Brasilien: Fußball ja, FIFA nein
4. März 2014Fußball ja, FIFA nein - auf diese Kurzformel lässt sich die Stimmung im WM-Land Brasilien bringen. Denn trotz großer Probleme bei der Vorbereitung des Megaevents ist das Interesse am Fußballfest in der Fußballnation enorm: Bereits 2,3 Millionen Tickets sind verkauft. An der jüngsten Auslosung Ende Februar beteiligten sich über 13 Millionen Fußballfans in der Hoffnung auf eine Eintrittskarte für eine WM-Partie.
Fußballfan Luiz Terenzi aus Belo Horizonte gehört zu den glücklichen 900 000 brasilianischen Anhänger, denen ein Platz im Stadion bereits sicher ist. Zweites Land im WM-Ticket-Ranking sind nach Angaben der FIFA mit großem Abstand die USA mit 125 465 Eintrittskarten. An dritter Stelle folgt Kolumbien mit 60 000 Tickets, gefolgt von Deutschland mit 55 666 Karten. Aus Brasiliens Nachbarland und Erzrivalen Argentinien reisen 53 809 Fußballfans mit einer Ticket an.
Auf den Spuren der "seleção"
Rund 600 000 Fußballfans aus dem Ausland werden zur WM erwartet. Die große Mehrheit der Zuschauer in den Stadien stammt allerdings aus dem eigenen Land: Drei Millionen Brasilianer werden ihrer "seleção", wie die Nationalmannschaft genannt wird, von Spielstätte zu Spielstätte folgen. Knapp sechs Milliarden Euro werden sie sich ihre Leidenschaft für das runde Leder kosten lassen, so hat es die brasilianische Tourismusbehörde "Embratur" errechnet. Für die internationalen Touristen liegen die Schätzungen bei zwei Milliarden Euro.
"Ich freue mich über die Möglichkeit, die Spiele vor Ort sehen zu können, aber nicht über die Tatsache, dass die WM hier im Land ausgetragen wird", sagt Luiz Terenzi. Der 47-jährige Familienvater hat Tickets für insgesamt fünf Spiele im Stadium "Mineirão" in Belo Horizonte gekauft. Zwar gibt sich dort nicht die brasilianische Nationalmannschaft die Ehre, dafür treten in dem Stadium immerhin Argentinien und England an.
Die Mehrheit der Brasilianer teilt die gemischten Gefühle von Fußballfan Luiz Terenzi. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Datafolha" befürwortet nur noch eine knappe Mehrheit von 52 Prozent der Bevölkerung die WM im eigenen Land. Während des Confed-Cups im Juni vergangenen Jahres lag die Zustimmung noch bei 65 Prozent. Und 2008, ein Jahr nach der WM-Vergabe an Brasilien, lag der Wert sogar bei 79 Prozent.
Der größte Unmut richtet sich gegen die Milliardenausgaben für den Bau von Stadien. Insgesamt knapp acht Milliarden Euro gab die brasilianische Regierung für die Ausrichtung der WM aus, nur umgerechnet 1,1 Milliarden Euro davon stamme, laut brasilianischem Sportministerium, von privaten Investoren.
Fifa am Pranger
"Es ist ein Widerspruch, Geld in Stadien zu investieren, während es woanders am Allernötigsten fehlt", meint der Student Felipe Alencar aus São Paulo. Der 21-Jährige war bis jetzt bei allen Demonstrationen dabei, die das Land seit dem Confed-Cup im Juni 2013 aufgerüttelt haben. Für ihn steht fest: "Das Volk hat nichts von der WM. Die Leute können sich die Spiele nicht anschauen, weil der Eintritt viel zu teuer ist".
Viele Vertreter der Zivilgesellschaft gehen in ihrer Kritik noch weiter. Die WM werde als Rechtfertigung für bestimmte Bauvorhaben missbraucht, die nicht dem Allgemeinwohl dienten, meint Orlando dos Santos Júnior, Mitglied im nationalen WM-Komitee der sozialen Bewegungen. "Ich habe keine Zweifel daran, dass die Arena in Manaus fertig wird, aber liegt es wirklich im Interesse Brasiliens, im Amazonas ein Fußballstadion zu haben?".
Von den insgesamt zwölf Spielstätten in Brasilien befinden sich noch immer fünf mitten im Umbau. In Porto Alegre laufen sogar noch die Ausschreibungen für die Gestaltung der Außenanlage rund um das Stadion "Beira-Rio". Und in den Städten Curitiba, São Paulo, Cuiabá und Manaus liegen die Arbeiten in den WM-Arenen deutlich hinter dem Zeitplan der Fifa. Auch der Ausbau der internationalen Flughäfen in Fortaleza und Rio verzögert sich.
Proteste während der WM?
Doch trotz aller Probleme beim Stadionbau und dem Ärger über die noch fehlende Infrastruktur wollen sich viele Brasilianer den Spaß an der WM nicht verderben lassen. Fifa-Freiwillige Aidê de Simone freut sich auf die Partystimmung und aufs Netzwerken. "Man hat das Gefühl, bei einer großen Sache dabei zu sein, die Leute sind gut drauf", meint die Sportlehrerin aus São Paulo. Außerdem lerne man viele neue Leute kennen.
Aidê de Simone lässt es sich nicht nehmen, auch Brasiliens Fußballidol Pelé gegen die wachsende Kritik aus der Bevölkerung zu verteidigen. "Pelé hat Recht, es ist schlicht falsch, die WM für alle Probleme verantwortlich zu machen", sagt sie. Ohne Weltmeisterschaft gäbe es überhaupt kein Geld für Bildung und Gesundheit. "Das Geld ist auf jeden Fall weg, weil Brasilien korrupt ist", meint die Sportlehrerin.
Fußballkönig Pelé hatte zu Beginn des Jahres seine Landsleute aufgerufen, nicht mehr gegen die WM zu demonstrieren. Die Proteste verdürben das Fußballfest, meinte der Ehrenbotschafter der WM. Auch wenn er sich wegen dieser Äußerungen im Lager der sozialen Bewegungen Feinde gemacht hat, steht der "König" mit seinen Gedanken nicht mehr alleine da.
Nach einer Untersuchung von "Datafolha" lehnen mittlerweile 63 Prozent der brasilianischen Bevölkerung Proteste während der Weltmeisterschaft ab. Nur 15 Prozent der Befragten gab an, an Demonstrationen in diesem Zeitraum teilnehmen zu wollen. Schon jetzt ist klar, dass die Lust auf Megaevents im Land rapide gesunken ist: Wenn sich Brasilien heute um die WM-Ausrichtung bewürbe, wären 50 Prozent der Bevölkerung dagegen.