Brexit-Verhandlungen im Kriechgang
31. August 2017Was haben die rund hundert britischen und Dutzende von EU-Unterhändlern eigentlich gemacht in den letzten vier Tagen in Brüssel? Zeitung gelesen, sich die Nägel gefeilt? "Es gab keinen deutlichen Fortschritt", sagte Michel Barnier für die europäische Seite des Verhandlungstisches am Ende. "Wir haben noch eine Strecke zurückzulegen", formulierte sein britischer Kollege David Davis. Das hatte man so schon mal gehört. Es war ein klarer Fall von Déjà-vu. Die beiden hätten ihre alte Pressekonferenz von vor dem Sommer noch einmal abspielen können.
Stimmung wird gereizter
Die Chefunterhändler sind zu sehr Diplomaten, um ihre Frustration deutlich zu zeigen. Aber bei ihren Teams soll die Stimmung inzwischen ziemlich gereizt sein. Die Gespräche drehen sich im Kreis, und es gibt keinen substantiellen Fortschritt. Die Briten haben eine Handvoll Positionspapiere auf den Tisch geworfen, die von den Europäern als ungenügend oder illusionär abqualifiziert werden.
"Nostalgisch" nennt Michel Barnier die Vorschläge unter anderem zu Zollunion, Datensicherheit, Irland. Die Briten täten so, als ob das Leben nach dem Brexit weiter gehen könne wie vorher. Jedenfalls sieht er darin keine Basis für weitere Verhandlungen. In einigen technischen Details sei man sich näher gekommen, etwa bei der Lage der Arbeitnehmer in Grenzregionen oder bei Regelungen für die Sozialversicherung. Aber selbst beim Problem der künftigen Grenzziehung in Irland, wo beide Seiten ähnliche Interessen hätten und eine Lösung ohne harte Grenzen anstrebten, seien die Gespräche zwar fruchtbar, aber unkonkret geblieben.
Auch bei David Davis wird der Ton schärfer: "Das war eine stressige Woche". Man habe detailliert gearbeitet, aber es bleibe ein langer Weg zu gehen. Großbritannien wünsche sich mehr "Phantasie und Flexibilität" von den Europäern. Das scheint der neue Schlachtruf des britischen Unterhändlers zu sein, der auch den Geist der künftigen Partnerschaft als Leitidee anmahnte. Allerdings klang das beim Brexit-Minister mehr wie eine Drohung von der Art: Ihr werdet uns noch brauchen, solltet also schnell Kompromisse mit uns machen.
Michel Barnier seinerseits stellt das Gespenst eines Brexit ohne Deal, den Sturz von der Klippe im März 2019 in den Raum. Wenn's um Drohgebärden geht, hat hier jeder einen Knüppel unter dem Tisch.
Streit um die Brexit-Rechnung
Wie bei jeder schlechten Scheidung dreht sich der schlimmste Streit ums Geld. Hier sind die Positionen völlig verhärtet. "Die Steuerzahler der EU-27 sollten nicht für die Verpflichtungen einstehen, die man zu 28 eingegangen ist", sagt Barnier. Das sei nicht fair. Deswegen müssten die Briten bis Ende der Haushaltsperiode im Jahr 2020 ihren Beitrag einzahlen. Er erinnnert auch an langfristige Darlehen etwa an die Ukraine oder die Afrika-Hilfe, für die Großbritannien vorläufig mit gerade stehen müsse.
Die britische Seite dagegen lehnt jegliche rechtliche Verpflichtung ab, bei ihrem Austritt überhaupt noch etwas ins EU-Budget zu zahlen. In einer mehrstündigen Power-Point-Präsentation, hätten die britischen Unterhändler jede einzelne Anspruchsgrundlage für rechtlich grundlos erklärt. "Unsere juristische Analyse ist eine ganz andere als die der Gegenseite", sagt David Davis dazu lapidar. Großbritannien schulde der EU beim Austritt überhaupt nichts mehr, will sogar seinen Anteil von EU-Immobilien und anderem Vermögen ausgezahlt bekommen - wenngleich Davis dann doch internationale und sogenannte moralische Verpflichtungen anerkennt und damit die Tür wieder halb öffnet.
Ein Weg aus dieser Sackgasse ist längst vorgezeichnet. Um die Sache für die Regierung in London politisch leichter verdaulich zu machen, könnte sie die Zahlungen an die EU im Rahmen der längeren Übergangsphase leisten, die nach 2019 Zeit für weitere Verhandlungen bieten und die britische Wirtschaft auffangen soll. Die oppositionelle Labour-Partei hatte kürzlich zwei bis drei Jahre "Transition" gefordert, eine Art EU-Assoziation nach dem Vorbild Norwegens, in der das Königreich zwar nicht mehr Mitglied ist, in der sich bei Binnenmarkt oder Zollunion aber sonst noch nichts verändert.
Auch Michel Barnier geht davon aus, dass man eine solche Übergangsphase auf jeden Fall brauchen werde.
Wie weiter?
"Ich bin bereit, die Verhandlungen zu intensivieren", sagt der EU-Verhandlungsführer. Das hieße, öfter als alle drei bis vier Wochen zusammen zu kommen. Beim gegenwärtigen Tempo jedenfalls hält er es für unwahrscheinlich, dass die EU- Regierungschefs im Oktober "hinreichenden Fortschritt" erkennen und die nächste Stufe der Gespräche über das künftige Verhältnis frei geben könnten. Brüssel geht davon aus, der Termin werde auf den Dezember verschoben. Das würde bedeuten, dass die Zeit für den eigentlichen Kern der Verhandlungen weiter schrumpft .
David Davis wiederum betont einmal mehr, dass für ihn alle Fragen miteinander verknüpft sind. Er will alles gleichzeitig auf dem Tisch haben, um möglichst viel Hebelwirkung für Lösungen im britischen Sinne zu erzeugen. Am Ende gehe es um einen Deal, der "für beide Seiten positiv" sei. Aber Davis kämpft natürlich in erster Linie auf britische Rechnung. Michel Barnier dagegen betont, ihm gehe es vor allem um die Wahrung der Gemeinsamkeit in der EU, um Rechtsordnung und Binnenmarkt.
Davis will die EU spalten, und die sträubt sich dagegen. "Wenn ich frustriert wirke, dann zeigt das meine Leidenschaft", sagt der Franzose. Beobachter der britischen Szene erwarten keinen echten Fortschritt, bevor nicht auf dem Parteitag der Konservativen Anfang Oktober geklärt wird, wie es um die Machtposition von Premierministerin Theresa May steht und auf welche Haltung in punkto Brexit die Partei sich mit sich selbst einigt. Bis dahin dürfte der Stillstand in Brüssel fortgeschrieben werden.