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Braucht es wirklich eine neue Generation von Lebensmitteln?

Bob Berwyn
20. Juli 2018

Unternehmen stehen kurz davor, Fleisch aus dem Labor zu vermarkten. Die neuen Produkte werden als umweltfreundlich angepriesen. Aber sind sie das, was Kunden wollen und wo genau ist die rote Linie in der Gentechnik?

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Ein Mann in einem Getreidefeld
Bild: Bob Berwyn

Vor 200 Jahren hatten eine Erdbeere aus Chile und eine Erdbeere aus den Vereinigten Staaten in einem vornehmen französischen Garten ein Blind Date, eingefädelt von Gärtnern, die eine bessere Beere schaffen wollten. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Zuvor waren aus dem US-Bundesstaat Virginia importierte Arten nicht sehr ertragreich, während die europäischen Sorten sehr kleine Früchte trugen. Wie sich herausstellte, enthielten die chilenischen Gene die entscheidende Zutat und fast jede Erdbeere, die man heute auf dem Markt kaufen kann, stammt aus dieser Kreuzung.

Köstliche Erdbeeren mögen zu den leckersten Errungenschaften genetischer Bastelei gehören, aber sie sind nicht die einzigen. Die Menschen in Mesopotamien begannen schon vor 10.000 Jahren damit, die wilden Gräser mit den meisten Samen nicht zu essen, sondern wieder auszusäen, wodurch sie sich mit der Zeit zu den Nutzpflanzen entwickelten, die wir heute als Reis, Weizen, Gerste, Hafer, Hirse und Roggen kennen. In den fruchtbaren Flussauen der Donau westlich von Wien züchten Bauern seit mindestens 5000 Jahren Pflanzen.

Heute beobachten Wissenschaftler im Department für Agrarbiotechnologie Tulln an der Universität für Bodenkultur Wien die Entwicklung von etwa 80 verschiedenen Getreidesorten in Gewächshäusern und unter freiem Himmel, teilweise bis auf die Ebene der molekularen DNS.

Diese Arbeit ist wichtig, weil auf der Welt etwa eine Milliarde unterernährte Menschen leben, sagt Pflanzenökologe Hermann Bürstmayr, während er zwischen Testparzellen steht, auf denen hüfthoch goldgelbes Getreide wächst. Und sicherzustellen, dass es bis 2100 und darüber hinaus genug Lebensmittel für die schnell-wachsende Weltbevölkerung gibt, sei eine große Herausforderung,

Ein Mann arbeitet in einem Gewächshaus
In Gewächshäusern bestäuben Wissenschaftler vorsichtig einzelne Weizenpflanzen, um reines Saatgut zu schaffenBild: Bob Berwyn

In Gewächshäusern bestäuben Forscher vorsichtig einzelne Getreidepflanzen und verwenden Plastikhüllen, um die Blüten getrennt zu halten. In nahegelegenen Laboren werden die Samen und Pflanzen chemisch analysiert und sogar bis auf die zelluläre Ebene zerkleinert.

"Ich mache mir Sorgen. Die Weltbevölkerung wächst, aber die landwirtschaftlich nutzbare Fläche nicht", sagte Bürstmayr gegenüber DW.

"Es gibt nicht das eine Instrument, aber es gibt viele Anpassungen, die wir in landwirtschaftlichen Systemen vornehmen können, um die Lebensmittelversorgung zu sichern", sagt er. "Wir entschlüsseln die Genome, aber verstehen wir, was sie uns sagen?"

Quantensprung

In Zusammenarbeit mit anderen internationalen Teams können die Forscher mithilfe des scharfen Schnitts einer präzisen neuen genetischen Schere die fundamentale molekulare Struktur von Pflanzen verändern. Dieses CRISPR genannte Werkzeug gilt auch als das Tool, das genetische Information "demokratisieren" wird.

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Die neuesten Fortschritte in der Gentechnik haben eine fundamentale ethische Debatte darüber neu entfacht, ob der Mensch das genetische Material von Pflanzen und Tieren manipulieren soll, insbesondere weil die Disziplin sich in unerforschtes Gebiet wagt.

Die Gentechnik hat ein neues Niveau erreicht. Das Erbgut von Tieren wird verändert, damit man sie besser zum Mästen in Feedlots halten kann, Algen und Hefe werden genetisch im Rahmen der sogenannten "synthetischen Biologie" verändert, um Laborprodukte zu schaffen, die auf dem Bauernhof angebaute Lebensmittel ersetzen könnten.

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Investoren sind begeistert von Lebensmitteln, die sich patentieren lassen, sagt Stacy Caldwell, Leiterin von Right to Know, einer kalifornischen Gentechnik Watchdog Group. Produkte, die mit den neuesten Technologien zur Genveränderung geschaffen werden, sind fundamental anders und können patentiert werden. Mit den Lizenzen lässt sich potentiell viel Geld verdienen.

Gelagerte Gläser mit Samen.
Mehr als 6000 Samensorten sind in der Saatbank von Arche Noah gelagertBild: Bob Berwyn

"Die Lebensmittelindustrie gibt riesige Summen Geld dafür aus, um die Menschen davon zu überzeugen, dass wir High-Tech-Lebensmittel brauchen, um die Welt zu ernähren", sagt sie gegenüber DW.

"Die Lebensmittelproduktion zu industrialisieren trägt dazu bei, Macht und Vermögen in den Händen einiger weniger zu konzentrieren, aber das ist nicht das, was die Menschen fordern."

Eine alte Debatte, neu aufgelegt

"Die Sorge ist, dass die Industrie hier den gleichen Weg einschlägt, wie sie es in der Vergangenheit immer getan hat", sagt Caldwell in Bezug auf die großflächige Einführung von Nutzpflanzen, die genetisch verändert wurden, um gegen Pflanzenschutzmittel resistent zu sein. Was am Ende zu einer stärkeren Abhängigkeit vom Einsatz gefährlicher Pestizide geführt habe.

Allgemein entwickelt sich die Technologie immer noch schneller, als Gesellschaften effektive Regularien für sie schaffen können und wenn solche Regeln fehlen, entscheidet in erster Linie der Markt. Einige der neuesten Genom-Editierungspatente werden gerade in möglicherweise wegweisenden Gerichtsverfahren angefochten.

Wo genau die rote Linie bei der Gentechnik ist, wird immer noch diskutiert - von "normaler" Pflanzenzüchtung bis hin zum Einfügen von genetischem Material einer Art in eine völlig andere.

Weizen
Weizenlabor: Forscher entschlüsseln und katalogisieren detailliert die genetische Informationen der PflanzenBild: Bob Berwyn

Aber aus Sicht von Caldwell sollte die neue Genom-Editierungstechnik genauso reglementiert werden, wie die bereits akzeptierten Arten der Genmodifikation.

Selbst wenn Wissenschaftler nichts neues hinzufügen, könnte auch das Entfernen von genetischem Material ungewollte Veränderungen hervorrufen. Dazu gehört auch ein möglicher Verlust an Nährwerten, den einige frühe Studien nahelegen. 

"Gene haben einen Platz innerhalb des Ökosystems eines Organismus und einen Teil davon zu verändern, kann unerwartete Konsequenzen haben", sagt sie.

"Das in unserer Lebensmittelversorgung einzusetzen, bevor wir es völlig verstehen, ist das Letzte, was wir tun sollten."

'Rebound-Effekt' für Lebensmittel

Wenn man die Frage nach der Sicherung der Lebensmittelversorgung auf globaler Ebene langfristig betrachtet, erkennt man ein klares Bild aufgrund der sichtbaren Muster, sagt Karlheinz Erb, Sozialökologe an der Universität Wien.

"Da gibt es eine hervorstechende Story: Wir haben sehr starke Rebound-Effekte", sagte er gegenüber DW.

"Wenn die Lebensmittelproduktion effizienter wird, wird die Effizienzsteigerung durch eine Konsumsteigerung überkompensiert."

Diesen "Rebound-Effekt" kennt man auch aus der Energiewirtschaft: Eine 10 prozentige Effizienzsteigerung führt unter Umständen nur zu einer 9 prozentigen Reduktion des Energieverbrauchs, weil Menschen mehr Energie verbrauchen, wenn mehr davon verfügbar ist.

Erb glaubt, beim Problem der globalen Lebensmittelversorgung nur an der Produktionsseite anzusetzen sei der falsche Ansatz. "Wir müssen uns die Verbraucherseite ansehen. Wir können Mangelernährung nicht ewig dadurch bekämpfen, dass wir mehr produzieren."

Analog zur Energie ist es auch hier so: je mehr wir produzieren, umso mehr essen wir, aber das Kernproblem ist, dass die Produktion nicht gleichmäßig über die Welt verteilt ist.

Foto eines fleischlosen Hamburgers
Einfach weniger Fleisch zu essen und auf Alternativen wie diesen fleischlosen Hamburger auf Pflanzenbasis zurückzugreifen, könnte das Problem der Lebensmittelversorgung lösen, ohne dass wir auf Gentechnik zurückgreifen müsstenBild: Reuters/Moving Mountains/M. Michaels

Einfach gesagt: der globale Norden hat ein Überkonsum- und Verschwendungsproblem, was zu Herzerkrankungen, Übergewicht und Diabetes führt — auch einer Form der Mangelernährung. Um den weltweiten Hunger zu beseitigen, muss man sich dieses Ungleichgewichts bewusst werden, sagt er.

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Einfachere Lösungen?

Eine wegweisende diagnostische Modellierungsstudie von 2016, die Erb leitete, zeigte, dass die globale Lebensmittelversorgung für die vorausgesagten Bevölkerungszahlen auch ohne radikale genetische Eingriffe gesichert werden kann und sogar ohne zusätzliche Waldrodung.

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Wie auch viele andere neuere Studien kam Erb zu dem Ergebnis, dass ein großangelegter Wechsel zu Hochleistungsnutzpflanzen nicht nötig ist. Indem man beispielsweise den weltweiten Fleischkonsum reduziert, "könnte die Weltbevölkerung selbst bei niedriger Ergiebigkeit der Nutzflächen und mit geringer Vergrößerung der Nutzflächen auf gesunde Art ernährt werden", resümiert die Studie.

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Die neuesten Erkenntnisse könnten die Agrarpolitik beeinflussen, unter anderem auch die laufende Diskussion in der Europäischen Union, sagt Erb.

Entscheidende Veränderungen, unter anderem der Abbau von Subventionen für Dünger und Pestizide und die Förderung agrarökologischer Alternativen, wären ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Lebensmittelzukunft, glaubt er.