Atommacht Brasilien
9. April 2004Stein des Anstoßes ist die neue, hochmoderne Urananreicherungsanlage bei Rio de Janeiro, in der auch nach brasilianischen Angaben theoretisch atomwaffenfähiges Uran hergestellt werden könnte. Man beschränke sich aber auf einen Anreicherungsgrad von nur fünf Prozent - für die eigenen Atomkraftwerke. Washington und die Wiener Atomenergiebehörde wollen darüber absolute Gewissheit und verlangen deshalb lückenlose Kontrollen der Uranfabrik. Doch Brasilia ist dazu bisher nicht bereit.
Seit dem letzten Jahr reisten die Inspektoren der Wiener Kontrollbehörde mehrmals zur neuen Urananreicherungsfabrik in Resende bei Rio de Janeiro, doch die wichtigsten, interessantesten Anlagenteile, vor allem die Zentrifuge, bekamen sie nie zu sehen. Türen blieben ihnen verschlossen, nicht einmal ein Blick durch bestimmte Fenster wurde ihnen erlaubt. Bestimmte Abschnitte versuche man regelrecht zu verstecken, beklagte ein Inspektor.
Brasilien unter Generalverdacht
Der vielkritisierte Iran, so verlautete jetzt aus der Wiener Kontrollbehörde, sei derzeit kooperationsbereiter als Brasilien. Teheran habe sogar ein Zusatzprotokoll unterschrieben, das unangekündigte und sehr detaillierte Inspektionen ermögliche. 82 Länder hätten ebenfalls unterzeichnet, zuletzt Mexiko. Doch Brasilien zeigt bisher keinerlei Bereitschaft, was Verdacht erregt.
Nach einem Bericht der "Washington Post" nährt Brasilia damit Befürchtungen über eine neue Art von atomarem Wettrüsten - durch unauffällige, legale Entwicklung von Nukleartechnologie, die rasch für ein Waffenprogramm genutzt werden könne. Ein Dilemma für Präsident George W. Bush: Die Glaubwürdigkeit des Vorgehens gegen Risikostaaten wie Iran und Nordkorea sei gefährdet, falls man nicht an Brasilien die gleiche Elle anlege.
Die Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva antwortete entsprechend schroff: Das alles sei eine unakzeptable Attacke auf die nationale Atompolitik. Man lasse sich nicht in einen Topf mit Ländern wie Iran und Nordkorea werfen. "Brasilien wird die eingegangenen Verpflichtungen aus dem Sperrvertrag einhalten - aber unsere technologischen Geheimnisse werden wir nicht preisgeben", sagte Außenminister Celso Amorim. Brasilien müsse die Möglichkeit haben, seine selbstentwickelten Technologien zu schützen, vor allem in einem wirtschaftlich so wichtigen Bereich wie der Energieerzeugung. Man werde jedes Mal darüber verhandeln, auf welche Weise die Uranfabriken inspiziert werden.
Nationale Eitelkeiten verletzt
Das US-Außenministerium in Washington reagierte sofort: Brasilia sollte seinen guten Willen beweisen - mit der raschen Unterzeichung eben jenes Zusatzprotokolls. Unvergessen sind schließlich Äußerungen von Staatschef Lulas erstem Technologieminister Roberto Amaral zugunsten des Baus einer brasilianischen Atombombe. Brasilien, so Amaral, müsse die nötigen Kenntnisse besitzen - für den Fall, dass sich die Weltlage ändere.
Einer seiner Amtsvorgänger, der angesehene Wissenschaftler Jose Goldemberg aus Sao Paulo, sieht in der gegenwärtigen Haltung Brasilias auch unnötiges nationalistisches Getue: "Einige brasilianische Autoritäten rollen jetzt die Nationalflagge aus, wollen unsere Souveränität verteidigen. Dabei hat die Regierung keinerlei Motive, soviel Geheimniskrämerei um diese Anlagen zu betreiben. Es geht doch nur um einen technologischen Prozess, der in der ganzen Welt bestens bekannt ist - und natürlich Gegenstand internationaler Inspektionen sein sollte", so sein Urteil.
Die Entwicklung der Uranzentrifuge habe immerhin eine Milliarde Dollar gekostet, sie sei die beste, modernste der Welt, kontern Regierungspolitiker wie Beto Albuquerque: "Die Amerikaner haben rein wirtschaftliche Interessen und nutzen die Inspektionsfrage nur als Vorwand, um an unsere Technologie heranzukommen. Wir sollen ihnen unsere zeigen - doch ihre zeigen sie uns nicht."