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Politik

Komorowski: "Ich könnte ins Museum"

23. Juni 2020

"Ich stamme aus einer Familie, die aus ihrer Heimat vertrieben wurde" - Polens Ex-Präsident Komorowski über die deutsch-polnischen Beziehungen und den Vorschlag, in Berlin an die polnischen Opfer des Krieges zu erinnern.

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Polen Bronislaw Komorowski
Bild: picture-alliance/PAP/D. Gajda

DW: Was halten Sie von der Idee, der polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs in Form eines Denkmals zu gedenken? Es sind mehr als 80 Jahre vergangen seit Kriegsbeginn.

Bronisław Komorowski: Völker ohne Gedächtnis sind zum Scheitern verurteilt. Man muss verstehen, woher man kommt, wenn man wissen will, wohin man geht. Wir streben stetig bessere deutsch-polnische Beziehungen an, aber die Erinnerung an schreckliche und schwere Zeiten, die auch das Verbrechen am polnischen Volk umfassten, gehört dazu.

Die Idee des Polen-Denkmals ist nicht überholt. Sie kann natürlich durch aktuelle Inhalte angereichert werden, aber vor allem muss die Form die jüngere Generation ansprechen. Der Ort könnte zu einem wichtigen Anker einer klugen Form der Erinnerung werden.

In den deutsch-polnischen Beziehungen ist es nicht nur wichtig, sich an das gemeinsame dramatische Schicksal zu erinnern, sondern auch, so oft es geht, zu zeigen, dass wir es geschafft haben, unser Schicksal zu wenden. Dass wir heute eine deutsch-polnische Schicksalsgemeinschaft im positiven Sinne bilden, mit einer guten Nachbarschaft, einer guten Zusammenarbeit, guten Wirtschaftsbeziehungen und gemeinsamer Mitgliedschaft in EU und NATO.

Bundestag Gedenkstunde zum Kriegsbeginn 1939 Berlin 10.09.2014
2014 besuchte Komorowski (Mitte) den deutschen Bundestag zu einer Gedenkstunde zum Beginn des Zweiten Weltkriegs Bild: picture-alliance/AP Photo/Michael Sohn

Der deutsche Bundestags-Abgeordnete Manuel Sarrazin (Bündnis90/ Die Grünen) schlägt vor, einen Fonds zu gründen, aus dem medizinische Kosten für noch lebende Opfer von Krieg und Besatzung übernommen werden könnten. Darüber hinaus sollen Kommunen, in denen Kriegsverbrechen stattfanden, eine symbolische Entschädigung bekommen. Es ist also keine Rede von Reparationen als solchen, aber vielleicht hat die ganze Diskussion rund um das Thema doch etwas gebracht?

Das Thema der deutschen Reparationszahlungen an Polen wurde einfach so in die polnische Debatte "hineingeworfen", aber so richtig hat es nicht gezündet. Aus der aktuellen Präsidentschaftskampagne, das sieht man ganz genau, ist dieses Thema verschwunden. Es ist legitim zu fragen: Wozu hat Jaroslaw Kaczyński (Chef der regierenden Partei PiS - Anm. d. Red.) das Thema überhaupt aufgegriffen, wenn er es nicht fortführt und keine Pointe sucht?

Bei einem derart schwierigen Verhältnis wie dem zwischen Deutschland und Polen darf man sich kein Verhalten erlauben, das nirgendwo hinführt. Dieses bilaterale Verhältnis ist für uns alle zu wichtig. Was aber bleibt, ist die Sorge, was man tun soll, damit die deutsch-polnische Versöhnung tiefer verankert wird und bessere Früchte trägt.

Wenn es darum geht, mit deutschem Geld etwas für die lokale Bevölkerung der Orte zu tun, die während des Zweiten Weltkriegs besonders gelitten haben und wo jegliche zivilisatorische Standards verletzt wurden, dann halte ich das für eine gute Idee. Sie dient dem, was für uns alle von Bedeutung sein sollte, der deutsch-polnischen Versöhnung und der Zukunft dieser Beziehungen.

Denken Sie manchmal daran, was vielleicht nicht so gut während Ihrer Präsidentschaft gelaufen ist, dass es heute so einfach ist, mit der "antideutschen Karte" zu spielen? Vielleicht war die Aussöhnung doch nicht so tiefgreifend, wie sie schien?

Es wäre ein Ausdruck von Arroganz, wenn wir behaupten würden, dass die deutsch-polnische Versöhnung abgeschlossen war, beispielsweise mit der Umarmung (von Bundeskanzler Helmut) Kohl und (dem polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz) Mazowiecki in Kreisau (1989 - Anm. d. Red.). Es war auch kein Anfang, aber eine Etappe eines ganzen Prozesses, der weitergehen muss. Es gibt beiderseits Wunden. Auch die Polen bemühen sich, den Schmerz der Deutschen, der aus den Nachkriegsumsiedlungen oder anderen dramatischen Ereignissen resultiert, wahrzunehmen.

Polen Mazowiecki und Kohl in Krzyzowa 1989
Umarmung zur Versöhnung: Bundeskanzler Kohl (r.) und Polens Ministerpräsident Mazowiecki nach dem Mauerfall 1989Bild: picture-alliance/dpa/M. Athenstädt

Spüren Sie diesen Prozess, von dem Sie sprechen, am eigenen Leib?

Ich selbst könnte als Exponat in einem europäischen Museum der Vertreibungen stehen. Ich stamme aus einer Familie, die im Zweiten Weltkrieg aus ihrer kleinen Heimat in Polens Ostgebieten vertrieben wurde (von den Sowjets - Anm. d. Red.).

Geboren wurde ich selbst dagegen in den westlichen 'wiedergewonnen' Gebieten Polens, in einem Haus, wo noch Spielzeuge eines deutschen Kindes zurückgeblieben waren, das mit seinen Eltern flüchten musste. Es muss ein Prozess sein, wie er sich in mir vollzieht und in meiner Familie so wie in den meisten polnischen Familien. Es gibt in Polen kaum eine Familie, die während des Zweiten Weltkriegs nicht jemanden, durch Deutsche ermordet, verloren hätte.

Ich trage den Vornamen meines Onkels, der mit 16 Jahren in Vilnius wegen polnischer Untergrundtätigkeit auf deutschen Befehl erschossen wurde. Ich trage diesen Vornamen mit all seiner historischen Last im Gepäck, aber auch in der tiefen Überzeugung, dass auch ich in der Pflicht bin, Vorurteile abzubauen und so meinen Anteil an guten Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Polen und Deutschland beizutragen. Es ist ein Prozess, und nichts ist für ewig erledigt.

Bronisław Komorowski war Präsident der Republik Polen in den Jahren 2010-2015.

Das Gespräch führte Magdalena Gwozdz-Pallokat.