Brasilien und Deutschland haben gemeinsame Ziele
19. November 2004Ein Ziel haben Brasilien, die größte Demokratie Lateinamerikas, und Deutschland auf jeden Fall gemeinsam: Beide Länder wünschen sich einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Um ihre Chancen zu erhöhen, unterstützen sich die beiden Staaten gegenseitig in einer Vierer-Allianz mit Japan und Indien bei der Bewerbung.
Gemeinsam gegen einseitige Welt
Schon im Februar 2002 hatten Brasilien und Deutschland beschlossen, sich um eine ständige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat zu bemühen. Die deutsche und die brasilianische Regierung hatten sich in einem so genannten "Aktionsplan der Deutsch-Brasilianischen Partnerschaft" auf eine "strategische Partnerschaft" geeinigt. Neben der Bewerbungshilfe enthalte der Plan weitere Aspekte der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Mit der linksgerichteten Regierung von Lula da Silva, der im Oktober 2003 die Präsidentschaftswahlen gewann, habe das deutsch-brasilianische Verhältnis noch einmal eine neue Dimension bekommen, sagt Reiner Radermacher von der Friedrich-Ebert-Stiftung. "Das liegt aber nicht an den Akteuren, auch wenn Schröder und Lula politisch aus der gleichen Richtung kommen", erklärt er. Vielmehr treibe die zunehmend unipolare Welt die beiden Staaten zum gemeinsamen Handeln.
Lange Tradition
Enge Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland sind allerdings nichts Neues: Schon 1824, zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung Brasiliens, zog es deutsche Auswanderer in das lateinamerikanische Land. Zwischen anderthalb und drei Millionen Nachfahren deutscher Einwanderer leben heute dort. Seit mehr als 50 Jahren pflegen Deutschland und Brasilien enge wirtschaftliche Kontakte. São Paulo gilt mit seinen Werken von VW über Bayer bis zu BASF als größte "deutsche" Industriestadt der Welt. Die guten wirtschaftlichen Beziehungen hätten die Grundlage für die politischen Verbindungen gelegt, sagt Radermacher.
"Anrüchiger Vertrag"
Dabei standen nicht selten auch bei politischen Entscheidungen ökonomische Überlegungen im Vordergrund. So schloss die deutsche Bundesregierung unter Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) vor fast 30 Jahren ein Atomabkommen mit Brasilien. Der Vertrag regelt die staatliche Unterstützung des Exports von Nukleartechnologie. Pikant: Damals war der lateinamerikanische Staat weit von einer Demokratie entfernt – eine rechte Militärregierung führte das Land. Der Vertrag sei deshalb immer "anrüchig" gewesen, sagt Radermacher.
Martin Traine, Politikwissenschaftler an der Universität Köln sieht das anders: Der Vertrag sei zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes entstanden, Deutschland habe sich nicht in politische Angelegenheiten anderer Länder eingemischt. "Brasilien ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands in Lateinamerika und Wirtschaftsbeziehungen waren schon immer relevanter als politische Beziehungen", sagt Traine.
Ersetzung des Abkommens
Wenn der Vertrag nicht in diesen Tagen gekündigt wird, läuft er automatisch für fünf Jahre weiter. Eine Gruppe von Parlamentariern der Grünen forderte in den vergangenen Wochen die Kündigung des Vertrags. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hielt dagegen. Schließlich erhielt die brasilianische Regierung eine diplomatische Note, in der zwar auch von erneuerbaren Energien die Rede ist, die Zusammenarbeit in der Atomenergie aber nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird. Brasilien reagierte am vergangenen Freitag (12.11.) seinerseits mit einer diplomatischen Note: Die vorgeschlagene Ersetzung des Atomabkommens sei angemessen. Die genauen Konditionen kann Außenminister Joschka Fischer jetzt mit Präsident Lula hinter verschlossenen Türen besprechen. Bisher kommen nur vier Prozent der brasilianischen Energie aus Atomreaktoren, Lula und seine Regierung wollen den Anteil der Atomenergie in den nächsten zwölf Jahren aber auf bis zu 25 Prozent steigern.