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Booms: "Hoeneß leidet unter Schizophrenie"

Daniel Heinrich17. März 2014

Uli Hoeneß galt lange als moralisches Vorbild. Der Sozialethiker Martin Booms attestiert dem Steuersünder "moralische Schizophrenie" und fordert ein Abrücken von der Leistungs- hin zur Verantwortungsgesellschaft.

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Martin Booms
Bild: Juergen Rocholl/FACE

Deutsche Welle: Herr Booms, im Jahr 2002 hat Uli Hoeneß gesagt "Es kann doch nicht Sinn der Sache sein, ins Gefängnis zu wandern, nur um ein paar Mark Steuern zu sparen". Wie passt denn solch eine Aussage zu all dem, was sich Uli Hoeneß offenbar geleistet hat?

Martin Booms: Man kann zumindest sagen, dass hier eine gewisse moralische Schizophrenie vorliegt. Denn die Aussage, die Sie zitiert haben, ist vollkommen zutreffend. Man fragt sich, warum man eine solche Erkenntnis nicht auf das eigene Leben überträgt. Denn was ist denn bei der Steuerhinterziehung herausgekommen, die Herr Hoeneß begangen hat? Er hat sein Lebenswerk ruiniert, nur um ein bisschen zu zocken. Er hatte es weder nötig, noch mehr Geld zu machen, noch Steuern zu hinterziehen. Das ist also zunächst einmal vollkommen irrational.

Ist Uli Hoeneß ein schlechter Mensch?

Ich weiß nicht, ob Herr Hoeneß ein schlechter Mensch ist. Da gibt es unterschiedliche Meinungen, die da zu Tage getreten sind. Die einen sagen, dass er sich schon immer sehr herablassend verhalten hat. Andere haben gesagt, dass er ein feiner Kerl ist. Ich glaube, das spielt für die moralische Beurteilung dieses Falls keine Rolle. Man muss Menschen an dem messen, was sie tun. Und da liegt bei Uli Hoeneß ein schwerer Betrug am Gemeinwohl vor, der jetzt auch gerichtlich sehr angemessen beurteilt wurde.

Angela Merkel hat nach der Urteilsverkündung gesagt: "Das Verhalten von Uli Hoeneß nötigt mir Respekt ab". Respekt für was eigentlich? Dass ein Straftäter eine Haftstrafe antritt, sollte doch eigentlich selbstverständlich sein.

Ich muss sagen, dass ich sehr gestaunt habe über diese Reaktion der Kanzlerin. Aber nicht nur die der Kanzlerin. Ganz nüchtern gesagt ist es so, dass Herr Hoeneß ein verurteilter Krimineller ist. Nicht mehr und nicht weniger. Natürlich hat er die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, worauf er verzichtet hat. Aber im Grundsatz steht es Herrn Hoeneß doch nicht zu, gönnerhaft zu sagen "ich akzeptiere das". Das liegt überhaupt nicht in seiner Entscheidung.

Das Gleiche gilt übrigens für etwas, was Herr Hoeneß im Vorfeld des Prozesses gesagt hat. Da hat er in die Waagschale geworfen, er habe 50 Millionen Euro Steuern in Deutschland gezahlt. Das ist doch kein besonderer moralischer Verdienst. Wer in Deutschland Einkommen generiert, muss darauf Steuern zahlen. Das ist etwas ganz Normales, was Millionen von Bürgerinnen und Bürgern jeden Tag tun. Wenn man sich das als moralischen Verdienst anrechnen lassen will, zeigt das eher, dass man die falschen Maßstäbe und Kategorien im Kopf hat.

Nehmen wir das Delikt Steuerhinterziehung eigentlich ernst genug?

Ich glaube, dass in der Gesellschaft jetzt ein Prozess des Nachdenkens in Gang gekommen ist. Wir haben gerade in Steuerfragen doch eine weit verbreitete Haltung gehabt, dass das allenfalls ein Delikt zweiter Klasse ist. Das sei schon deswegen nicht so schlimm, weil man keinen unmittelbar Geschädigten sieht. Wer Steuern hinterzieht schädigt das Gemeinwohl, es wird aber nicht sofort die einzelne Person sichtbar. Das hat relativ weitverbreitet dazu geführt, dass man sagt "naja, so schlimm ist das Ganze ja nicht". Ich glaube, dass wir jetzt in einer Situation sind, in der man mal darüber nachdenkt und sagt: Wer betrügt und wer Steuern hinterzieht, der handelt schlicht und ergreifend kriminell. So wie andere Betrüger auch kriminell handeln.

Kann denn die Auseinandersetzung mit dem Fall Hoeneß für die Gesellschaft auch positive Konsequenzen haben?

Ich glaube, es gibt eine Werteausrichtung in der Gesellschaft, die Erfolg immer mit äußerem Erfolg, also Fortkommen in der Karriere und dem Erlangen von Machtpositionen definiert. Ich glaube, dass dieser Fall auch dazu dienen kann, einmal nachzudenken, nach welchem Maßstab wir einen Elitenstatus vergeben. Bislang definieren wir ausschließlich Geld, Macht und Einfluss als Leistungskategorien. Ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft dahin kommen müssen zu sagen, dass wir Verantwortung als Erfolgsfaktor definieren. Das gilt für gesellschaftliche wie wirtschaftliche Verhältnisse. Dann wäre nicht derjenige erfolgreich, der mehr Profite generieren kann, sondern der sich in besonderer Weise verantwortlich verhält. Wenn wir zu einer Reflexion über diesen Kategorienmaßstab kommen, dann hat der Fall ein Gutes getan.

Das Interview führte Daniel Heinrich.

Dr. Martin Booms ist Direktor der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur (ask) in Bonn, Dozent für Philosophie an der Universität Bonn und für Wirtschafts-/Unternehmensethik an der Universität St. Gallen (Schweiz) sowie an der Steinbeis University Berlin.