Brasilien bleibt Rousseff treu
26. Oktober 2014Am Ende könnte ihre Kämpfernatur der entscheidende Vorteil gewesen sein: Dilma Rousseff hat die Schlammschlacht um die brasilianische Präsidentschaft knapp für sich entschieden: Sie wird Brasilien weitere vier Jahre regieren.
Die Links-Politikerin setzte sich bei der Stichwahl gegen ihren Gegenkandidaten Aécio Neves aus dem Mitte-Rechts-Lager durch. Nach Auszählung fast aller Stimmen liegt Rousseff bei 51,6 Prozent, Neves kommt auf 48,4 Prozent. Er gestand seine Niederlage inzwischen ein.
Immer wieder hatten Beobachter den Wahlkampf 2014 als den schmutzigsten der jungen brasilianischen Demokratie bezeichneten: Unablässig hielten sich die Kandidaten gegenseitig Misswirtschaft, Versäumnisse und Korruption vor.
Genau diese Vorwürfe hatten die brasilianische Präsidentin erst in Bedrängnis bracht, denn in der ersten Hälfte ihrer ersten Präsidentschaft hatte sie fest im Sattel gesessen. Dann kam das böse Erwachen: Am Rande des Confederations Cups 2013 hatte sich der Volkszorn an einer Erhöhung der Busfahrpreise in São Paulo entzündet und bis zur Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Jahr fortgesetzt.
Auch wenn sich die Proteste weniger direkt gegen die Präsidentin persönlich richteten, fiel der Ärger vieler am Ende doch auf sie zurück - auch weil Korruption, Gigantomanie und schlechtes Management die Weltmeisterschaft in Brasilien zur teuersten aller Zeiten machten.
Vom Gefängnis in den Regierungspalast
Dass sie sich von der akuten Stimmung nicht würde einschüchtern lassen, stellte Rousseff im Anschluss des WM-Auftaktspiels Brasilien gegen Kroatien im Juni 2013 klar, bei dem ihr Buhrufe und Beschimpfungen entgegen gellten: "Ich habe in meinem Leben schon ganz andere Angriffe überstanden", erklärte die Präsidentin betont kämpferisch.
Damit spielte Rousseff auf die Misshandlungen an, die sie in den Folterkellern der brasilianischen Militärdiktatur (1964 - 1985) erlitten hatte. Die Tochter eines bulgarischen Immigranten studierte damals Volkswirtschaft an der Universität von Belo Horizonte und schloss sich Ende der 60er Jahre der Guerilla-Gruppe "Vanguardia Armada Revolucionaria Palmares" (Bewaffnete Revolutionäre Avantgarde Palmares) an.
Dass Dilma Rousseff 40 Jahre später in den Regierungspalast einziehen würde, war damals unvorstellbar. Doch nachdem der Gewerkschafter Luiz Inácio da Silva, Gründungsvater der brasilianischen Arbeiterpartei PT, im Oktober 2002 zum Präsidenten gewählt wurde, zeichnete sich auch eine politische Karriere für Rousseff ab. "Lula" da Silva holte die Volkswirtin als Energieministerin nach Brasilia. 2005 erhob er sie zur Kabinettchefin. Und als er nach dem Ende der zweiten Amtsperiode nicht mehr kandidieren durfte, verhalf er ihr und der Arbeiterpartei 2010 erneut zum Sieg.
Kämpfernatur in Lulas Windschatten
Dass Rousseff Brasiliens erstes weibliches Staatsoberhaupt wurde, war eigentlich nie ein größeres Thema. Abgesehen von der Debatte um eine Begrifflichkeit: Am Ende war die portugiesische Sprache um das Kunstwort "presidenta" reicher, dass die explizit weibliche Form zum eigentlich beidgeschlechtlichen "presidente" bildet.
Alles in allem berief sich die Präsidentin darauf, die erfolgreiche Politik ihres Vorgängers Lula da Silva fortzusetzen: Sozialprogramme im Innern und die Süd-Süd-Kooperation in der Außenpolitik - allerdings mit weniger Charisma. "Das Erbe von Lulas bombastischem Regierungsstil ist schwer wie Blei", urteilte Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso (1995 - 2002) in einer Kolumne für die brasilianische Tageszeitung "O Globo".
Rousseff Ruf als Technokratin und Dogmatikerin dürfte ihre dabei nicht unbedingt geholfen haben - eher schon der als Kämpfernatur. Immerhin hat sie gegen koalitionsinterne Widerstände gleich mehrere Minister ihres Kabinetts entlassen, weil sie unter Korruptionsverdacht standen. Damit beeindruckt sie - offenbar genügend - große Teile der brasilianischen Bevölkerung. Viele ihrer Anhänger sind ihr so treu, dass trotz der harschen Kritik und der sozialen Unruhen nie an ihren Chancen auf Wiederwahl zweifelten.
Knapp wurde der Wahlkampf wohl deshalb, weil insbesondere besserverdienende Brasilianer enttäuscht von Rousseff sind. Die Sozialprogramme hat maßgeblich die Mittelschicht finanziert. Aber sicherer geworden sind Brasiliens Straßen durch die Umverteilung nicht. Vor allem sind sie häufiger verstopft, weil sich die Zahl der Kraftfahrzeuge binnen zehn Jahren verdoppelt hat. Auch die aktuelle Wirtschaftsflaute kann nicht unabhängig von der Interventionspolitik der Arbeiterpartei und ihrer Präsidentin gesehen werden. Nun hat Rousseff noch einmal die Gelegenheit, sich zu beweisen. Danach, fordern manche, solle Lula wiederkommen. Aber bis dahin wird Rousseff sicher auch um ihr eigenes politisches Erbe kämpfen.