Internet & Zukunftsvisionen: Werner Herzogs neuer Film
19. August 2016Es ist die unbändige Neugier, die Werner Herzog umtreibt. Schon immer hat der Regisseur, der in Deutschland den meisten Zuschauern durch seine Spielfilme mit Klaus Kinski ein Begriff sein dürfte ("Aguirre", "Fitzcarraldo"), auch Dokumentarfilme gedreht. So richtete Herzog schon früh seine Kameras auf das Leben behinderter Menschen, setzte einem berühmten Schweizer Skispringer sowie Reinhold Messner filmische Denkmäler oder beschäftigte sich mit einem Tierschützer, der von einem Grizzly-Bären gefressen wurde.
Dass Herzogs Dokumentationen auch Publikumsrenner sein können, bewies er zuletzt 2010, als er für "Die Höhle der vergessenen Träume" in die südfranzösischen Chauvet-Höhlen hinabstieg und uralte Felsmalereien in 3D dokumentierte.
Herzog ist neugierig - und fragt unvoreingenommen
Nun also das Internet. Wieder ist es Herzogs ungebremste Neugier, die ihn antreibt. In "Lo and Behold, Reveries of the Connected World" setzt er seinen Fokus auf die Entstehung und die Zukunft der vernetzten Welt.
Der deutsche Filmemacher hat in der Vergangenheit stets betont, dass seine Dokumentarfilme nichts mit abgebildeter Realität zu tun hätten und dass seine Bilder keinesfalls ein exakt authentisches Bild der Welt lieferten. "Lo and Behold, Reveries of the Connected World" fällt angesichts dieses ästhetischen Credos relativ konventionell aus. Hatte Herzog in früheren Arbeiten mit dramaturgischen Einfällen die Grenzen zwischen Dokumentation und Spielfilm ausgelotet, so gleicht "Lo and Behold, Reveries of the Connected World" durchaus einer klassischen Dokumentation.
Herzog betont gern, dass er selbst kein Handy besitze und seinen Computer höchstens einmal benutze, um eine E-Mail zu schreiben oder auf Google-Maps zu schauen. In seinem neuen Film zeigt sich der Regisseur natürlich trotzdem fasziniert von den Möglichkeiten einer vernetzten Welt und künstlicher Intelligenz. Vor allem interessiert sich Herzog für die Menschen, die hinter diesen Entwicklungen stehen: Computer- und Roboterspezialisten, Informatiker und Hacker, Tüftler und Techniker.
Schreckensszenario und Aufbruchseuphorie
Für ihn sei der digitale Wandel eine der größten Revolutionen der Menschheit, sagte Werner Herzog im Januar bei der Welturaufführung des Films beim Sundance Festival im amerikanischen Bundesstaat Utah. Nach zahlreichen weiteren Festival-Vorführungen in den USA, Kanada, Australien und Europa (in Deutschland lief der Film bisher nur beim Filmfest München) kommt " Lo and Behold, Reveries of the Connected World" nun in die nordamerikanischen Kinos. Die deutschen Zuschauer müssen noch auf einen offiziellen Kinoeinsatz warten.
Herzog hat seinen Lebensmittelpunkt längst in den Vereinigten Staaten, dreht dort Spielfilme mit großen Stars, aber eben auch Dokumentationen. Die US-Verleiher bewerben die Dokumentarfilme des Deutschen mit Zusätzen wie "vom legendären Regisseur Werner Herzog". In den USA dürfte der 1942 in Bayern geborene Herzog in Filmkreisen inzwischen bekannter und geschätzter sein als in seiner alten Heimat Deutschland.
Weil seine Erfahrungen mit dem Internet begrenzt sind, habe er sich mit der Thematik als Außenseiter annehmen können, hatte Herzog im Vorfeld der Premiere beim Sundance Filmfestival gesagt: "Ich folgte meiner Neugierde und denke, dass die Ehrfurcht und Aufregung dabei zum Ausdruck kommen."
Werner Herzog: "Menschen, die zu viel im Internet sind, verlieren die Welt"
In Interviews gab er aber auch seiner Skepsis gegenüber vielen Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet Social Media Ausdruck: "Ich habe bisher kein einzigen Tweed gelesen, der mich interessiert hat", meinte Herzog kritisch. Seine Social-Media-Aktivitäten würden bei ihm zu Hause rund um den Küchentisch mit seinen Gästen stattfinden, merkte der Regisseur in seiner bekannt süffisanten Art an: Dort habe sein Tisch Platz für sechs Personen, also können er noch vier weitere einladen, das reiche zum kommunizieren.
In "Lo and Behold, Reveries of the Connected World" lässt Herzog Unternehmer wie Elon Musk zu Wort kommen, der von seinen Visionen eines bewohnten Mars schwärmen darf, er interviewt einen indischstämmigen Softwarespezialisten, der begeistert seine Fußballroboter vorführt oder unterhält sich mit Informatik-Pionieren wie Leonard Kleinrock.
Herzog zeigt sich fasziniert von den Visionen der Spezialisten, lässt diese aber gleichsam unkommentiert stehen - so dass es dem Zuschauer überlassen bleibt, ob er sich dieser visionären Begeisterung anschließt oder diese als Spinnereien abtut. Herzog stellt Fragen, darin sieht er seine vornehmliche Aufgabe - in diesem Film zumindest, bei diesem ihm eher fremden Thema.
Auch Skeptiker kommen zu Wort
Doch räumt er auch seiner Skepsis Raum ein. Vor allem, weil er Kritiker der digitalen Revolution zu Wort kommen lässt, allerding eher auf einer persönlich gefärbten Ebene. So berichtet eine Aussteigerin, die sich in die Wälder West-Virginias zurückgezogen hat, von ihren Ängsten gegenüber Mobilfunk-Strahlung. Oder er interviewt eine Mutter, die sich über Hass-Mails von Internetnutzern beklagt, die ihre nach einem Autounfall verstümmelte Tochter im Netz beleidigen: Das Internet sei ein Werk des Teufels, heißt es von der verbitterten Mutter.
Auch fragt Herzog nach den Folgen für die vernetzte Welt, wenn es in der Zukunft wieder einmal zu starken Sonneneruptionen kommen sollte. Damit spielt er auf das sogenannte "Carrington-Ereignis" von 1859 an, als es auf der Erde zu enormen Schäden beim Telegrafennetz kam: "Solch ein Ausbruch könnte unsere moderne Zivilisation annullieren", so Herzog.
Was ihm aber am meisten Angst mache im Netz, sei die massive Dummheit der Leute, hatte Herzog bei der Premiere beim Sundance-Festival in den USA geunkt.
Buddhistische Mönche, die twittern
Seine Zerrissenheit zwischen Faszination und Skepsis bringt eine Szene in "Lo and Behold, Reveries of the Connected World" besonders gut auf den Punkt. Eine Reihe von buddhistischen Mönchen wandeln vor der hypermodernen Skyline einer Großstadt. "Haben die Mönche aufgehört, zu meditieren?" fragt Werner Herzog in dieser Szene im Voice-Over mit seiner pathetisch angehauchten Stimme in dem für ihn so typischen bayrisch gefärbten Englisch und gibt sogleich die Antwort: "Sie twittern alle..." Un dem Zuschauer wird beim zweiten Blick auf die Szenerie klar: Die Mönche beugen ihre Köpfe nicht zum Beten oder Meditieren herunter, sondern schauen auf ihre Handys.