Deutsche Politiker: Serbien soll sich entscheiden
30. März 2022Unmittelbar nach ihrem Regierungsantritt im Dezember 2021 kündigte die neue deutsche Regierungskoalition aus Sozialdemokratischer Partei (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und Freien Demokraten (FDP) an, dass die Westbalkan-Region nun ganz oben auf der deutschen außenpolitischen Prioritätenliste steht. Ein erstes Signal in diese Richtung war die Ernennung des Grünen-Politikers Manuel Sarrazin zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für den Westbalkan.
Seit dem Angriff Putin-Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 hat die Bundesregierung ihre Westbalkan-Aktivitäten weiter intensiviert. In Berlin wird befürchtet, dass Moskaus Aggression die in diesem Teil Südosteuropas schwelenden Konflikte anheizen könnte. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) eilte Anfang März 2022 nach Bosnien und Herzegowina, Kosovo und anschließend Serbien, um zu verdeutlichen, dass die Europäische Union es ernst meint, wenn sie sagt, sie beabsichtige, diese Länder in ihre Reihen aufzunehmen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz erwähnte am 28.03.2022 bei einer Pressekonferenz den Westbalkan. Er betonte, dass die Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien nun "so bald wie möglich" beginnen sollten.
Während die Bundesrepublik ihre Westbalkan-Anstrengungen intensiviert, finden am Sonntag (3.04.2022) in Serbien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Die DW hat Fachpolitiker aus dem Bundestag befragt, was sie von den Abstimmungen und deren Ergebnissen erwarten.
Adis Ahmetovic, Berichterstatter des Bundestags für den Westbalkan und seit den Wahlen im September 2021 SPD-Bundestagsabgeordneter, betont, es sei gut, dass die serbische Opposition die Wahlen nicht wie 2020 boykottiert: "Nach den letzten Wahlen fehlten all diese grundlegenden Mechanismen einer parlamentarischen Demokratie, bei der die Opposition im Parlament die Arbeit der Regierung kontrolliert", so Ahmetovic gegenüber der DW.
"Wir werden Zeugen der Schaffung einer neuen Westbalkan-Politik, in der jedes der Länder dort seine eigene Rolle bekommt", so der SPD-Politiker weiter. Angesichts der Prognosen, gemäß derer Serbiens Langzeit-Präsident Aleksandar Vucic auch nach den Wahlen an der Spitze des Landes bleiben werde, macht Ahmetovic klar, dass es keine Sonderrollen mehr geben wird, wie sie der serbische Präsident während der Regierungszeit von Angela Merkel (CDU) genossen habe.
Anders als unter Angela Merkel
"Ich finde es wichtig, dass wir alle sechs Länder des Westbalkans auf Augenhöhe sehen", betont Ahmetovic. Situationen, in der sich alle Anstrengungen auf eine zentrale Figur auf dem Westbalkan richteten, die dort Stabilität garantieren solle, seien weder im Interesse der Region noch der Bundesrepublik und der EU. Stattdessen habe ab jetzt "jeder Staats- oder Regierungschef eine gleichberechtigte Rolle, wenn es um Stabilität geht. Das war unter Angela Merkel ein wenig anders".
Ahmetovic kritisiert die Entscheidung der Behörden der Republik Kosovo, Bürgerinnen und Bürgern, die neben der kosovarischen auch die serbische Staatsbürgerschaft besitzen, keine Teilnahme an den Wahlen in Serbien zu gestatten: "Was in Deutschland lebenden türkischen oder serbischen Staatsbürgern ermöglicht wird, sollte auch in Kosovo möglich sein. Deshalb ist diese Entscheidung von Premierminister Albin Kurti für mich unverständlich", so Ahmetovic.
Zeit der Positionierung
Serbien spiele weiterhin eine wichtige Rolle auf dem Westbalkan, insbesondere im Hinblick auf die Situation in Kosovo, in Montenegro und in Bosnien und Herzegowina: "Serbien muss für Stabilität sorgen, indem es sicherstellt, dass der destabilisierende Faktor in diesen Ländern nicht von Serbien ausgeht, weil all diese Konflikte in den umliegenden Ländern in irgendeiner Weise mit Serbien verbunden sind", erklärt Ahmetovic.
Während Deutschland in der Vergangenheit das Balancieren Belgrads zwischen Moskau und Brüssel stillschweigend akzeptiert habe, lasse die Invasion Russlands in der Ukraine keinen Raum mehr für die Tolerierung einer solchen Politik: "Wir erwarten von Serbien eine klare Position in der Außenpolitik. Belgrad sollte klar sein, dass es nicht möglich ist, auf zwei Stühlen zu sitzen. Dies ist eine Zeit der Positionierung, nicht der Kompromisse", so Ahmetovic.
Der Ukraine-Krieg hat wichtige Themen in den Hintergrund gedrängt
Ähnlich sieht das Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen). Serbien habe auf dem Weg in die Europäische Union einen "schwierigen Weg" vor sich, so der Vorsitzende des Europapolitischen Ausschusses des Bundestags gegenüber der DW. "Serbien muss dringend zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückkehren. Dazu gehört die uneingeschränkte Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine und die Einordnung in die Reihen seiner europäischen Partner."
Renata Alt (FDP), die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, sieht das genauso: "Vucics Manövrieren zwischen Ost und West spiegelt sich auch in seinem Widerstand gegen den Beitritt zu Sanktionen gegen Russland wider. Die EU sollte ernsthafte Konsequenzen in Betracht ziehen", so Alt gegenüber der DW. Die FDP-Politikerin glaubt jedoch, dass die Lage in der Ukraine die Wahlen in Serbien auch auf andere Weise beeinflussen werde: "Russlands Angriffskrieg hat wählermobilisierende Themen wie Umwelt und Korruption zur Nebensächlichkeit degradiert", meint Renata Alt.
Die Forderung der deutschen Regierungsparteien nach einer Entscheidung Serbiens für die EU teilt auch die oppositionelle Christlich-Demokratische Union (CDU). "Der russische Angriff auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende, vor der sich auch Serbiens Politiker nicht wegducken können", meint Jürgen Hardt, Bundestagsabgeordneter und Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wenn es Serbien ernst sei mit seinen Ambitionen auf eine EU-Mitgliedschaft, müsse das Land sich glaubhaft von Russlands Präsident Putin abwenden und die EU-Sanktionen gegen Moskau 1:1 mittragen.
"Das serbische Volk hat es verdient, Teil der EU zu werden und eine gemeinsame europäische Zukunft in Frieden und Wohlstand mitzugestalten", so Jürgen Hardt weiter. Serbien habe das nötige Potenzial, als wichtiger Ankerpunkt in der europäischen Zukunftsregion Westbalkan eine Erfolgsgeschichte zu schreiben. Aber: "Dafür müssen seine Politiker die Geister von gestern ruhen lassen und mutig in die Zukunft blicken."