und Chancengleichheit.
Dass das Festival in Locarno nun eine große und filmhistorisch fundierte Retrospektive zum Thema präsentiert, passt also ins Bild. Geplant war diese schon länger, eigentlich hätte sie aber erst im kommenden Jahr stattfinden sollen. Nun hat man sie um ein Jahr vorgezogen. "Black Light" umfasst 47 Filme, überwiegend nordamerikanische und europäische Produktionen.
Nach den rassistischen Attacken von US-Präsident Donald Trump gegen dunkelhäutige Politikerinnen und Politiker, nach Schimpftiraden gegen eine ganze Stadt mit mehrheitlich afroamerikanischer Bevölkerung (Baltimore) und nach den rassistisch begründeten Amokläufen in den US-Städten bekommt die Locarno-Retrospektive eine ganz neue Aktualität.
Werke von ganz unterschiedlichen Filmschaffenden werden in Dialog gesetzt
"Being Black" habe die Retrospektive zunächst heißen sollen, sagt Festivalchefin Lili Hinstin, dann habe man sich aber für den Titel "Black Light" entschieden. Das kling ein wenig freundlicher, optimistischer. Doch das, was gezeigt wird in den vielen Spiel- und Dokumentarfilmen, fällt in den wenigsten Fällen freundlich und optimistisch aus.
"'Black Light' zeigt einen historischen Querschnitt des internationalen Black Cinema und stellt die Werke von Filmschaffenden unterschiedlicher Herkunft in einen direkten Dialog", erklärt Greg de Cuir Jr., der die Filme der Retrospektive kuratiert und zusammengestellt hat: "Es handelt sich um Meilensteine von Kulturen und Menschen, die ihre afrikanische Herkunft teilen, doch in verschiedenen Regionen dieser Welt unterschiedliche Erfahrungen gemacht und unterschiedliche Identitäten geformt haben."
US-Filme und europäische Regisseure überwiegen bei "Black Light"
So finden sich unter den 47 Filmen ganz unterschiedliche Arbeiten: Angefangen mit einem Stummfilm von 1919 über ein paar wenige Beispiele aus den 1930er und 1940er Jahren bis zu Klassikern aus dem Nachkriegsjahrzehnt wie "Odds Against Tomorrow" mit Harry Belafonte und "Orfeu Negro". Die 1960er Jahre brachten dem "Black Cinema" einen ersten Aufschwung, vor allem auch, weil es von nun an nicht nur weiße Filmemacher waren, die hinter den Kameras standen.
Filme aus den folgenden Jahrzehnten dominieren die filmhistorische Schau in Locarno. Es überwiegen US-amerikanische Regisseure, aber auch Europäer wie Pier Paolo Pasolini und Jean Rouch sind vertreten. Mit Filmemachern wie Med Hondo und Ousmane Sembene ist das Kino von in Afrika geborenen Regisseuren zumindest am Rande dabei. Aber auch das will Lili Hinstin in den kommenden Jahren im ganz normalen Festival-Programm ändern: "Das starke Schaffen aus Afrika kann Unterstützung brauchen." Sie habe sich dafür einen Experten an die Seite geholt, lässt sie in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung wissen. Locarno wird also in den kommenden Jahren mehr afrikanisches Kino zeigen.
Für Hinstin ist es wichtig, mit den Filmen Zeichen zu setzen. Ein Thema wie das der Retrospektive von 2019 gehöre unbedingt dazu: "Ich werde oft mit der Gender-Frage konfrontiert in diesem außergewöhnlichen historischen Moment, der durch #MeToo entstanden ist", sagt die Französin. Sie sei überzeugt, "dass der Kampf gegen die soziale Unterdrückung über die Frauenbewegung hinausweisen" werde: "Er sollte sich auf alle Menschen ausdehnen, die nicht zur herrschenden Klasse des weißen heterosexuellen Mannes gehören."
Lili Hinstin: "...über die #MeToo-Bewegung hinausschauen"
Greg de Cuirs kuratorische Arbeit rund um das amerikanische Black Cinema habe sie beeindruckt. Ihm habe sie die Retrospektive mit dem Anspruch anvertraut, "die Repräsentation von Minderheiten am Beispiel der schwarzen Identitäten zu befragen und damit über die #MeToo-Bewegung hinauszuschauen."
De Cuir pflichtet dem bei: "Das Panorama geht vom afrikanischen Kontinent und dessen Kino aus, weil seine zentrale Frage lautet, was mit Afrikas Töchtern und Söhnen geschah, nachdem sie ihr Land verlassen mussten und über die Jahrhunderte gezwungen waren, in mannigfaltigen politischen und sozialen Umgebungen zu überleben."
Die Antworten fallen in den Filmen höchst unterschiedlich aus. Gemeinsam ist vielen allerdings, dass Gewalt und soziale Benachteiligung fast überall eine Rolle spielen: "Die Retrospektive blickt in die Archive, um die Vergangenheit hervorzuholen und das Verständnis, das wir heute vom Black Cinema haben, zu ergänzen und zu bereichern", sagt der Kurator.
Das "Black Cinema" verfügt über viele verschiedene Facetten
Alte Filme zu sehen, um Geschehnisse in der Gegenwart besser zu verstehen - auch dafür sind große filmhistorische Retrospektiven bei Festival da. Sie sollen auch die Vielfalt des Kinos zeigen. Denn eines steht fest. "Schwarzes Kino" nur auf die Rassismus-Thematik zu reduzieren, das wäre eine andere Form von Diskriminierung. "Es gibt nicht nur die eine Konzeption von Black Cinema, genauso wie es nicht nur eine Konzeption von Black People gibt", sagt Greg de Cuir Jr.