Ein Brasilianer in Reutlingen
29. August 2014Gelb, grün und blau ist das Willkommensbanner - und nicht zu übersehen. Eine große brasilianische Flagge weist Besuchern den Weg zum Haupteingang des Werkzeugmaschinenherstellers Burkhardt + Weber (B+W) in Reutlingen bei Stuttgart. Die Botschaft ist eindeutig: Hier macht Brasilien Geschäfte.
Zwei Jahre ist es her, seit Indústrias Romi aus der Nähe von São Paulo rund 20 Millionen Euro investierte. Brasiliens Marktführer für die Herstellung von Plastikverarbeitungs- und Werkzeugmaschinen erwarb aber nicht etwa nur Unternehmensanteile, sondern kaufte B+W gleich komplett auf. Ein brasilianischer Konzern und ein schwäbischer Mittelständler - zweifellos eine eher ungewöhnliche Partnerschaft. Doch sie funktioniert. In Reutlingen sind die Chefs und Angestellten vom neuen Mutterkonzern jedenfalls begeistert.
Gesucht und gefunden
"Romi ist für uns ein richtiger Glücksfall", erzählt Andreas Mittermüller, Geschäftsführer von B+W. Seit 1888 fertigt das Traditionsunternehmen mit seinen 220 Mitarbeitern komplexe Werkzeugmaschinen, bestehend aus Hydraulik-Aggregaten, Hauptspindeln oder Schaltschränken - die teuersten Kosten drei Millionen Euro.
Unter der brasilianischen Mutter hat sich an der Arbeit von B+W nicht viel geändert. "Der Eigner hat natürlich das Sagen, aber wir arbeiten hier größtenteils eigenständig. Die Überwachung erfolgt durch Monatsberichte. Da gibt es viel Vertrauen, das ist schon toll", schwärmt Firmenchef Mittermüller. Doch auf die Knie fallen vor Dankbarkeit will er nicht. Schließlich könne sein Unternehmen den Brasilianern auch einiges bieten: "Wir Deutschen haben die besten Werkzeugmaschinen der Welt. Diese Technologie können wir mit Romi teilen". Der brasilianische Mutterkonzern nutzt B+W aber auch, um seine Expansion fernab der Heimat voranzutreiben.
Mutige Investoren
Für etliche brasilianische Unternehmen, nicht nur für Romi, haben sich in den vergangenen Jahren völlig neue Perspektiven offenbart. Lange hatten sich wachstumswillige Firmen aus Brasilien auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten vor allem in den altbekannten Gefilden umgesehen, sprich in Südamerika und den USA.
Durch den Wirtschaftsaufschwung in Brasilien haben brasilianische Firmen und Geldgeber zunehmend an Finanzkraft gewonnen - und auch an Mut. Alte Hemmungen werden abgebaut, neue Wege beschritten. So sehen viele Deutschland nicht mehr nur als Markt, von dem traditionell Kapital nach Südamerika fließt, sondern neuerdings auch als mögliches Zielland eigener Investitionen.
Laut Germany Trade & Invest (GTAI), der bundeseigenen Gesellschaft für Außenwirtschaftsförderung, hat die Zahl der brasilianischen Firmen, die in Deutschland investieren, seit 2006 jährlich um fast sieben Prozent zugelegt - auf heute über 60 Unternehmen. Die meisten von ihnen beteiligen sich an deutschen Firmen, Komplettübernahmen sind eher die Ausnahme.
Eine Frage der Strategie
Als besonderes Beispiel für die neue brasilianische Courage gilt der Kauf des Stahlwerks Thüringen (SWT). Der brasilianische Montankonzern Companhia Siderúrgica Nacional (CSN) nahm Anfang vergangenen Jahres umgerechnet fast 500 Millionen Euro in die Hand, um sich die ehemalige "Maxhütte" zu eigen zu machen.
Die Motive solcher Übernahmen sind schnell ausgemacht: Für brasilianische Unternehmen, die auf Deutschland setzen, spiele "der Zugriff auf technische Expertise, das Renommee sowie die Effizienz der Zielgesellschaft eine bedeutende Rolle", heißt es in einer Gemeinschaftsstudie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, der WirtschaftskanzleiTaylor Wessing und der Commerzbank. Deutschland als Technik- und Wissensstandort genießt in Brasilien seit jeher einen exzellenten Ruf. Deshalb setze sich dort "das Bewusstsein durch, mit Expansion nach Europa nicht nur das Geschäft verbessern, sonder auch Know-how ins eigene Land holen zu können", sagt auch GTAI-Mann Andreas Bilfinger.
Managementtraining auf schwäbisch
Mit B+W gelang dem Romi-Konzern so gesehen ein optimaler Fang. Nicht nur, dass die High-End-Maschinen aus Reutlingen die Produktpalette der Brasilianer gut ergänzen. Auch die mehr als 120 Jahre Erfahrung von B+W war einer der Gründe, weshalb Romi dem deutschen Maschinenbauer Avancen machte.
Seit der Übernahme schickt der Mutterkonzern deshalb regelmäßig Nachwuchskräfte aus dem eigenen Management nach Schwaben, für ein Training bei der deutschen Tochter. João Paulo Barbosa Inácio, der derzeitige Trainee, ist erst vor ein paar Tagen angekommen - mit klaren Zielen im Gepäck. "Ich will wissen, wie hier gearbeitet wird. Wie denken die Deutschen? Was ist ihre Mentalität? Wie funktioniert ein deutscher Maschinenbau-Betrieb? Das Wissen will ich dann auf unsere anderen Niederlassungen in Europa anwenden", erzählt der 32-Jährige.
Drei Monate wird João in Reutlingen arbeiten, in seinem Büro im Obergeschoss des neuen Verwaltungsgebäudes von B+W. Der alte Eigentümer, eine italienische Unternehmensgruppe, wollte eine dringend benötigte Erweiterung der Büroflächen nicht genehmigen. So saß die Geschäftsführung jahrelang in engen Baucontainern neben den Produktionshallen.
2012 kam Romi - und kurz darauf der Neubau: Kostenpunkt fünf Millionen Euro. Ein schöneres Übernahmegeschenk hätten sie sich bei B+W nicht vorstellen können.