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Brasilien: Protestbewegung auf Abwegen

Astrid Prange20. Februar 2014

Zerbrochene Schaufenster, brennende Busse, verletzte Demonstranten und ein toter Kameramann - durch Gewalt und Infiltration durch Randgruppen ist die brasilianische Protestbewegung auf ihrem Tiefpunkt angelangt.

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Demonstranten zerstören Drehkreuze, die Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln gewähren (Foto: picture-alliance/ZUMAPRESS.com)
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com

"Ich bitte um Verzeihung, dass ich ehrlich bin", postet Aktivist Fernando Hideki Hatimine auf der digitalen Plattform "AnonymousBrasil". "Ich wünsche mir, dass die WM in Brasilien ein totaler Misserfolg wird".

Ein User namens João Paulo Martins Veloso lässt seiner Zerstörungswut im Netz ebenfalls freien Lauf. "Es gibt einfach Dinge, die man nicht mehr verbessern oder reformieren kann", schreibt er. "Man muss sie komplett zerstören, damit etwas Neues entstehen kann".

Aktivisten auf Abwegen: Nicht nur willkürliche Polizeigewalt, sondern auch die Wut von Demonstranten und die Gewalt des sogenannten Schwarzen Blocks haben die Kundgebungen, die während des Confed Cups im Juni 2013 das Land aufrüttelten, in Verruf gebracht.

Die Gewalt eskaliert

Am 6. Februar erreichten die Ausschreitungen bei einer Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr in Rio einen traurigen Höhepunkt. Die Gewalt ging von Polizei und Demonstranten gleichermaßen aus. So zerstörten brasilianische Militärpolizisten beispielsweise die Kamera von DW-Reporter Philipp Barth, beschimpften und traten ihn.

Barth kam mit einem Schock und leichten Verletzungen davon. Bei derselben Kundgebung wurde der Kameramann Santiago Andrade des brasilianischen TV-Senders "Bandeirantes" von einem Feuerwerkskörper an der Schulter getroffen und erlag wenig später im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Kameramann Santiago Andrade (Foto: EPA/AGENCIA GLOBO)
Bei einer Demonstration in Rio wird Kameramann Santiago Andrade von einem Feuerwerkskörper tödlich getroffenBild: picture-alliance/dpa

Den Feuerwerkskörper hatten zwei junge Männer im Alter von 22 und 23 Jahren geworfen. Sie wurden zwei Tage nach dem Vorfall festgenommen und werden nun wegen Mordes angeklagt.

Der Ärger über die geplanten Fahrpreiserhöhungen schien sich bei ihnen in Grenzen zu halten. "Mein Mandant wurde überredet mitzumachen und hat 150 Reais (umgerechnet 45 Euro) bekommen, um zu randalieren", sagte der Anwalt des Angeklagten, Jonas Tadeu Nunes, dem brasilianischen TV-Sender "Globo". Sein Mandant, der als Aushilfskraft für einen Mindestlohn arbeite, habe durch die Teilnahme an Demos sein bescheidenes Einkommen aufgestockt.

Die Stimmung kippt

Für Politikwissenschaftler Valeriano Costa symbolisiert der Tod des Kameramanns das Ende der Protestbewegung. "Die positive Grundstimmung hat sich ins Gegenteil verkehrt", sagt Costa, der an der Universität Campinas im Bundesstaat São Paulo Meinungsforschung lehrt. Die fehlende Organisation hinter den Massendemos, die am Anfang als vermeintliche politische Unabhängigkeit positiv bewertet wurde, habe sich als naiv erwiesen.

"Auch die Forderungen nach politischen Reformen haben sich aufgelöst", sagt Valeriano Costa. Sie seien schon immer sehr allgemein gewesen, weil sich so viele unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen an den Protesten beteiligt hätten. "Doch mittlerweile offenbart sich ein inhaltliches Vakuum", fügt er hinzu.

Eine gerade veröffentlichte Umfrage des Institutes "Datafolha" zeigt, wie sich die Stimmung gedreht hat. Für die Umfrage wurden vier Tage nach dem Tod des Kameramanns Santiago Andrade 654 Einwohner in Rio befragt. 90 Prozent sprachen sich gegen vermummte Demonstranten aus. Nur noch 56 Prozent befürworteten die Proteste, 40 Prozent lehnten sie ab. Außerdem hielten 84 Prozent eine Infiltration der Protestbewegung von politischen und gesellschaftlichen Gruppen für wahrscheinlich.

Wer hat Angst vorm Schwarzen Block?

"Die Aussichten, dass die Bevölkerung erneut auf die Straße geht und gegen die WM oder fehlende Investitionen protestiert, sind erheblich gesunken", prophezeit Costa. Alle Gruppen, die fähig wären und Legitimität besäßen, Bürger zu mobilisieren und Massendemos zu organisieren, hielten sich zurück, weil sie nicht mit Vandalismus oder dem Schwarzen Block in Verbindung gebracht werden wollten.

Proteste gegen die WM in Sao Paulo. (Foto: DW/M Estarque)
WM, nein danke! Protest am 25. Januar in Sao Paulo gegen das teure Fifa-TurnierBild: DW/M. Estarque

Angesichts der Furcht vor Ausschreitungen während der WM nutzte die Regierung die veränderte Stimmungslage und brachte am 17. Februar einen Gesetzesentwurf im brasilianischen Parlament ein, der härtere Strafen für gewalttätige Demonstranten vorsieht. Danach müssen sich Demonstranten, auch wenn sie vermummt sind, gegenüber der Polizei ausweisen und bei Körperverletzung oder Beschädigung öffentlichen Eigentums mit erheblichen Haftstrafen rechnen.

Aktivistin Aline Florenzano Penha ist, wie die meisten Besucher auf der Plattform "AnonymousBrasil", inzwischen desillusioniert. "Ich habe bemerkt, dass ich in meinem Bekanntenkreis die einzige bin, die Politiker und Medien kritisiert. Die meisten finden, dass ich verrückt bin und Demonstranten Radalierer und Chaoten sind", schreibt die Studentin aus Sorocaba. "Von mir aus kann ruhig alles explodieren, die Brasilianer haben es nicht anders verdient!".

Meinungsforscher Valeriano Costa kann der pessimistischen Grundhaltung durchaus etwas Positives abgewinnen. "Die Protestbewegung kam sehr früh. Wäre sie erst bei der WM ausgebrochen, wäre dies einer Katastrophe gleichgekommen", sagt er. Natürlich motiviere die WM immer noch zum demonstrieren. Doch er ist sich sicher: "Die Proteste werden weniger aggressiv sein".