Bringt Corona einen Superzyklus?
24. Februar 2021Ein Wort, das in den letzten Jahren kaum verwendet wurde, ist wieder in Mode: Superzyklus.
Der Anstieg der Metall- und Ölpreise bringt Banker und Händler dazu, den Beginn eines neuen Rohstoff-Superzyklus auszurufen: eine Entwicklung, bei der zwischen dem Boom bei Rohstoffpreisen und dem Platzen der Blase eine lange Zeit vergehen könnte, vielleicht sogar Jahrzehnte.
Die Rohstoffpreise sind zuletzt gestiegen, weil für die Zeit nach der Pandemie eine starke wirtschaftliche Erholung erwartet wird - flankiert von Impfkampagnen und massiven Konjunkturpaketen.
"Seit wir Licht am Ende des Covid-Tunnels sehen, scheinen die Finanzmärkte überzeugt zu sein, dass ein Rohstoff-Superzyklus bevorsteht", sagt Edward Moya, Analyst beim Finanzdienstleister Oanda in New York City. "China führt die globale Wirtschaftserholung an, und die Preise für Eisenerz, Kupfer und Rohöl könnten im Jahresverlauf noch deutlich steigen", so Moya zur DW. "Irgendwann wird China dann den Staffelstab der wirtschaftlichen Erholung an die USA weiterreichen, und danach bekommt ihn Europa."
Kupfer wird im Jargon der Märkte auch Doktor Kupfer genannt, denn dem Metall wird die unheimliche Fähigkeit zugeschrieben, Wendepunkte der Weltwirtschaft durch seine Preisentwicklung vorherzusagen. Seit seinem Tief im März 2020 hat Kupfer um mehr als 80 Prozent zugelegt auf rund 8500 US-Dollar pro Tonne - der höchste Stand seit 2012.
Kupfer ist in privaten Haushalten und in Fabriken verbreitet und wird in Mobiltelefonen ebenso eingesetzt wie in der Stromübertragung - deshalb gilt die Nachfrage auch als Gradmesser für die Wirtschaftslage. Andere Metalle, darunter Eisenerz und Nickel, verzeichnen ebenfalls steile Preisanstiege.
Auch die Ölpreise steigen kräftig, denn Händler erwarten eine durch Impfstoffe getriebene Erholung und in der Folge eine höhere Nachfrage nach Kraftstoffen. Der Preis für Öl der Nordsee-Sorte Brent ist so hoch wie seit einem Jahr nicht mehr, und die Futures für die US-Sorte WTI haben seit April 2020 um 260 Prozent zugelegt.
Aufstieg und Niedergang
Ein Superzyklus kann definiert werden als eine ausgedehnte Periode, in der die Nachfrage nach einer breiten Palette von Rohstoffen boomt. Das führt erst zu einem Anstieg der Preise, dann zu einem Rückgang der Nachfrage und schließlich zu einem Preisverfall. Superzyklen fallen grob "mit Perioden der schnellen Industrialisierung in der Weltwirtschaft" zusammen, heißt es in einem Bericht der kanadischen Zentralbank.
Die Industrialisierung der Vereinigten Staaten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert führte ebenso zu einem jahrzehntelangen Rohstoff-Superzyklus wie der Wiederaufbau in Europa und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg.
Insgesamt soll es im 20. Jahrhundert vier Rohstoff-Superzyklen gegeben haben. Der letzte begann um 1997 und war getrieben durch die schnelle wirtschaftliche Entwicklung in großen Schwellenländern, darunter Indien, Brasilien, Russland und vor allem China.
Gerade in China war das Tempo von Industrialisierung und Urbanisierung gewaltig, und seit dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 ist das Land erst zur Werkbank der Welt und dann zur zweitgrößten Volkswirtschaft aufgestiegen. Der Superzyklus endete mit dem Verfall der Rohstoffpreise ab 2015-16, als China nach Jahren der Geldschwemme die Zügel wieder anzog.
Der Aufregung an der Wall Street über einen möglichen neuen Superzyklus ist auch online zu beobachten, vor allem in den USA - der Heimat der größten Aktien- und Rohstoffbörsen der Welt. Laut Google Trends ist das Interesse am Suchbegriff Supercycle auf dem höchsten Stand seit 2008/09, als die globale Finanzkrise den Anfang vom Ende des letzten Superzyklus markierte.
Grüne industrielle Revolution
Analysten setzen darauf, dass eine grüne industrielle Revolution die Rohstoffpreise antreiben wird. Die EU, Großbritannien, die USA und andere Länder wollen viel Geld aus ihren Corona-Konjunkturpaketen dazu verwenden, die eigene Wirtschaft grüner zu machen.
"Investitionen in die Energiewende werden die Rohstoffpreise massiv und dauerhaft treiben - wir schätzen die Ausgaben auf mindestens 40 Billionen US-Dollar in den nächsten 20 Jahren", sagt Simon Flowers, Analyst bei der Energieberatung Wood Mackenzie. "Das ist ein zentraler Bestandteil der Konjunkturpakete für die Zeit nach der Pandemie und wird auch noch viel länger andauern."
Der Wandel zu einer grüneren Wirtschaft würde etwa die Nachfrage nach Kupfer und Stahl ankurbeln, weil für die anstehende Elektrifizierung eine entsprechende Infrastruktur gebraucht werde. Aluminium, Nickel, Lithium und Kobalt würden für Elektrofahrzeuge benötigt, so Flowers zur DW.
Analysten von Goldman Sachs bezeichnen die Corona-Krise, im Gegensatz zur Finanzkrise, als eine "Krise der sozialen Not". Deshalb seien auch soziale Lösungsansätze gefordert, etwa im Umgang mit Ungleichheit, Klimawandel und Arbeitslosigkeit.
"Politische Maßnahmen, die auf die Linderung sozialer Not abzielen, kommen Haushalten mit geringerem Einkommen zugute, die zahlreicher sind und daher insgesamt auch mehr Güter konsumieren. Ein auf soziale Bedürfnisse ausgerichtetes Konjunkturprogramm sorgt für weitaus mehr Wachstum als eines, das auf die Behebung einer Finanzkrise abzielt", schreiben die Analysten in einer Notiz an ihre Kunden.
Die US-Bank JP Morgan ist der Meinung, dass die Rohstoffpreise auch durch einen schwächeren Dollar und einen Anstieg der Inflation Auftrieb erhalten werden. Investoren neigen dazu, Rohstoffe in ihre Portfolios aufzunehmen, um sich vor Inflationsrisiken zu schützen, da Rohstoffpreise typischerweise steigen, wenn die Inflation anzieht.
Analyst Flowers glaubt zudem, eine globale Energiewende lasse "bizarrerweise" auch die Öl- und Gaspreise steigen. "In den vergangenen fünf Jahren ist viel zu wenig in Öl investiert worden", sagt er. "Doch vielleicht kommen wir bald an einen Punkt, an dem die Nachfrage nach Öl immer noch hoch ist, weil wir es für unsere Mobilität brauchen - aber es wurde einfach nicht genug investiert."
Noch zu früh
Flowers sagt jedoch auch, es sei noch zu früh, um zu wissen, ob wirklich bereits ein Superzyklus im Gange ist. Viele Rohstoffanalysten teilen diese Einschätzung und erwarten, dass sich Chinas starke wirtschaftliche Erholung wieder abschwächt, weil viele Länder wegen der Virusmutationen Mühe haben, ihre Volkswirtschaften vollständig zu öffnen.
"Mit den Superzyklen ist es so eine Sache. Im Nachhinein sehen sie sehr offensichtlich aus, aber zum jeweiligen Zeitpunkt sind sie sehr viel schwerer zu erkennen", schreibt Reuters-Kolumnist Andy Home. "Sind wir dabei, einen neuen zu erleben? Hat er bereits begonnen? Das Urteil steht noch aus - und weil wir ja über einen mehrjährigen Superzyklus sprechen, könnte das auch noch eine ganze Weile so bleiben."
Adaption aus dem Englische von Andreas Becker.