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Bolivien bleibt gespalten

Steffen Leidel 3. Juli 2006

Boliviens Präsident Evo Morales hat zwei wichtige Abstimmungen für sich entscheiden können. Es ist ein Erfolg für ihn - aber nur auf den ersten Blick. Denn das Ergebnis offenbart die tiefe Spaltung des Landes.

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In der östlichen Region Santa Cruz will die Mehrheit mehr UnabhängigkeitBild: AP

Die Regierung von Evo Morales sitzt ein halbes Jahr nach ihrem Amtsantritt fest im Sattel. Das zeigte der erste ernsthafte Stimmungstest für den linksgerichteten indigenen Präsidenten. In zwei Abstimmungen hatten die Bolivianer am Sonntag die Möglichkeit, ihrem Präsidenten zu zeigen, ob sie für oder gegen seine Politik sind. Zum einen waren die Mitglieder zu einer verfassungsgebenden Versammlung zu bestimmen. Hier gewann die Regierungspartei von Morales "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) deutlich. Nach Hochrechnungen erhielt sie etwa 55 Prozent der Stimmen und wird voraussichtlich 134 der 255 Abgeordneten der verfassungsgebenden Versammlung stellen.

Bolivien Wahlen Evo Morales
Evo Morales: Nur reiche Bolivianer profitieren von der DezentralisierungBild: AP

Zum anderen sollten die Bolivianer in einer Volksabstimmung darüber entscheiden, ob Zuständigkeiten von der Zentralregierung auf die neuen Regionen des Landes übertragen werden sollten. Landesweit sprachen sich 56 Prozent der Wähler gegen mehr Autonomie für die Provinzen aus und folgten mit ihrem Votum dem Willen des Präsidenten. Morales hatte sich im Vorfeld für ein "Nein" ausgesprochen.

Ein doppelter Erfolg also für Morales?

"Diese Unterstützung gibt uns die Stärke, mit dem Wechsel weiter zu machen", sagte Morales dem staatlichen Fernsehen. Die Ergebnisse, zeigten, dass die Bevölkerung hinter den kürzlich eingeleiteten Reformen stünden, etwa der Verstaatlichung der Rohstoffe oder der Landreform. Tatsächlich zeigen die Ergebnisse, dass Morales in etwa die gleiche Unterstützung im Volk hat wie bei der Präsidentschaftswahl im Dezember, aber eben auch nicht viel mehr.

Die genaue Betrachtung des Ausgangs der Abstimmungen offenbart das Grundproblem des Landes. "Das Land ist in zwei Lager gespalten", sagt Bert Hoffmann vom Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg. Bei der Volksabstimmung über mehr regionale Autonomie folgten die Wähler dem Staatschef nur in fünf von neun Provinzen. In den vier wohlhabenderen Regionen im Tiefland, Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando gab es eine große Mehrheit für ein "Ja" zu mehr Autonomie. "Hier zeigt sich der Grundkonflikt Hochland gegen Tiefland", sagt Hoffmann. Im kargen Hochland stellt die indigene Bevölkerung, die hinter Morales steht, die Mehrheit, das Tiefland ist die Hochburg der bürgerlichen Opposition, zu der vor allem die Nachkommen der weißen Kolonialherren zählen.

Abtrünnige Region

Die Volksabstimmung war von der reichsten Region Santa Cruz vorangetrieben worden. Santa Cruz liegt zwar nur eine knappe Flugstunden von La Paz entfernt, mutet aber wie eine andere Welt an: statt kargem Hochland gibt es fruchtbare Ebenen, statt Kälte, tropische Wärme, die Haut der Bewohner ist nicht dunkel sondern weiß. Die ressourcenreiche Region generiert ein Drittel des Bruttoinlandprodukts des Landes. Fast die Hälfte der gesamten Steuereinnahmen Boliviens stammt aus Santa Cruz.

Bolivien Wahlen Straßenszene
Zwei Drittel der Bolivianer sind IndiosBild: AP

Hoffmann sieht die Autonomiebestrebungen im Tiefland durch die Volksabstimmung gestärkt. Dadurch wächst auch das Konfliktpotential. "Die großen Unternehmer dort haben bereits ihre eigenen bewaffneten Kräfte aufgebaut. Die werden so schnell nicht von ihren Forderungen abrücken."

Morales will neue Verfassung

Vor einem "schwierigen Drahtseilakt" steht Morales nach Ansicht Hoffmanns auch in der Frage der verfassungsgebenden Versammlung. Zwar wird seine MAS-Partei die Mehrheit der Abgeordneten stellen; Morales verfehlte jedoch die angestrebte Zwei-Drittel-Mehrheit, mit der er die "Neugründung" Boliviens - von der er immer wieder spricht - im Alleingang hätten durchsetzen können.

Morales will seine linksgerichteten Reformen in einer neuen Verfassung verankern. Außerdem soll die indianische Bevölkerung Boliviens mehr Rechte erhalten. Experten wie Hoffmann sehen in dem Wahlausgang aber eine Chance. "Morales ist nun gezwungen, Kompromisse zu machen. Das ist die Botschaft dieses Wahlergebnisses", sagt Hoffman. Und Morales scheint bereit, auf die Opposition zuzugehen. Morales sagte in einer ersten Reaktion auf das Wahlergebnis, die Abgeordneten, die vom 6. August an in der Hauptstadt Sucre tagen werden, müssten das Votum in den Provinzen bei ihren Beratungen berücksichtigen. "Ein positives Signal", so Hoffmann.

Grundsätzlich bewertet Hoffmann die Umwandlung des Landes unter Morales positiv. "Es braucht in Bolivien mehr Verteilungsgerechtigkeit. In dem Land war über Jahrhunderte ein Großteil der Bevölkerung vom politischen und sozialen Leben ausgeschlossen", sagt der Experte. Morales habe hier im Gegensatz zu seinen Vorgängern positive Impulse gesetzt. Allerdings bestehe die Gefahr, dass Morales - ähnlich wie der venezolanische Präsident Hugo Chávez - sich ein stark auf das Präsidentenamt fixiertes Staatsmodell zimmern möchte, mit dem Ziel das politische Establishment an den Rand zu drängen und seiner Basisbewegung mehr Macht zu verleihen. "Das wäre das schlechteste Szenario", sagt Hoffmann.