Bogdanović: "Kirche soll in das System eingebunden werden"
14. Februar 2020Deutsche Welle: Herr Minister, in Montenegro wird seit Wochen gegen das neue Gesetz zur Religionsfreiheit protestiert. Seit Verabschiedung des Gesetzes am 27. Dezember des letzten Jahres gehen Zehntausende Priester, Gläubige und Unterstützer der Serbischen Orthodoxen Kirche auf die Straße und fordern dessen Rücknahme. Macht Sie das, macht das die Regierung in Podgorica nicht nervös?
Aleksandar Bogdanovic: Gleich vorneweg muss ich sagen, dass die andauernden Proteste die demokratische Handlungsfähigkeit Montenegros bestätigen. Religiöse Organisationen, mehrere politische Parteien und ein Teil der Bevölkerung machen Gebrauch von ihrem Recht, ihre Missbilligung frei zum Ausdruck zu bringen. Solange diese Proteste friedlich sind, ist es voll und ganz ihr Recht, das von keinem und schon gar nicht von der Regierung in irgendeiner Weise unterdrückt wird.
Andererseits ist es unsere Entscheidung, das zu tun, was fast alle europäischen Staaten bereits getan haben, und zwar die Kirche in das System einzubinden und alle Angelegenheiten nach den Prinzipien der Religionsfreiheit zu regeln. Dabei ist die Haltung der Regierung Montenegros klar: das Gesetz zur Religionsfreiheit, das wie jedes andere Gesetz im Parlament verabschiedet wurde und in Kraft getreten ist, wird umgesetzt. Wir garantieren dafür, dass keine Seite, auf die das neue Gesetz Anwendung findet, in irgendeiner Weise benachteiligt wird. Das Gesetz ist weder gegen die Serbisch Orthodoxe Kirche noch eine andere Religionsgemeinschaft gerichtet. Letztendlich geht es aber um die Schlüsselfrage: warum will sich eine kirchliche Organisation, die in Serbien registriert ist, nicht in Montenegro registrieren?
Wir wollten das alte Gesetz vom Jahr 1977 durch eine neues, modernes Gesetz ersetzen, das den europäischen Standards entspricht. Die Venedig-Kommission hat uns dabei unterstützt und wir wollen, dass dieses neue Gesetz allen Bürgern unseres Landes zugute kommt.
Aber glauben Sie, dass die Festnahme von Journalisten während der Protestaktionen zur Beruhigung dieser angespannten Lage beiträgt?
Wir wollen sicherstellen, dass die Gesetze unseres Landes eingehalten werden. Werden Straftaten begangen, muss der Staat eingreifen. Und ich will unterstreichen: durch das neue Gesetz werden beide religiösen Gemeinden (die Montenegrinische Orthodoxe Kirche und die Serbische Orthodoxe Kirche – Anm. d. Red.) und deren Gläubige ihre Kirchen nutzen können, wie sie es auch bisher getan haben. Da herrscht überhaupt kein Widerstreit. Wir sind ein säkularer Staat und wir respektieren das Recht alle Bürger auf Religionsfreiheit. Diese Freiheit und das Recht auf Besitz sind aber zwei unterschiedliche Themenfelder. Wir müssen die Eigentumsverhältnisse regeln und prüfen, ob es Fälle von gesetzeswidriger Aneignung von Eigentum gibt. Das ist die klare Haltung unserer Regierung.
Dennoch: Die montenegrinische Regierung hat sich nicht nur im neuen Mediengesetz zum Schutz der Journalisten und ihrer Quellen verpflichtet und zur Medien- und Meinungsfreiheit bekannt. Wie passt das mit den jüngsten Festnahmen zusammen?
Durch das Mediengesetz und die neue Gesetzgebung, die als Entwurf von der Regierung verabschiedet wurde und in Kürze im Parlament debattiert wird, wollen wir versuchen, einen neuen Mechanismus zu etablieren. Unverantwortliche Veröffentlichungen in einem Teil der Medien in der bestehenden angespannten Lage, basiert auf Fake News und Manipulationen, gefährden den sozialen Frieden. Dagegen mussten wir nötige Schritte unternehmen. Wenn ein Medium erwiesenermaßen versucht, Panik und Unruhe zu stiften und zum Beispiel Falschmeldungen eines ausländischen Diplomaten verbreitet, dann ist das alles andere als ein verantwortungsvoller Umgang mit einem Thema. Der Staat muss gegen derartige Straftaten im Sinne des Strafgesetzes vorgehen.
Unterschiede zwischen Montenegrinern und Serben haben regelmäßig zu Kontroversen geführt. Ein Thema ist dabei die gemeinsame Sprache. Kann kulturelle und politische Identität dadurch gestärkt werden, der gleichen Sprache einen anderen Namen zu geben?
Die montenegrinische Sprache ist die offizielle Landessprache in Montenegro. Serbisch, Bosnisch, Kroatisch und Albanisch werden ebenfalls offiziell gesprochen. Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung spricht Montenegrinisch und ich glaube, es gibt da überhaupt keine Kontroversen in diesem Bereich. Wie Sie wissen, hat der Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens zahlreiche linguistische Veränderungen in den Regionen bewirkt. Die bis dahin als Serbo-Kroatisch bekannte Sprache wurde zuerst in Serbien umbenannt und heißt offiziell Serbisch. Dann wurde die Sprache in Kroatien offiziell als Kroatisch deklariert. Anschließend wurde in Bosnien-Herzegowina die gleiche Sprache offiziell als Bosnisch bezeichnet. Ich glaube, dass Montenegro das gleiche objektive Recht hat, seine Sprache Montenegrinisch zu nennen – als offizielle Landessprache neben den anderen vier Sprachen, die ich eingangs erwähnte. Es ist das Recht eines souveränen Staates und seiner Bevölkerung, die Bezeichnung der Landessprache selbst zu bestimmen, so wie es die anderen Staaten in der Region auch getan haben.
Vor kurzem sprachen Sie, Herr Minister, in einem Interview über den kontinuierlichen Zuzug von Menschen aus Serbien nach Montenegro. In den letzten 20 Jahren hätte sich ihre Zahl verdreifacht, sagten Sie. Welches sind die Auswirkungen dieser Migration?
Zahlreiche Menschen aus der Region, nicht nur aus Serbien, kommen nach Montenegro, und dies aus unterschiedlichen Gründen. Die meisten sind auf der Suche nach Jobs im Tourismus oder im Bauwesen. Und es zeigt sich, dass sie nicht unzufrieden sind mit ihrem Leben hier. Bürger Serbiens, Bürger aller anderen Staaten waren in Montenegro schon immer willkommen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Bezogen auf Ihre Frage: es handelt sich hierbei nicht um Immigration. Es sind vornehmlich Bürger Montenegros, die sich bei Volkszählungen als Serben bezeichnet hatten. Es sind heute tatsächlich zahlenmäßig viel mehr Menschen, verglichen mit den 90-er Jahren oder früher. Aber die vermeintliche Gefährdung der serbischen Bevölkerung ist bloße Propaganda, die von bestimmten politischen Gruppierungen und Medien verbreitet wird. Den Serben in Montenegro wie auch allen anderen Menschen in unserem Land, ganz gleich welcher Herkunft, wird niemand jemals sagen, dass hier kein Platz für sie sei. Wie das leider in den letzten Tagen und Wochen Montenegriner in der Nachbarregion zu hören bekamen.
Wie schätzen Sie in diesem politischen und kulturellen Kontext die Positionen der albanischen Minderheit und ihrer politischen Vertretung ein?
Die Angehörigen der albanischen Minderheit sind, wie alle anderen Nationen, gleichberechtigt und gleichwertig in der montenegrinischen Gesellschaft. Wir vertrauen voll und ganz auf das Konzept der Zivilgesellschaft. Die politischen Vertreter der albanischen Minderheit sind traditionsgemäß an der Regierung Montenegros beteiligt. Und wir sind sehr stolz darauf. Es ist ein Beleg dafür, dass die albanische Minderheit alle Werte des heutigen Montenegros erkennt und annimmt und einen bedeutenden Beitrag dazu leistet. Montenegro ist ein multikulturelles, multi-ethnisches und multi-konfessionelles Land. Wir schenken diesen Werten die größte Bedeutung. Zusätzlich muss ich sagen, dass zwischen Montenegro und Albanien hervorragende Nachbarschaftsbeziehungen herrschen.
In Montenegro sollen spätestens im Oktober 2020 Parlamentswahlen abgehalten werden. Sind wegen der gegenwärtigen angespannten Situation vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Sommer möglich?
Wir sehen keinen Grund, die Parlamentswahlen vorzuziehen. Wir bereiten uns für die regulären Parlamentswahlen vor, die im Oktober stattfinden werden. Die Regierung hat hervorragende Ergebnisse vorzuweisen. Wir wollen alle Bürger Montenegros daran teilhaben lassen und unsere strategischen Ziele weiter verfolgen. Ein strategisches Ziel, das wir mit großem Engagement verfolgen, ist der EU-Beitritt.
Das Gespräch führte Robert Schwartz
Aleksandar Bogdanović (43) ist ein montenegrinischer Politiker aus der regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten. Seit 2017 ist er Kulturminister von Montenegro.