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Brasilien auf dem Weg zur Wirtschaftsmacht

2. Januar 2012

Die Brasilianer blicken zuversichtlich und selbstbewusst wie noch nie in die Zukunft. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist auf ein historisch niedriges Rekordniveau gesunken.

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Förderbänder vor Kohlebergen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Perspektiven für die nächsten Jahre sind glänzend: Vor der Küste des lateinamerikanischen Riesen liegen Ölreserven, die das Land bis 2020 zu einem der fünf größten Ölproduzenten der Welt aufsteigen lassen können, 2014 wird die Fußball-WM in Brasilien ausgetragen und 2016 kommen die Olympischen Spiele – die dazu nötigen Investitionen laufen schon auf Hochtouren.

Die Regierung vermeldet eine gute Nachricht nach der anderen: Bis November sind 2,3 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden, die Arbeitslosigkeit erreicht lediglich 5,2 Prozent. Die Exporte wuchsen 2011 um 24 Prozent auf 250 Milliarden Dollar. Und die Staatsverschuldung, wegen der Ländern wie Griechenland und Italien die Pleite droht, liegt in Brasilien bei 55 Prozent des BIP, mit einer Neuverschuldung von 2,5 Prozent – Brasilien würde damit als Musterschüler der Maastricht-Kriterien gelten, wäre das Land in der EU.

Lob für Präsidentin Rousseff

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (Foto: AP)
Die mächtige Frau an der Spitze: Präsidentin Dilma RousseffBild: AP

"Während des ersten Jahres der Regierung Dilma Rousseff waren die Steuereinnahmen besser als ursprünglich geplant", stellte die Rating-Agentur Standard & Poor's fest, als sie die Kreditwürdigkeit Brasiliens vergangenen November anhob. Das neue Rating ist das beste, das das Land jemals bekommen hat, seitdem S&P Brasilien einstuft: Die Bonitätseinstufung langfristiger Fremdwährungsanleihen wurde von BBB- auf BBB heraufgesetzt und die langfristige Kreditwürdigkeit in lokaler Währung von BBB+ auf A-. So hat sich die Klassifikation von S&P denen von Fitch und Moody's angeglichen.

Als wäre das alles nicht schon Grund genug zu feiern, meldete die britische Presse vor Kurzem, dass Brasilien Großbritannien als sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt überholt hat. Die Meldung verbreitete sich in Brasilien wie ein Lauffeuer und war für einige Tage das Thema Nummer eins auf brasilianischen Internetseiten. Bis 2020 soll das südamerikanische Land auch Frankreich und Deutschland überholen, so die Prognosen vom Wirtschaftsinstitut Center for Economics and Business Research (CEBR).

Kontinuität als Erfolgsrezept

Nach Schätzungen des IWF soll Brasilien schon 2015 die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt sein, aber der brasilianische Wirtschaftsminister Guido Mantega sagte, dies könne sogar noch früher geschehen, da das Land doppelt so schnell wie die europäischen Länder wachse. "Deshalb ist es unaufhaltsam, dass wir Frankreich in Zukunft überholen, und wer weiß, vielleicht auch Deutschland, wenn es dort keine bessere Leistung gibt", sagte Mantega. Allerdings wird Brasiliens Wirtschaft 2011 voraussichtlich etwa 3 bis 3,5 Prozent wachsen, nach stolzen 7,5 Prozent 2010. Für 2012 liegen die Einschätzungen von Ökonomen auch bei "nur" 3 Prozent.

Kunden im Geschäft (Foto: AP)
Sozialprogramme sorgten für eine kaufkräftige MittelschichtBild: picture alliance/dpa Fotografia

Ein Teil des brasilianischen Erfolgs beruht auf Kontinuität, wie der Ökonom Carlos Pio von der Universität von Brasília sagt. "Die aktuelle Situation spiegelt die historischen Gewinne der letzten 15 Jahre wider, denn weder Lula noch Dilma Rousseff haben einschneidende Veränderungen an der wirtschaftlichen Struktur vorgenommen, die sie von der Regierung Fernando Henrique übernommen haben", erklärt er.

Das Land profitiert von der Stabilität der Währung, die 1994 mit dem Plano Real erreicht wurde. Der Plano Real besiegte die Inflation, und seine Erfolgsgeschichte machte den damaligen Finanzminister Fernando Henrique Cardoso noch im gleichen Jahr zum Präsidenten. 2002, als der ehemalige Gewerkschaftler Luiz Inácio Lula da Silva an die Macht kam, war er klug genug, die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers beizubehalten und zusätzlich seine Sozialprogramme auszubauen.

Mit der Geldverteilung von Sozialprogrammen – wie dem berühmten Bolsa Família und einer Erhöhung des Mindestlohns auf 65 Prozent seit 2002 – schuf sich das Land einen neuen Binnenmarkt. Zwischen 2003 und 2009 konnten fast 30 Millionen Brasilianer dem Leben unterhalb der Armutsgrenze entkommen und wurden zu kaufkräftigen Konsumenten, vor allem von Lebensmitteln, aber auch von Handys, Autos und Elektrogeräten. Dazu vergünstigte die Regierung Lula die Kredite für den Kauf von Immobilien, was für einen Boom auf dem brasilianischen Baumarkt sorgte.

Brasilien versorgt die Welt mit Rohstoffen

Eine zweite Säule des brasilianischen Erfolgs ist der weltweite Bedarf an Rohstoffen, vor allem aus China. Brasilien ist einer der größten Rohstofflieferanten der Welt: Öl, Eisen, Soja – fast alles, was China braucht, gibt es in dem südamerikanischen Land. Die Chinesen sind mittlerweile Brasiliens wichtigster Handelspartner, noch vor den USA und Argentinien. Durch die weltweit wachsende Nachfrage nach Rohstoffen stiegen Unternehmen wie die privatisierte Bergbaufirma Vale und der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras zu Global Playern auf.

Die Börse von Sao Paulo (Foto: AP)
Die Rohstoffnachfrage sorgt für steigende Kurse an der Börse in Sao PauloBild: AP

Als dritte Erklärung für den brasilianischen Erfolg gilt die Stabilität des Finanz- und Bankensystems. Die strenge Kontrolle der Banken, die die Europäer jetzt durchsetzen wollen, haben die Brasilianer bereits Ende der Neunziger durchgeführt, nachdem ein Teil der Banken sich in der Klemme sah, weil die spekulativen Gewinne, die durch die hohe Inflation einfach zu erreichen gewesen waren, ein Ende nahmen. Seitdem verlangt die brasilianische Zentralbank ein Eigenkapital von elf Prozent. Im vergangenen Oktober beschlossen die Europäer, diesen Index auf neun Prozent anzuheben.

Aus der Ferne blicken die Brasilianer mit Erstaunen und Sorge nach Europa. Erstaunen, weil viele nicht verstehen, wie der alte Kontinent in eine so riskante Schuldenkrise geraten konnte. Und Sorge, weil die EU nach wie vor ein wichtiger Handelspartner ist. Mit seinem neuen Selbstbewusstsein und seinen langjährigen Krisen-Erfahrungen erlaubt sich das Land sogar, die Europäer vor riskanten Entscheidungen zu warnen.

"Die Präsidentin hat darauf hingewiesen, dass einige der Maßnahmen, die in den entwickelten Ländern vorgeschlagen werden, in Brasilien bereits vor 20 Jahren umgesetzt wurden und hier verhängnisvolle Auswirkungen hatten. Das waren Maßnahmen, die damals vom IWF vorgeschlagen wurden, bei denen die Arbeiter diejenigen sind, die zahlen müssen, nicht diejenigen, die die Krise verursacht haben. Diese Lösungen wurden hier präsentiert, durchgeführt und sie sind hier fehlgeschlagen", so der Berater für Internationale Angelegenheiten der brasilianischen Regierung, Marco Aurélio Garcia, hinsichtlich der Anforderungen, die die EU und der IWF an Länder wie Griechenland stellen.

Autoren: Nádia Pontes/Alexandre Schossler
Redaktion: Julia Maas/Mirjam Gehrke