Boateng: "Unser Spiel war zu ängstlich"
24. Juni 2014DW: Herr Boateng, zwei WM-Spiele, zwei Verletzungen für Sie: eine am Daumen, die andere eine neurogene Muskelverhärtung im Oberschenkel. Wie geht es Ihnen gerade?
Jérôme Boateng: Heute geht's mir besser, Ich kann mittrainieren. Dank Massagen hat sich der Muskel entspannt und die Hüfte steht wieder richtig.
Wie genau haben Sie sich die Muskelverletzung im Ghana-Spiel zugezogen?
Relativ am Anfang des Spiels habe ich einen Schlag abbekommen, durch den sich die Hüfte verschoben hat. Das ging durch den Nerv bis auf den Muskel und die ganze linke Seite wurde fest. Deswegen musste ich in der Halbzeit raus, das Risiko war zu groß.
Können Sie gegen die USA wieder spielen?
Ja.
Wie gehen Sie damit um, dass sie sich hier nun schon zum zweiten Mal verletzt haben? Wirft sie das zurück?
Die erste Verletzung war natürlich ein bisschen blöd mit dem Daumen, aber das kann leider immer mal passieren. Es ist natürlich unglücklich, dass ich dieses Ding [zeigt auf seine Manschette am Daumen, Anm. d. Red.] jetzt sechs Wochen lang tragen muss. Wenn jemand dagegen kommt, merke ich das schon. Auch bei der zweiten Verletzung am Oberschenkel kann man wenig machen. Ich hoffe, dass es das jetzt war in Sachen Verletzungen bei diesem Turnier.
Die deutsche Mannschaft wurde nach dem Portugal-Spiel hochgelobt, nun nach dem 2:2 gegen Ghana scharf kritisiert. Wo liegt denn nun die Mitte zwischen beiden Extremen?
Auch im Portugal-Spiel war nicht alles gut. Wir sind sehr realistisch, können auch kritisch mit uns umgehen. Das Ghana-Spiel war ein Rückschritt, da haben wir einiges nicht gut gemacht. Wir standen das eine oder andere Mal zu weit auseinander und haben viel zu wenige Zweikämpfe gewonnen. Der letzte Pass hat gefehlt. Mir kam unser Spiel etwas zu ängstlich vor. Es gab insgesamt zu wenig Bewegung. Aber wir haben auch ein paar Sachen gut gemacht: Wir sind nach dem Rückstand zurückgekommen und haben in der zweiten Halbzeit mutiger gespielt.
Auch die Viererkette, die so erst seit kurzem zusammenspielt, kam nach dem Ghana-Spiel wegen der beiden Gegentore nicht gut weg. Wie reagieren Sie auf diese Kritik?
Das geht mir ein bisschen zu schnell. Nach dem ersten Spiel hieß es: 'Super, eine klasse Lösung'. Und jetzt nach dem zweiten Spiel war plötzlich alles falsch. Im ersten Spiel hat es gut geklappt, im zweiten war es nicht so schlecht. Klar, wenn wir nach vorne nicht so gut spielen, fällt natürlich auf, dass die Außenverteidiger nicht permanent nach vorne laufen und Offensivdrang haben.
Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie lieber als Innenverteidiger spielen. Sie haben aber auch gesagt, wenn Not am Mann ist, helfen Sie gerne als Außenverteidiger aus. Was mögen Sie am Zentrum lieber als an der Außenbahn?
Ich fühle mich innen viel wohler und spiele gerne zentral. Ich spiele gerne gegen die Stürmer und denke, dass ich allein von meiner Körpergröße eher Innenverteidiger bin.
Ist Ihre Fähigkeit, innen und außen spielen zu können, eher eine Stärke, weil sie flexibel einsetzbar sind, oder eher ein Fluch, weil sie nach außen ausweichen müssen?
Es ist schon beides. Aber ich bin nicht traurig, dass ich auf beiden Postionen spielen kann. Das ist schon eine Stärke, denn es bietet mir mehr Möglichkeiten, zu reagieren, wenn mal jemand ausfällt. Ich kann dann sofort nach rechts oder in die Mitte wechseln. Ich spiele da, wo mich der Trainer aufstellt und versuche, der Mannschaft zu helfen. Klar sagt man schnell, dass das auch ein Nachteil für mich ist, aber insgesamt sehe ich das sehr positiv.
Sind ihre Titelambitionen auch nach dem Dämpfer gegen Ghana noch immer intakt?
Das Ziel ist natürlich weiter der Titel. Es wäre falsch, das nicht zu sagen. Aber wir wissen natürlich, dass es auch genug andere starke Mannschaften gibt und dass wir eine Menge Arbeit vor uns haben, um dieses Ziel auch zu erreichen.
Es wird derzeit wieder viel über die ideale Position von Philipp Lahm diskutiert. Wo sehen Sie ihn am stärksten?
Für mich ist Philipp gemeinsam mit Dani Alves der beste Rechtsverteidiger der Welt. Er hat aber auch beim FC Bayern im Mittelfeld ganz stark gespielt. Philipps Stärke ist sicher seine Vielseitigkeit. Generell ist die Aufstellung immer die Entscheidung des Trainers.
Wie beurteilen sie das bisherige fußballerische Niveau dieser WM?
Ich denke, es ist sehr hoch, und glaube, dass die meisten nicht so viel Tempo und Tore erwartet hätten. Die so genannten "Kleinen" gibt es gar nicht mehr. Costa Rica ist dafür ein sehr gutes Beispiel, aber auch Chile oder Uruguay. Die kämpfen und laufen über 90 Minuten. Hier gilt: Von nichts kommt nichts.
Der nächste Gegner heißt USA. Welchen Eindruck hinterlassen die Spieler von Jürgen Klinsmann bisher auf Sie?
Ich habe schon seit Jahren mit Fabian Johnson [US-Profi beim Bundesligisten 1899 Hoffenheim, Anm. der Red.] einen guten Kontakt. Auch über ihn habe ich mitbekommen, dass sie sich enorm verbessert haben. Sie haben Ghana geschlagen, Portugal fast und sind als Team enger zusammengerückt. Jeder läuft dort für den anderen. Das ist ein schwerer Gegner. Wir müssen gegen sie zu unserem Spiel finden und unsere Chancen nutzen.
Haben Sie schon einen Blick voraus gewagt, was Deutschland nach dem USA-Spiel im Achtelfinale erwarten könnte?
Ich glaube, wir tun gut daran, von Spiel zu Spiel zu denken. Ab dem Achtelfinale gibt es ohnehin keine kleinen Teams mehr. Dann müssen wir jeden schlagen. Ob man schon im Achtelfinale oder erst im Viertelfinale auf diesen oder jenen Gegner trifft, ist egal. Man muss am Ende sowieso gegen jeden gewinnen.
Die WM ist bereits ihr drittes Turnier mit der Nationalmannschaft. Merken Sie eine gewisse Routine und geben Sie inzwischen den jungen Spielern Hilfestellung?
Das ist schon eine große Veränderung. Vor vier Jahren habe ich mir noch so viele Tipps wie möglich von den älteren Spielern geholt. Jetzt bin ich schon etwas erfahrener und gebe jüngeren Spielern wie Erik Durm oder Matthias Ginter Tipps, das ist doch ganz normal. Aber die WM ist keine Routine für mich. Es kribbelt immer noch vor dem Spiel, das ist eine gute Anspannung. Ich bin immer noch positiv aufgeregt.
Das Interview führte Joscha Weber.