"Britisches Guantanamo"
13. August 2004Die Berufungskammer des britischen High Court -die zweithöchste Rechtsinstanz im Land - stößt mit ihrer jüngsten Entscheidung Menschenrechtler vor den Kopf: Haftgrund können demnach Aussagen sein, die unter Folter erpresst wurden - so lange keine Briten daran beteiligt sind.
Das bedeutet: Zehn nicht-britische Terrorverdächtige sitzen rechtmäßig ohne Anklage zum Teil seit 2001 in Hochsicherheitsgefängnissen. Grundlage für die Internierung ist das Antiterrorgesetz, das vom Parlament nach den Anschlägen vom 11. September im Schnellverfahren erstellt worden war. Wenn der Verdacht besteht, Ausländer könnten Verbindungen zu Terrorgruppen haben, dürfen sie unbegrenzt festgehalten werden. Menschenrechtler im britischen Unterhaus hatten in der vergangenen Woche fraktionsübergreifend die Abschaffung des Gesetzes gefordert.
Regierung Blair zufrieden
"Wir verurteilen die Folter ohne Einschränkung. Es wäre aber unverantwortlich, nicht jede Information zu berücksichtigen, die dabei helfen könnte, die nationale Sicherheit zu gewährleisten", verteidigte Innenminister David Blunkett das Gesetz. Er freue sich, dass die Richter seiner Auffassung folgten, die Internierten als "internationale Terroristen" einzustufen. Im Übrigen habe er von dem Antiterrorgesetz nur nach sorgfältiger Abwägung und nur in den notwendigsten Fällen Gebrauch gemacht, sagte Blunkett. Es sei um die Kontrolle von Verdächtigen gegangen, die man nicht habe abschieben können, weil ihr Leben im Herkunftsland gefährdet sei.
Die Entscheidung der drei Richter war 2:1 gefallen. Lord Justice Neuberger, der gegen die Inhaftierung stimmte, sagte, Demokratische Gesellschaften unter terroristischer Bedrohung sollten nicht akzeptieren, dass die Bedrohung letzlich Folter rechtfertige. Man könne sagen, der Einsatz von Folter oder die Nutzung der daraus entstehende Informationen zeige die Schwäche der Demokratie gegenüber den Terroristen. "Wenn wir deren Mittel einsetzen, verlieren wir unseren hohen moralischen Standard."
"Verlust von Moral und Legalität"
Die Anwälte der Häftlinge sprechen von einer "erschreckenden" Entscheidung. Anwältin Gareth Peirce sagte, die Entscheidung zeige, "dass wir in diesem Land vollständig vom Weg der Moral und Legalität abgekommen sind." Der Fall soll nun möglicherweise vor die Lordrichter des Oberhauses, die höchste Rechtsinstanz, gebracht werden.
Menschenrechtler nannten das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh ein "britisches Guantanamo". Die Gerichtsentscheidung könne andere Staaten ermutigen, Aussagen durch Folter zu erpressen. "Es ist eine fundamentale Pflicht der Gerichte, Bollwerk gegen jede Verletzung von Menschenrechten zu sein", sagt Kate Allen von Amnesty International Großbritannien. "Das Berufungsgericht hat nun diese höchste Pflicht aufgegeben." Falls Grund zur weiteren Internierung bestehe, sollten die Gefangenen einen fairen Gerichtsprozess nach internationalem Standard bekommen.
Großbritannien habe den Menschenrechtsgremien der UNO und der Europäischen Union im Zuge seiner Terrorbekämpfung mitgeteilt, dass es sich von bestimmten Verpflichtungen suspendieren lassen wolle, sagt Eckhart Klein vom Institut für Völkerrecht an der Universität Potsdam. "Es gibt jedoch Übereinkommen, und die Aussage unter Folter gehört dazu, von denen man sich nicht suspendieren lassen kann."
Alte Rechtsauffassung ausgehebelt
Nach Auffassung der Kritiker steht die Entscheidung der britischen Richter im Widerspruch zur englischen Habeaskorpus-Akte von 1679, einst Meilenstein in der internationalen Rechtsgeschichte. Danach darf niemand ohne gerichtliche Untersuchung in Haft gehalten werden. Einige Gefangene sprachen während der Verhandlung von einem "neuen dunklen Zeitalter der Ungerechtigkeit".
Das Anti-Terrorismus-Gesetz gilt vorerst nur bis 2006, doch Innenminister Blunkett will das Gesetz noch vor den Wahlen im nächsten Jahr verlängern, verschärfen und auf britische Staatsbürger erweitern. Schließlich würden Beweise in Terrorismusprozessen nicht durch herkömmliche Polizeiarbeit geliefert, sondern von den Geheimdiensten, und diese Quellen könne man nicht preisgeben, sagte Blunkett.
Großbritannien hat als einziges EU-Land nach dem 11. September ein besonderes Gesetz verabschiedet. Die anderen europäischen Länder neigen eher dazu, bereits bestehende Gesetze restriktiver anzuwenden.